Haben wir am Sonntag beim GP von Tschechien, verdichtet auf ein paar Minuten, den ganzen WM-Verlauf gesehen? Spektakulär wäre es. WM-Leader Franco Morbidelli (22) ist auf trockener Piste unantastbar. Er hält den dritten Platz und wahrscheinlich hätte er in der Schlussphase noch um den Sieg mitgemischt. Seinen Rivalen Tom Lüthi (30) weiss er hinter sich im Mittelfeld (7.). Chancenlos auf den Sieg. Er kann den Vorsprung (34 Punkte) ausbauen, eine WM-Vorentscheidung kann fallen.
Dann kommt der Regen. Neustart. Tom Lüthi mit dem wohl besten Start seiner Karriere bei nasser Piste aussen herum todesmutig an die Spitze, setzt sich ab und gewinnt souverän. So einen Start hat es in der ganzen Geschichte der Moto2-WM (seit 2010) nicht gegeben.
Franco Morbidelli schrumpft zum Nervenbündel, verkrampft sich und kann sich mit Mühe und Not gerade noch auf den 8. Platz retten. Hätte das Rennen zwei Runden länger gedauert, wäre er gar noch aus den «Top Ten» gefallen. Er verliert die Hälfte seines Vorsprungs und hat nur noch 17 Punkte Reserve auf den Schweizer.
Hat die Wirklichkeit den sensiblen Italiener eingeholt? Spürt, ahnt er erst jetzt, was er zu verlieren hat? Zerbricht er unter dem Druck? Oder ist es einfach dumm gelaufen? Sicher ist: die Moto2-WM, die nach dem Sturz auf dem Sachsenring für Tom Lüthi verloren schien, beginnt wieder von vorne. Und sie wird im Kopf entschieden.
Tom Lüthis Cheftechniker und enger Vertrauter Gilles Bigot spricht von einem erstaunlichen Reifeprozess seines Schützlings. Die Enttäuschung sei zwar am Samstagabend gross gewesen (11. Platz/4. Startreihe). Aber Tom habe sich nicht verunsichern lassen. «Am Sonntagmorgen hat er gesagt, es werde wohl unter den schwierigen Bedingungen ein ganz besonderer Tag. Packen wir die Chance. Er sagte es mit einer erstaunlichen Ruhe und Entschlossenheit.» Tom Lüthi, der bisher mental so zerbrechliche Titan, ist in einer Extremsituation stärker geworden. Und es gibt noch ein gutes Zeichen. Er hat in seiner ganzen GP-Karriere (seit 2002) erst ein einziges Mal den GP von Tschechien gewonnen. 2005. Im Jahr seines 125er-Titelgewinns.
Bei Dominique Aegerter (26) läuft hingegen alles schief. Im Abschlusstraining wird er von Simone Corsi «abgeschossen» und muss aus der 7. Reihe starten. Und dann bricht nach dem Start der Schalthebel ab. Nach dem Reparaturhalt in der Box fehlen ihm schliesslich zehn Sekunden um für den Neustart zugelassen zu werden.
Noch können die Hauptdarsteller den Frieden wahren. Teamchef Jochen Kiefer lenkt die Frustration erst einmal nach aussen: «Wir haben bei der Rennleitung protestiert. Aber Reglement ist Reglement. Er hätte nur an den Start gehen dürfen, wenn er 75 Prozent der Distanz zurückgelegt hätte. Dazu fehlten ihm 10 Sekunden.»
Aber die Luft wird immer dicker und bald wird es eine Drahtschere brauchen um sie zu durchschneiden. Brünn ist der dritte «Nuller» aus technischen Gründen in den letzten vier Rennen. Eine solche Defekt-Serie hat seit Einführung der Moto2-WM im Jahre 2010 noch kein seriöses Team erlebt. Erst eine völlig überhitzte Maschine in Barcelona, dann ein durchgescheuertes Kabel auf dem Sachsenring und jetzt der gebrochene Schalthebel. Alles Probleme, die nichts mit dem Einheitsmotor zu tun haben. Sondern mit den Zusatzteilen, die der Schweizer Techniker und Töffbauer Eskil Suter liefert.
War der gebrochene Schalthebel die Folge eines Materialfehlers? Jochen Kiefer lässt sich nicht auf die Äste hinaus: «Ich weiss es nicht. Aber ich kann mich nicht erinnern, dass dieses Teil schon einmal gebrochen ist.» Eskil Suter mault: «Die hätten halt nach dem Trainingssturz am Samstag das Teil wechseln müssen.» Wo er recht hat, da hat er recht. Es ist ein ungeschriebenes Gesetz, dass nach einem solchen Sturz diese Teile ausgewechselt werden. Was natürlich mit Kosten verbunden ist.
Das wiederum lässt Jochen Kiefer nicht auf sich sitzen und sagt: «Wir haben alle Teile nach dem Sturz sorgfältig kontrolliert.» Da gilt wohl: Kontrolle ist gut und billig, Auswechseln ist besser und teuer.
Die Frage ist nicht ob, sondern nur noch wann es zum Eklat kommt.