Am Ende der letzten Saison stellte Arsène Wenger nach 20 Jahren von einer Vierer- auf eine Dreierabwehr um. «Wenn eine Mannschaft das Selbstvertrauen verloren hat, dann ist es gut das System zu ändern und etwas neues zu probieren», sagte der 67-jährige Franzose damals. Die Massnahme funktionierte: Arsenal holte den FA Cup und hätte sich dank sieben Siegen in den letzten acht Spielen beinahe noch für die Champions League qualifiziert.
Doch in der neuen Saison wirkt die Arsenal-Defensive plötzlich wieder wie ein wilder Hühnerhaufen. Mit dem Tempo und mental überfordert sowie ohne Disziplin und Ordnung. Acht Tore haben die «Gunners» in drei Liga-Spielen bereits kassiert. Dreimal liess Wenger dabei ein unterschiedliches Trio laufen, gegen Liverpool mussten Schalke-Neuzugang Sead Kolasinac und der deutsche Weltmeister Shkodran Mustafi auf der Bank Platz nehmen. Der von einer Rotsperre zurückgekehrte Laurent Koscielny brachte aber auch keine Stabilität zurück.
0 - Arsenal didn’t attempt a single shot on target in a Premier League game for the first time since October 5th 2014 (vs Chelsea). Weak. pic.twitter.com/nAVMZyeIdJ
— OptaJoe (@OptaJoe) 27. August 2017
Noch offensichtlicher sind die Probleme in der Offensive. Gegen Liverpool schoss Arsenal nicht ein einziges Mal aufs Tor. Der neue 60-Millionen-Mann Alexandre Lacazette, der beim 4:3-Auftaktsieg gegen Leicester noch das erste Tor erzielte, durfte schon im dritten Spiel nicht mehr von Beginn weg ran. Für ihn stürmte der nach einer Bauchmuskelzerrung wiedergenesene Alexis Sanchez im Zwei-Mann-Sturm neben Danny Welbeck. Zu sehen waren beide nicht.
Was schon in der letzten Saison augenscheinlich war, zeichnet sich auch in der neuen Spielzeit wieder ab: Wenn's bei Arsenal nicht läuft, bricht das Team komplett auseinander. Keiner kämpft für den anderen, nach Ballverlusten wird zu wenig oder nur halbherzig nachgesetzt.
Paradebeispiel dafür: Mesut Özil. Der kreative Regisseur war gegen Liverpool unsichtbar, tauchte spätestens nach dem Rückstand komplett ab und fiel auch noch durch seine negative Körpersprache auf. Defensivarbeit? Fehlanzeige. Wie so oft nach solchen Spielen wurde auf Twitter nach einem vermissten Mann gesucht. Auf dem Fahndungsbild: Mesut Özil.
Ähnliches gilt auch für Alexis Sanchez. Nach dem Fehlpass von Granit Xhaka vor dem 0:1 durch Firmino verwarf der chilenische Superstar nur die Hände, statt für die Teamkollegen in die Bresche zu springen.
Der Chilene bleibt ein Mann mit zwei Gesichtern, nicht nur auf, sondern auch neben dem Platz: Nach seiner Auswechslung versteckte Sanchez erst die eine oder andere Träne, wenig später fingen die TV-Kameras ein, wie er nach dem 0:4 tunlichst versuchte, ein ironisches Grinsen zu vertuschen.
Mehrfach kokettierte er im Sommer mit einem möglichen Abgang und vielleicht ist es besser, wenn Arsenal bis am Donnerstagabend noch ein Tauschgeschäft arrangieren kann. Wie einer, der mit voller Leidenschaft für sein Team kämpft, sieht Sanchez jedenfalls nicht aus.
Sanchez und Özil können das Team definitiv nicht aus der Krise führen. Wer aber könnte Verantwortung übernehmen? Schwierig, Arsène Wenger war schon immer ein Verfechter einer flachen Teamhierarchie. Granit Xhaka wäre eigentlich ein designierter Leader, aber der Schweizer Natispieler hat erst eine Saison in der Premier League absolviert und ist auf dem Platz noch deutlich zu fehleranfällig.
Torhüter Petr Cech würde über eine immense Erfahrung verfügen, der Tscheche ist aber alles andere als ein Lautsprecher. Captain Laurent Koscielny müsste in Abwesenheit des Dauerverletzten Santi Cazorla in die Bresche springen, aber so richtig wohl fühlt sich der französische Innenverteidiger in der Leaderrolle auch nicht. Ein Alphatier fehlt der verunsicherten Mannschaft an allen Ecken und Enden, einer wie Patrick Vieira wird schmerzlich vermisst.
Der Gewinn des FA Cups hat die Arsenal-Verantwortlichen wohl etwas geblendet. Anders ist es nicht zu erklären, dass sie dem bei den Fans mittlerweile höchst umstrittenen Trainer Arsène Wenger einen neuen Zweijahresvertrag anboten. Der französische «Maestro», der seit 1996 die Geschicke bei Arsenal leitet, hat seine Qualitäten zwar schon zur Genüge unter Beweis gestellt und zuletzt dreimal in vier Jahren den FA Cup gewonnen.
Seit 2004 jagen die «Gunners» aber dem 14. Meistertitel nach, in der Champions League ist die Bilanz noch blamabler. Sieben Mal in Folge ist man zuletzt im Achtelfinal gescheitert, nun ist man nicht einmal dabei.
«Wenger out», heisst es deshalb aus Fankreisen unmissverständlich. Die Vorwürfe sind seit längerem die gleichen: Das alleine von ihm zusammengestellte Kader sei zu brav und labil, er selbst taktisch zu festgefahren. Der Wechsel zur Dreierabwehr wird ihm eher als Unsicherheit ausgelegt, sei aus der Not geboren, statt wirklich durchdacht.
Wenger hat in den letzten 21 Jahren enorm viel für Arsenal getan, den Klub an die Spitze geführt. Aber vielleicht wären die «Gunners» mittlerweile besser beraten, sich bald von ihrer lebenden Legende zu trennen. Ein Neuanfang kann schliesslich auch eine Chance sein.
Während die Konkurrenz im Sommer gross auf Einkaufstour ging, hielt sich Arsenal auf dem Transfermarkt vornehm zurück. Dabei war nach der verpatzten letzten Saison doch eigentlich klar, dass fast überall Handlungsbedarf bestand. Doch Lacazette und Kolasinac waren die einzigen Neuzugänge.
Bis Donnerstag könnte sich aber noch etwas tun: Laut dem «Daily Telegraph» hat Manchester City Arsenal einen Spielertausch angeboten: Raheem Sterling soll die «Citizens» im Tausch für Alexis Sanchez verlassen. Ausserdem sollen die «Gunners» an Julian Draxler von Paris St-Germain Interesse zeigen. Dafür wird Alex Oxlade-Chamberlain die Nord-Londoner wohl noch in Richtung Stadtrivale Chelsea verlassen.