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Tom Lüthi musste nach zwei Unfällen in den Trainings zum GP von Tschechien am 20. August aufs Rennen verzichten. Er hatte eine Gehirnerschütterung und mehrere Prellungen erlitten. Weil er kurz bewusstlos war und eine Erinnerungslücke von einer halben Stunde hatte, musste er die Nacht vom Samstag auf den Sonntag in Brünn im Spital verbringen. Zwei Wochen später gewinnt er in Silverstone den nächsten GP – nachdem er im Abschlusstraining erneut einen Sturz zu verkraften hatte.
Ist Tom Lüthi ein verrückter Bruchpilot? Nein. Er gehört zu den Piloten, die wenig stürzen. Die Liste seiner Verletzungen ist zwar eindrücklich, aber im GP-Zirkus nicht ungewöhnlich. So lange nur Knochen brechen und Bänder reissen, so lange nicht medizinische Gründe zur Aufgabe zwingen, so lange nicht die Seele bricht, haben Stürze keine Folgen.
Die Gefahr ist allgegenwärtig. Deshalb gelten in diesem Geschäft zwei eiserne Regeln. Erstens: Immer daran denken und alles tun, um Unfälle zu vermeiden – aber nie darüber reden. Zweitens: So schnell wie möglich wieder fahren. Zwangspausen fürchten alle wie der Teufel das geweihte Wasser. Es geht um etwas Grundsätzliches, ja Existenzielles: Wenn erst einmal durch eine längere Untätigkeit ein Denkprozess in Gang kommt, wenn also einer über seinen verrückten Sport nachzudenken beginnt, dann können Ängste aufkommen – und das ist das Ende der Karriere.
Das Leben eines Rennfahrers ist intensiv und bei aller Professionalität ist es auch der Lebensstil: Die durchtrainierten Jungs sind immer in Bewegung, sie suchen das Limit, sie sind süchtig nach dem Risiko, sie sind wie Extremsportler. Sie können, sie dürfen nicht zur Ruhe kommen. Wer zweifelt, wer auf einmal zurückschaut wie Lots Weib vor Gomorra, kann einen Sport in der Todeszone nicht mehr ausüben.
Also subito wieder fahren! Das Reglement schreibt lediglich vor, dass sich einer aus eigener Kraft auf die Maschine schwingen muss – er darf nicht in den Sattel gehoben werden. Es wird heute allerdings keiner zum Start zugelassen, wenn es medizinisch nicht verantwortbar ist. Die medizinische Betreuung auf dem Rennplatz ist erstklassig und hoch professionell. Der Italiener Dr. Claudio Costa hat in den 1980er Jahren das Projekt einer fahrbaren Klinik entwickelt. Daraus ist ein mobiles High-Tech- Spital geworden, das bei allen Rennen in Europa im Fahrerlager steht. Die Erstversorgung nach Unfällen ist garantiert und auch die Nachbehandlung ist exzellent.
Echte Rennfahrer zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich nicht beirren lassen und nach einem Unfall gleich wieder aufstehen und Vollgas fahren. Wieder einmal hat Tom Lüthi zwei Tage vor seinem 30. Geburtstag den Beweis erbracht, dass er ein echter Rennfahrer ist. Es ist nicht einmal sein verrücktestes Comeback. 2005 stürzt er beim GP von Japan schwer, renkt sich die rechte Schulter aus und kann zwei Tage lang wegen der Quetschungen an den Füssen nur mit Krücken laufen. Weil die Piste von den Trümmern seiner Maschine übersät war, musste das Rennen abgebrochen werden. Eine Woche später gewinnt der Emmentaler den GP von Malaysia und legte den Grundstein zum Weltmeistertitel in der 125er-Klasse.
Es sind harte Jungs, aber es sind letztlich doch seelisch zerbrechliche Titanen. Den Tod eines Berufskollegen können sie verdrängen. Auch Tom Lüthi hat schon zwei Konkurrenten durch den Tod auf der Rennpiste verloren. 2010 Shoya Tomizawa und diese Saison Luis Salom. Er war geschockt. Aber er hat diese Dramen verarbeitet.
Doch es gibt Situationen, die einer nicht mehr meistern kann. 1993 wird Kevin Schwantz der furchtlose, «unzerstörbare» nur Weltmeister, weil Wayne Rainey stürzt und fortan an den Rollstuhl gefesselt bleibt. Schwantz hat nach fürchterlichen Stürzen, unzähligen Knochenbrüchen nie auch nur mit den Augen gezwinkert und ist immer und immer wieder zurückgekehrt. Er schien auch den Sturz seines Rivalen verarbeitet zu haben. Aber dann kehrte Rainey im Frühjahr 1995 als Teammanager zurück. Die Präsenz seines einstigen Gegners im Rollstuhl im Fahrerlager wühlte Kevin Schwantz so auf, dass er kurz nach dem Saisonstart im Alter von 31 Jahren seine Karriere vorzeitig beendete. Seinen Körper konnte der Texaner immer heilen. Aber nicht seine Seele.