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Das Rätsel um den Schweizer Zaubertrank: Wieso sind wir im Tennis so gut?

ARCHIV - IN ZUSAMMENHANG MIT DEM HEUTIGEN TENNIS FINALE IN WIMBLEDON AM SONTAG, 16. JULI 2017, STELLEN WIR IHNEN FOLGENDES BILDMATERIAL ZUR VERFUEGUNG - Defending champion Roger Federer reacts as he w ...
Der beste Schweizer Tennisspieler aller Zeiten: Roger Feder jubelt nach dem Sieg gegen Nadal 2007. Bild: AP GETTY POOL

Das Rätsel um den Schweizer Zaubertrank: Wieso sind wir im Tennis so gut?

Seit zwei Jahrzehnten halten eine Handvoll Schweizer den Weltsport Tennis in Atem. Jegliche Versuche, das Erfolgsrezept zu kopieren, sind gescheitert.
18.07.2017, 05:0824.01.2019, 08:50
Simon Häring, Wimbledon / Nordwestschweiz
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Stunden nach dem Hauptakt brandet auf dem Centre-Court noch einmal Jubel auf. Noch einmal werden Pokale verteilt. Noch einmal werden Reden gehalten. Noch einmal steht die Schweiz im Mittelpunkt: Martina Hingis (36) gewinnt mit dem Briten Jamie Murray das gemischte Doppel. Für sie ist es 20 Jahre nach ihrem Einzel-Erfolg der 23. Grand-Slam-Titel. Was anderswo für Jubelarien sorgt, ist in der erfolgsverwöhnten Schweiz derzeit nur eine Randnotiz. Denn zeitgleich feiert Roger Federer mit Freunden und Familie seinen historischen achten Wimbledon-Sieg. Und gibt danach zu, dass er etwas zu heftig gefeiert hat.

Seit über zwei Jahrzehnten ist die Schweiz im Tennis eine Weltmacht. Seit 1997 war sie nur einmal (2013) nicht im Final eines der vier Grand-Slam-Turniere vertreten. Mit Roger Federer bei den Australian Open und in Wimbledon sowie bei den US Open Stan Wawrinka, der zudem bei den French Open im Final stand, stellt sie bei drei der vier wichtigsten Turniere den Titelhalter. Rekordjäger Roger Federer hat seit 2003 19 davon gewonnen, Martina Hingis kommt auf 5 Einzeltitel, Stan Wawrinka auf deren 3. In den letzten 20 Jahren haben sie für 27 Grand-Slam-Titel gesorgt. Dazu kommen 511 Wochen an der Spitze der Einzel-Weltrangliste, Olympia-Medaillen und 2014 der Triumph im Davis-Cup.

Martina Hingis
Martina Hingis holte in Wimbleon den Titel im Mixed-Doppel
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Unterschiedliche Wege zum Erfolg

Gemessen an der Einwohnerzahl eine erstaunliche Bilanz, die Tennis-Nationen wie Spanien (21), Frankreich (4), oder Deutschland (3) die Schamesröte ins Gesicht treibt. Für Aussenstehende muss es so wirken, als würden die Strippenzieher des Schweizer Tennis über einen Zaubertrank verfügen, der laufend neue Sieger produziert. Doch die Frage, was die Schweiz im Tennis zur Premiummarke gemacht hat, ist vielschichtig, komplex und nicht abschliessend zu beantworten.

Die Schweizer Dominanz in Zahlen
Die Schweizer Dominanz in Zahlenaz

Roger Federer ist ein Ausnahmetalent, dessen Eltern die Ausbildung in die Hände des Verbandes gelegt haben. Martina Hingis bereits auf dem Tennisplatz, als sie kaum über die Netzkante sehen konnte. Stan Wawrinka gehört als Junior nicht zur ersten Garde, verlässt mit 15 sein Elternhaus und legt mit Trainer und Freund Dimitri Zavialoff im spanischen Castelldefels, einem Küstenort in der Nähe Barcelonas, den Grundstein für seine Karriere.Ihre Biografien sind so verschieden wie der familiäre und kulturelle Hintergrund. Federer, dessen Mutter aus Südafrika stammt, wächst in einem bürgerlichen Haushalt auf. «Ich war bloss ein kleiner Junge, der sich wagte, grosse Träume zu haben.» Wawrinka, sein Vater Wolfram hat deutsche und polnische Wurzeln, wächst auf einem Bauernhof auf. Martina Hingis kommt in Kosice, in der heutigen Slowakei, zur Welt und zieht mit acht Jahren ins Rheintal.

epa06064012 Stan Wawrinka of Switzerland in action against Daniil Medvedev of Russia during their first round match for the Wimbledon Championships at the All England Lawn Tennis Club, in London, Brit ...
Stan Wawrinka, ein weiterer Schweizer Weltklassespieler.Bild: EPA/EPA

