20. Mai 2002: Roger Federer, 20-jährig, gehört erstmals zu den zehn besten Tennisspielern der Welt. Doch der Baselbieter, seit 1998 Profi, fällt inmitten seines Aufstiegs schon bald wieder aus der Spitzengruppe heraus. Fünf Monate später, am 14. Oktober 2002, entert er die Top Ten ein weiteres Mal. Niemand vermag sich nur in den kühnsten Träumen vorstellen, was eintreffen wird: Er verweilt dort über 14 Jahre und prägt den Tennissport wie kaum ein anderer.
Morgen fallen beim 17-fachen Grand-Slam-Sieger 1090 Punkte aus der Wertung (Paris-Bercy und ATP-Finals 2015), sodass er im besten Fall noch Platz 15 belegen wird. Federer gehörte damit während 735 Wochen zu den besten zehn Tennisspielern der Welt. Der 35-jährige Maestro verpasst den Allzeit-Rekord von Jimmy Connors ziemlich genau um ein Jahr. Der US-Amerikaner war zwischen 1973 und 1988 während 788 Wochen in den Top Ten klassiert.
Zum Ende dieser bemerkenswerten Serie ist es gekommen, weil Federer Ende Juli in einem Schock-Statement bekannt gab, dass er wegen seines lädierten Knies, das er Anfang Jahr operieren liess, seine Saison vorzeitig beenden müsse. «Ein halbes Jahr Pause wird meinem Körper guttun. Einmal eine so lange Pause in 20 Jahren ist okay», so Federer. Mit etwas Abstand sagte er vor rund zwei Wochen dem «Tages-Anzeiger»: «Die Rückschläge haben mir bewusst gemacht, wie glücklich ich mich schätzen kann, dass ich in meiner Karriere so selten verletzt gewesen bin.»
Im Januar wird Federer sein viel erwartetes Comeback geben. Doch dieses kommt vorerst nicht einer Aufholjagd gleich. So startet der Tenniskönig am Hopman Cup in Perth, einem Teamwettkampf, an dem es keine Weltranglistenpunkte zu gewinnen gibt. Weil das 500er-Turnier von Brisbane gleichzeitig stattfindet, kann er dort die in diesem Jahr gewonnenen 150 Punkte (Finalniederlage gegen Raonic) nicht verteidigen. Es ist daher möglich, dass Federer auf der Setzliste der Australian Open nicht unter den Top 20 figuriert. Das kann gefährliche Konstellationen mit sich bringen, sodass Federer bereits in der dritten Runde auf einen Top-Ten-Spieler treffen könnte.
Federer stiess in diesem Jahr in Melbourne bis in den Halbfinal vor, was sich nach der langen Pause, im Januar als grosse Hypothek erweisen könnte. Denn in Down Under hat er 720 Punkte zu verteidigen. Misslingt Federer das Comeback beim ersten Grand-Slam-Turnier gründlich und verliert er in der ersten Runde, könnte der Maestro sogar aus den Top 30 rutschen. Das hätte zur Folge, dass er um einen der wichtigen gesetzten Plätze kämpfen müsste.
Sorgt Federer hingegen am ersten Grand-Slam der Saison für einen Exploit und gewinnt den Titel, grüsste er wieder von einem Top-10-Platz. Top Ten hin oder her: Federers grosse Aufholjagd dürfte erst mit den Turnieren in Dubai (500) und Indian Wells (Masters) so richtig an Fahrt aufnehmen. Diese Topturniere liess er heuer aus und könnte damit 2017 viele Punkte wettmachen.
Für viele Federer-Fans sind die Resultate zweitrangig geworden. Vielmehr freuen sie sich auf die Rückkehr des Ausnahmeathleten, der mit seiner Anwesenheit stets die gesamte Szene verzückt. Wie fühlt sich Federer, wenn er auf den Platz zurückkehrt? «Ich freue mich auf den Moment und frage mich: Werde ich viel Druck verspüren? Ich bin vor allem aber neugierig, wie die ersten sechs Monate verlaufen werden. Es wird aufgrund meiner Position interessante Konstellationen geben durch die Auslosungen», weiss Federer.
Ob er Angst vor grossen Erstrundenpartien hat? «Wenn ich vor etwas Angst oder Respekt habe, dann vor einer neuen Verletzung. Schlecht zu spielen, damit hätte ich kein Problem. Ich muss mir Zeit geben. Aber wenn ich so gut wie erhofft trainieren kann, denke ich, dass ich den Anschluss schnell schaffen werde.» Top Ten ohne Federer? Undenkbar!