Johan Djourou, wenn Sie in den Spiegel schauen, gefällt Ihnen, was Sie sehen?
Ich ahne, worauf Sie hinaus wollen. Meine blonden, ja fast weissen Haare … Sieht doch gar nicht so schlecht aus.
Warum haben Sie die Haarfarbe
gewechselt?
Wegen den US-Wahlen. Ich war sicher,
Donald Trump hat keine Chance. Meine
Frau mag ihn ja auch nicht, aber sie
warnte mich. ‹Vielleicht hat sich die
Mentalität und Philosophie in den USA
etwas verändert.› Ich ging die Wette ein,
dass ich meine Haare färben sollte,
wenn Trump gewinnt. Aber nun darf
ich meine Haarfarbe wieder wechseln.
Noch vor dem Spiel gegen Lettland.
Präsident Trump will Muslime von
Amerika fernhalten. Was denken Sie
darüber?
Es ist schwer zu verstehen. Ich stelle mir
vor, wie es wäre, wenn es mich betreffen
würde. Wenn ich mein ganzes Leben
in der Schweiz verbracht habe und
plötzlich würde es heissen: Pardon
Monsieur Djourou, Sie dürfen nicht
mehr ins Land. Das wäre unfassbar.
Ärgern Sie solche Nachrichten?
Die Richtung, in die wir uns bewegen,
ist nicht gut. Religion sollte in der Politik
auf der Seite bleiben. Es gibt viele Muslime,
die ganz normale Amerikaner sind.
Manchmal wird vergessen, dass Amerikaner
wahrscheinlich nicht alle Jobs machen
würden, welche die Muslime für
sie erledigen. Das ist so wichtig, dies
nicht zu vergessen! Einige Amerikaner
würden wohl sagen: ‹Toilette sauber
machen? Das ist nichts für mich.› Weil
sie zu stolz dafür sind.
Haben Sie mitbekommen, wie Amy
McDonald über Ihren langjährigen
Nati-Kollegen Philippe Senderos geurteilt
hat?
Nein. Wer ist Amy McDonald?
Eine britische Sängerin. Sie sagte:
«Er ist ein fürchterlicher Fussballer.
Einer der schlechtesten überhaupt.»
Jeder und jede meint, über Fussballer
urteilen zu dürfen. Auch wenn man
keine Ahnung hat. Der Respekt scheint
bei gewissen Leuten mittlerweile total
zu fehlen.
Müssen Fussballer mehr einstecken?
Wissen Sie, wo das Problem liegt?
Jeder
glaubt zu wissen: Ein Fussballer verdient
so und so viel, hat eine schöne
Frau, viele Autos – und rennt nur einem
Ball nach. Aber keiner kennt die Geschichte,
die dahinter steckt. Niemand
weiss, welchen Weg ich auf mich genommen
habe, um Fussballer zu werden.
Ich wurde in Afrika geboren, wurde
adoptiert, hatte im Verlauf meiner Karriere
auch Schwierigkeiten – aber ich
biss mich durch. Und es gibt ein weiteres
Problem. Es zählt nur noch das «Jetzt».
Was einmal war, wird vergessen. Arsène Wenger geht es gerade auch so.
Dem langjährigen Arsenal-Trainer.
Wenger hat so viel gemacht für diesen
Klub. Er ist seit mehr als 20 Jahren Trainer.
Und doch rufen die Leute: «Wenger
raus!» Und vergessen einfach, was war.
Manchmal würde es nicht schaden, vor
dem Reden ein bisschen zu überlegen.
Sie haben Ihre Geschichte erwähnt. Welches sind Ihre ersten Erinnerungen
an die Schweiz?
Das ist schwierig zu sagen, weil ich
schon mit 17 Monaten adoptiert wurde.
Ich war zu klein, um zu merken, was damals
war. Aber: Die Schweiz war immer
gut zu mir. Ich habe keine negativen
Erinnerungen. Auch als Jugendlicher.
Die Frage ist aber auch: Wären die
Leute anders zu mir, wenn ich nicht
bekannt und stattdessen ein «niemand»
wäre? Ich kann sie nicht beantworten.
Sie wurden adoptiert. Mögen Sie
über dieses Thema reden?
Klar. Denn es gehört zu meiner Geschichte.
Wissen Sie, warum Sie Ihre Mutter
zur Adoption freigegeben hat?
