Der Termin hatte Tradition, das Rennen wurde zum Klassiker. Seit 1993 bildete die Abfahrt auf der Piste «Stelvio» in Bormio den Schlusspunkt im Jahreskalender des Alpin-Weltcups der Männer. Mit Ausnahme von 1994 und 1999 wurde den Speed-Spezialisten vor Silvester auf der anspruchsvollen Strecke noch einmal alles abverlangt. Die «Stelvio» forderte die Athleten im technischen und im konditionellen Bereich gleichermassen.
Zumindest in diesem Winter entfällt das Spektakel auf der WM-Piste von 1985 und 2005. Die örtlichen Organisatoren waren nicht mehr gewillt, zwischen Weihnachten und Neujahr eine Weltcup-Abfahrt durchzuführen. Die Nachteile aus kommerzieller Sicht wogen zu schwer, der Tourismus litt zu sehr unter den Folgen von fehlenden Unterkünften und abgesperrten Pisten.
Die «schnellen Männer» machen dieser Tage gleichwohl im Veltlin Halt – nur zwölf Kilometer von Bormio entfernt. Santa Caterina kehrte kurzerhand in den Kreis der Weltcup-Orte zurück, knapp zehn Jahre, nachdem der Weltcup der Frauen letztmals im Gebiet Valfurva zu Gast gewesen war. Schon damals, Anfang Januar 2005, war die Station eingesprungen. Von Val d'Isère wurden zwei Abfahrten, von Berchtesgaden ein Slalom und ein Riesenslalom übernommen. Santa Caterina kam so unverhofft zu einer Hauptprobe für die einen Monat danach ausgetragenen Frauen-Rennen im Rahmen der WM 2005.
So gering die Distanz zwischen Bormio und Santa Caterina ist, so gross schienen die Unterschiede zwischen den beiden Strecken. Die Piste in Santa Caterina schien die Voraussetzungen für eine spektakuläre Männer-Abfahrt nicht erfüllen zu können. Es sei mit einer Veranstaltung der langweiligeren Sorte zu rechnen, war von Seiten der Skeptiker zu hören. Mutproben würden ebenso fehlen wie eine Schlüsselstelle. Die Fahrer müssten sich an keiner einzigen Passage «richtig» überwinden.
Die Strecke in Santa Caterina, benannt nach der aus Bormio stammenden dreifachen Olympiasiegerin und Weltmeisterin Deborah Compagnoni, bietet selbstredend nicht adäquaten Ersatz für die «Stelvio». Doch einer Männer-Abfahrt würdig ist sie allemal. «Die Bedingungen sind schwieriger als angenommen», sagte Didier Défago nach dem ersten Training. Der Walliser, als Fünfter bestklassierter Schweizer mit einem Hundertstel Vorsprung auf den überraschenden Bündner Mauro Caviezel, fand mit seiner Einschätzung bei den anderen Fahrern uneingeschränkt Zustimmung.
«Während den ersten vierzig Fahrsekunden hat der Kurs Ähnlichkeit mit einem schnellen Super-G. Danach steigt das Tempo aber markant an. Erschwert wird die Aufgabe durch die vielen Wellen und die schlechten Sichtbedingungen.» Beat Feuz, der 3,8 Sekunden auf die Bestzeit des erstaunlichen Deutschen Josef Ferstl einbüsste, sprach von einem «regelrechten Blindflug».
Défago hatte den unteren Streckenteil wie (Rossignol-)Markenkollege Carlo Janka bereits im vergangenen Frühling im Zuge von Materialtests befahren. Der Obersaxer sieht in der Piste «Deborah Compagnoni» eine Mischung aus dem Parcours in Rosa Chutor, dem Alpin-Gelände der Olympischen Spiele in Sotschi, und der «Stelvio». «Oben folgt Kurve auf Kurve, bevor es schneller zur Sache geht», berichtete Janka, der sich im Klassement des ersten Trainings als Achter unmittelbar vor dem Engelberger Marc Gisin einreihte.