Sein Palmarès ist üppig, die Rekorde sind zahlreich, die Popularität global. Auch in Melbourne. Weil mit Nick Kyrgios und Bernard Tomic die beiden derzeit Besten des Landes mit ihren Eskapaden auf sich aufmerksam machen und den Sportsgeist zuweilen mit Füssen treten, haben die Australier kurzerhand Roger Federer als einen von ihnen auserkoren.
Das ist nicht neu und hat seinen Ursprung in einer Geschichte, die der weit gereiste Baselbieter immer wieder gerne erzählt. Jene, wonach sein Vater Robert, ein technischer Kaufmann, einst ein Angebot eines Chemieunternehmens hatte und mit seiner Familie fast ausgewandert wäre. Als Federer mit 13 erfahren habe, dass sie in der Schweiz blieben, sei er in Tränen ausgebrochen.
Mit dem Land verbindet der Schweizer aber nicht nur diese Episode. Sein erster Förderer im TC Old Boys Basel war mit Peter Carter ein Australier. «Er lehrte mich, vor jeder Person Respekt zu haben – egal, ob diese berühmt ist oder nicht. Er und meine Eltern haben mir Werte vermittelt», sagt Federer, der im Alter von 10 bis 14 und von 16 bis 20 mit Carter zusammenarbeitete.
Erst in Basel, später im Leistungszentrum von Swiss Tennis in Ecublens VD. «Zwar hatte ich noch einen anderen Coach, aber Peter war es, der mich am meisten geprägt hat. Mit ihm feilte ich an Aufschlag, Vorhand, Rückhand, Netzspiel.» Trotzdem entscheidet sich Federer später für den Schweden Peter Lundgren als persönlichen Trainer.
Australien ist auch der Ort, an dem die Liebe zu seiner heutigen Ehefrau Mirka gedeiht. Bei den Olympischen Spielen 2000 in Sydney teilt er sich mit Lundgren, Emmanuelle Gagliardi, den Ringern Beat Motzer, Urs Bürgler, Rolf Scherrer und Grégory Martinetti eine Wohnung. Und mit ihr: Mirka Vavrinec, der um drei Jahre älteren Thurgauerin. «Hier umarmten und küssten wir uns erstmals. Erst da merkte ich, dass ich mehr für Mirka empfand», erzählte Federer.
Bis dorthin hatte Federer noch keinen einzigen Titel gewonnen, war ein Niemand. «So viel Tennis würde keine andere Frau ertragen. Sie organisiert unser Leben», sagt Federer einmal. 2009 heiraten die beiden, werden erst Eltern von Charlene und Myla, dann von Leo und Lenny.
«Alle sagen, ich sei der Beste. Aber ich bin nur der Beste mit dir an meiner Seite», sagt er einmal in China. «Allein sein heisst für mich, mit Mirka zu sammen zu sein. Ich kann 20 Minuten im Auto allein sein. Aber ich bin lieber mit ihr zusammen», sagt er ein anderes Mal. Sie ist es auch, die ihm in den dunkelsten Stunden beisteht. Im August 2002 stirbt Peter Carter eine Woche vor seinem 38. Geburtstag bei einem Autounfall in seinen Flitterwochen in Südafrika, der Heimat von Rogers Mutter Lynette. Als ihn die Nachricht in Toronto ereilt, ist er am Boden zerstört. Federer hatte Carter und seiner Frau Silvia Südafrika als Reiseziel empfohlen. Carters Unfalltod ist einer der einschneidendsten Momente in Federers Leben.
Australien ist bis heute Schauplatz grosser Emotionen. 2004 gewinnt er dort sein zweites Grand-Slam-Turnier und wird danach erstmals die Nummer 1 der Welt. 2006 gelingt ihm als erster Spieler seit Björn Borg 1980 bei den French Open der Turniersieg ohne Satzverlust. 2007 bricht er bei der Siegerehrung in Tränen aus, als Rod Laver ihm die Trophäe überreicht. Dass der im Herbst erstmals ausgetragene Teamwettbewerb aus der Ideenküche von Federers Manager Tony Godsick den Namen Rod Laver Cup trägt, ist eine Hommage an den 78-Jährigen. Zwei Jahre später versagt ihm nach einer bitteren Finalniederlage gegen Rafael Nadal die Stimme und im Jahr darauf gewinnt er erstmals als Vater ein Grand-Slam-Turnier.
Die überraschendste Verbindung findet sich beim Durchforsten von Federers Ahnengalerie. Sein Grossvater amtete in Südafrika offenbar einst als Sekretär der «Northern Transvaal Cricket Union». «Für Cricket hatte ich immer schon eine Schwäche. Meine Trainer haben mir auch viel von Australiens Nationalsport erzählt.»
Zu seinen Trainern zählt auch Tony Roche, mit dem Federer von 2005 bis 2007, im Zenit seiner Schaffenskraft, arbeitet. «Tony hatte einen grossen Einfluss auf meinen Arbeitsethos und den Respekt vor der Geschichte des Sports», erinnert sich Federer, der nun erzählt, dass Ken Rosewall, eine andere australische Legende, ihm einen Brief geschrieben hat, um ihm Glück zu wünschen. «Das macht er immer.»
Er, der mehr weiss über die Geschichte des Tennis als manch anderer, liebe die Spieler jener Generation. «Tony Roche, Rod Laver, Ken Rosewall, Roy Emerson. Mit ihm habe ich in Gstaad sogar mal eine Kuh gemolken», sagt Federer. «Australien ist für mich ein Lebensgefühl. Darum wird dieses Land für mich auch immer so etwas wie ein zweites Zuhause sein.»