Das war sehr schwer für sie. Aber am
Ende ging es darum, mir in Europa bessere
Chancen zu ermöglichen.
Haben Sie Kontakt mit Ihrer
leiblichen Mutter?
Ja. Als ich 15-jährig war, habe ich sie
kennen gelernt. Ich ging sie mit meiner
Adoptivmutter besuchen.
Wie war das?
Sehr schwierig. Ich habe kaum ein Wort
rausgebracht. Ich hatte zu grosse Angst.
Ich fragte meine Adoptivmutter ganz
scheu: ‹Wer ist jetzt meine Mama?› Zwischen
17 Monaten und 15-jährig ist eine
lange Zeit. Ich sah Fotos von meiner
Mutter, aber wenn man dann da ist, ist
alles anders.
Können Sie das beschreiben?
Meine Adoptivmutter sagte mir immer,
dass ich eine andere Mutter habe. Und
trotzdem kommen vor Ort alle Fragen
wieder hoch. Du musst von Null anfangen.
Sie ist zwar meine leibliche Mutter.
Aber für mein Aufwachsen und die Erziehung
war eine andere Frau zuständig.
Wie entwickelte sich die Beziehung?
Gut. Heute nenne ich sie ‹meine beste
Freundin›. Bis es soweit war, mussten
wir natürlich viel reden. Sie kam uns
auch in der Schweiz besuchen. Dann
waren wir wieder in der Elfenbeinküste.
Ich musste verstehen können, warum
ich adoptiert wurde.
War es ihre Entscheidung
oder nicht?
Als ich verstanden
hatte, dass es ihr das Herz zerrissen
hat, war ich erleichtert. Es war eine Entscheidung
für mich. Weil ihr Umfeld
überzeugt war, dass eine Adoption das
Beste für mich wäre.
Ihr Vater ...
... Achtung jetzt wird es kompliziert!
Sie wissen ja, manchmal ist das Leben
kompliziert (lacht herzhaft).
Erzählen Sie!
Mein Vater war verheiratet mit meiner
Adoptivmutter. Im Urlaub ist er in die
Elfenbeinküste gegangen. Daraus bin
ich entstanden.
Aus einer Affäre?
Genau. Ich sage ja, das ist eine spezielle
Geschichte.
Eine andere Frau hätte ihren Mann
rausgeworfen!
Ja das ist wohl so. Und ich glaube auch,
in der heutigen Zeit würde die Geschichte
nicht so verlaufen. Mein Vater
hat lange nichts erzählt davon, dass er
ein Kind in der Elfenbeinküste hat. Ist ja
auch schwierig. Meine Adoptivmutter
aber merkte: Irgendetwas stimmt mit
ihm nicht. Also fragte sie, was los ist.
Und er sagte ihr schliesslich: ‹Ich habe
ein Kind.› Sie reagierte grossartig. Sagte:
‹Wenn es die Möglichkeit gibt, diesen
Jungen zu adoptieren, dann machen wir
das.› Ich finde das unglaublich toll. Ich
sage Ihnen: Meine Familie ist Gold!
Leben Ihr Vater und Ihre Adoptivmutter
noch zusammen?
Mittlerweile nicht mehr. Aber sie sind
weiter freundschaftlich verbunden.
Was wäre aus Ihnen geworden,
wenn Sie in der Elfenbeinküste geblieben
wären?
Das ist eine sehr gute Frage. Niemand
kann das wissen. Ich hoffe, ich hätte es
auch geschafft. Aber ich kann das nicht
sagen.
Ihre Geschichte mit der Schweizer
Nationalmannschaft enthält auch
viele schöne Kapitel. Sie waren
schon an fünf grossen Turnieren
dabei mit der Schweiz.
Auch da: Die Leute vergessen schnell.
Bei Ihnen ist das extrem. Es heisst
oft: «Ach, Djourou. Wieder er!»
Warum ist das so?
Da haben Sie Recht! Ein guter Punkt.
Ich weiss es nicht. Ich habe sehr viele
gute Aktionen. Und manchmal denke
ich: Leider bin ich Verteidiger …
Mit wem spielen Sie am liebsten in
der Innenverteidigung im Nationalteam?
Ich habe viel mit Fabian Schär gespielt.
Wir harmonieren gut. Aber nun möchte
ich etwas fragen.
Nur zu!