Tennislehrer verdienen gut

Ein Faktor für den Erfolg mag die Vergangenheit als Einwandererland sein. In der Hochpreisinsel lässt sich mit Tennislektionen gutes Geld verdienen, das zieht nach 1968 zahlreiche Exil-Tschechoslowaken in die Schweiz. Zu ihnen gehört auch Adolf «Seppli» Kacovsky, der in Basel Federers erster Trainer ist. Mit dem 2002 bei einem Autounfall tödlich verunglückten Peter Carter, einem Australier, der bei den TC Old Boys als Trainer arbeitete, legt ein weiterer Ausländer den Grundstein in Federers Karriere. Heute gibt es hier rund 16 000 gut ausgebildete Personen, vom Jugendsportler bis zum professionellen Coach.2010 wird das Leistungszentrum in Biel um eine Akademie ergänzt, die auch Ausländern offensteht. Seither trainieren dort Spielerinnen wie die ehemalige Nummer 1, Caroline Wozniacki. Gute Trainingspartner für den Nachwuchs, für den mit Yves Allegro ein Ehemaliger verantwortlich zeichnet. Der Walliser gehörte im Doppel einst zur Weltspitze, nun möchte er zum Beispiel Simona Waltert (16), die in Wimbledon die Halbfinals erreichte, dorthin führen.

Trotzdem ist und bleibt Tennis ein Einzelsport. Dem trägt auch der Verband Rechnung und ist für individuelle Wege offen. Wie bei Belinda Bencic, Stefanie Vögele oder Henri Laaksonen, der lange in Finnland trainierte. Ohne finanzielle Unterstützung bleibt der Vorstoss an die Weltspitze Wunschdenken. Hier kommt Tennis-Mäzen Reinhard Fromm ins Spiel. Er alimentierte Stan Wawrinka bereits in frühen Jahren. Heute tritt er unter anderem bei Timea Bacsinszky, Henri Laaksonen und Rebeka Masarova als Geldgeber auf.

Was das Tenniswunder möglich gemacht hat

Wohlstand, Innovation und kurze Wege begünstigen das Tenniswunder. «Als Kind ging ich meist mit dem Fahrrad, zu Fuss oder mit den Inlineskates zum Tennisplatz», erinnert sich Martina Hingis. Swiss Tennis zählt 3619 Plätze, 607 davon in der Halle. Die Zahl der Lizenzierten hat seit 2003 zwar um 15'000 abgenommen, beläuft sich aber immer noch auf 160'000. Erfreulich stabil ist die Zahl der Junioren (14'000). Deshalb stehen die Chancen gut, dass die Erfolgsgeschichte auch nach Federer und Konsorten eine Fortsetzung findet. Rund 2.7 Millionen Franken investiert Swiss Tennis jährlich in den Spitzensport.

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Heinz Günthardt hat wesentlichen Anteil an den Erfolgen von Federer und Hingis.Bild: KEYSTONE

Ohne Heinz Günthardt (58), der heute ebenso eloquent wie fundiert für das Schweizer Fernsehen kommentiert und beim Verband als Berater tätig ist, hätte es die Karrieren von Hingis oder Federer vielleicht nie gegeben. Als er sich in den 1980er-Jahren dem Tenniszirkus anschliesst, ist die Schweiz auf der Tennis-Weltkarte noch ein weisser Fleck. 1985 gewinnt er im Doppel als erster Schweizer in Wimbledon ein Grand-Slam-Turnier. Selber sagt er, wenn es ein Rezept für den Erfolg gäbe, hätten grössere Nationen wie die USA, Frankreich oder Deutschland es längst kopiert. Die Gründe für das Schweizer Tenniswunder scheinen zahlreich, und doch bleiben sie schwer fassbar. Denn wie erfolgreich eine Karriere verläuft, hat letztlich auch viel mit dem Faktor Zufall zu tun.

So strahlt Federer beim Champions Dinner in Wimbledon

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17 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Dubliner
18.07.2017 07:44registriert März 2014
Wir haben einfach nur Glück, mit Federer, Stan und Hingis über drei absolute Ausnahmeerscheinungen zu verfügen. Mit einer starken "Tennis-Schweiz" hat das meiner Meinung nach wenig zu tun. Nach diesen drei kommt laaaange niemand mehr, der Grand-Slam-Turniere gewinnen kann.
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TodosSomosSecondos
18.07.2017 08:02registriert April 2016
Wir haben laut Expertenmeinungen von hüben wie drüben eine der besten Fussball Nachwuchsförderungen weltweit - die Bilanz: Es hat kein einziger Spieler von Weltformat dabei rausgeschaut nicht einer.. obwohl zugegebenermassen Rodriguez und Xhaka nah dran sind aber eben nur nah dran.

Man kann argumentieren, dass im Tennis die Konkurrenz viel kleiner ist, lasse ich aber nicht gelten, denn auch die Anzahl Junioren ist viel kleiner, die Leistungsdichte an der Weltspitze aber gleichwohl immens.

Bleibt nur eine Lösung. Es ist neben guter Nachwuchsförderung einfach grösstenteils purer Zufall.
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