Wenn ich spiele und einen Fehler
mache, heisst es: Ah, Djourou! Mon
dieu! Aber wenn ich nicht dabei bin,
heisst es: «Ah, Djourou fehlt eben!» Ich
höre das so viel. Wie geht das zusammen?
Ich verstehe das nicht.
Denken Sie, dass man von Ihnen
mehr erwartet als von anderen?
Weil Ihr Lebenslauf, mit 16 sind Sie
zu Arsenal gewechselt, grosse Hoffnungen
geweckt hat?
Das kann gut sein. Nehmen wir die
EM. Ich habe davor während drei Monaten
mit dem Pfeifferschen Drüsenfieber
gekämpft. So etwas dauert. Und
der Verlauf ist unabsehbar. Nicht wie bei
einem Knochenbruch. Und wieder zählt
nur der Moment. Die Leute verlieren sofort
das Vertrauen in mich. Zum Glück
ist der Nationaltrainer anders.
Themenwechsel: Wie sehen Sie
Ihre Situation in Hamburg?
Ich habe schwierige Wochen hinter
mir, ganz klar.
Sie wurden Mitte November überraschend
als HSV-Captain abgesetzt.
Wie empfanden Sie das?
Wenn ein Trainer denkt, ein Wechsel
sei aus bestimmten Gründen nötig,
dann habe ich Verständnis dafür. Kein
Verständnis habe ich, wenn es um
Dinge geht, die jemand – also in diesem
Fall ich – gemacht haben soll.
Was genau ist vorgefallen?
Wir haben gegen Dortmund gespielt.
Mit einer Dreierkette. Zum ersten Mal
überhaupt. Nach zwei Tagen Training.
Wir sahen nicht gut aus, danach fragten
die Medien: Was war das für eine
Entscheidung des Trainers? Ich sagte:
‹Wir haben die Dreierkette nur zwei
Tage trainiert, also fehlen die Automatismen.
Aber wir sind gross genug und
alle Profis, dass wir das umsetzen können
sollten.› Es wurde mir als Kritik
am Trainer ausgelegt.
Und der Trainer hat das auch als
Angriff auf ihn empfunden und Sie
als Captain abgesetzt?
Ja, so war das.
Öffentlich sagte Markus Gisdol, er
wolle dem Team eine neue Kultur
einimpfen.
So sagte er das gegenüber den
Medien… Es war in einer Zeit, in der
die Debatten begannen, ob der Trainer
weg muss. Es machte den Eindruck,
dass der Trainer das Problem an einen
anderen Ort zu verschieben versuchte.
Damit die Leute über ein Thema zu
reden hatten – also den Captain-Wechsel.
Wenn jemand über so lange Zeit
wie ich für den HSV kämpft, dann finde
ich den Umgang mit mir etwas... (überlegt)
Fragwürdig?
Das trifft es wohl. Für mich kommt
das Team immer an erster Stelle.
Und das Team war es, das mich als
Captain wählte. Jetzt kommt aber ein
weiterer Punkt. Ich merke ja, dass ich
in einer schwierigen Situation bin. Der
Verein hat zwei Innenverteidiger verpflichtet.
Deshalb wollte ich im Januar
weg. Ich hatte Angebote. Sie sagten
dann aber: ‹Nein, wir brauchen dich.
Du bist so wichtig!› Und dann spiele
ich trotzdem nicht.
Wohin hätten Sie wechseln
können?
Ich hatte Angebote aus England, auch
aus der Türkei. Am konkretesten von
Crystal Palace.
Haben Sie abgeschlossen mit dem
HSV?
Mal schauen. Sie wissen, wie ich das
meine. Ich bin und bleibe Profi. Aber
mir bleiben noch drei Monate Vertrag.
Und ich habe weiterhin Angebote. Für
den HSV zu spielen, ist etwas Besonderes.
Der Druck ist viel höher als anderswo.
Es ist meine vierte Saison hier.
Ich hatte acht Trainer und drei Sportchefs.
Das sagt doch einiges aus, oder?
Wenn wir zehn Jahre zurückgehen.
Hätten Sie unterschrieben, wenn
jemand Ihre Karriere so vorausgesagt
hätte?
Ja. Sofort. Wissen Sie: Der HSV ist immer
noch ein grosses Team. Und ich habe
mit Hamburg riesige Emotionen erlebt.
Denken Sie nur an die Relegationsspiele
gegen Karlsruhe. Die Rettung in letzter
Sekunde. Das sind Emotionen pur.