Revierderbys sind per se speziell. Beim Aufeinandertreffen der verhassten Vereine Borussia Dortmund und Schalke 04 herrschen immer mehr Emotionen als bei «gewöhnlichen» Bundesligaspielen. Das ist an diesem Freitagabend nicht anders.
Schon gar nicht, weil die Ausgangslage in diesem Jahr aussergewöhnlich ist: Die beiden Teams treffen im Westfalenstadion als Primusse Europas aufeinander. Borussia Dortmund hat im Frühling die Champions League gewonnen und die «Königsblauen» ihrerseits den UEFA-Cup.
Von diesem Glanz ist beim BVB aber nicht mehr viel da: Unter Nevio Scala, dem Nachfolger von Ottmar Hitzfeld, läuft es nicht wirklich rund, das Team belegt in der Bundesliga nur Platz 11. Nicht viel besser läuft es Schalke, trotz erbarmungslosem Defensivfussball unter Huub Stevens.
Umso wichtiger wäre also ein Sieg an diesem 20. Spieltag, dem letzten vor der Winterpause. Dortmund, bei dem Stéphane Chapuisat nicht eingesetzt wird, ist diesem näher, geht in der 79. Minute nach einem schönen Freistoss von Andreas Möller zum zweiten Mal in Führung. Dies treibt Schalkes Goalie Jens Lehmann – ohne es zu diesem Zeitpunkt zu wissen – zu Historischem an.
Fortan stürmt der 28-Jährige, der beim ersten Gegentor mitschuldig war, bei jeder Standardsituation in den gegnerischen Strafraum – bis zum Ablauf der regulären Spielzeit erfolglos. Dann aber rutscht dem Schalker Marc Wilmots der Ball derart über den Rist, dass die Unparteiischen fälschlicherweise auf Eckball entscheiden, was natürlich Lehmann ein weiteres Mal auf den Plan ruft.
Es kommt, wie es kommen muss: Nach einer ungewollten, aber dennoch schönen Stafette gelangt der Ball an den weiten Pfosten, wo Jens Lehmann mutterseelenallein steht. Wie ein Stürmer, der nie etwas anderes gemacht hat, köpft er zum 2:2-Schlussstand ein. Lehmann freut sich riesig über sein zweites Meisterschaftstor (zuvor hat er schon einen Penalty verwandelt), das Ausmass dessen wird ihm aber erst nach Spielschluss zugetragen: Es ist der allererste Bundesligatreffer eines Torhüters aus dem Spiel.
Ein Kunststück, das nach ihm in Deutschland erst zwei weiteren Goalies gelungen ist. Im Gegensatz zum Tor von Frank Rost für Werder Bremen 2002 gegen Hansa Rostock wird das andere vielen noch prägnanter in Erinnerung sein. Zum einen, weil es noch nicht zwei Jahre her ist und zum anderen, weil es ein Schweizer erzielt hat: Im Februar 2015 gelingt Marwin Hitz für Augsburg dieses Prachtstück:
Lehmanns Karriere war nach dem Tor natürlich noch nicht zu Ende. 1999 wechselte er nach einem kurzen Abstecher bei der AC Milan ausgerechnet zum Revierrivalen Dortmund, mit dem er 2002 Meister wurde. Weiter ging es 2003 bei Arsenal (Meister 2004, Cupsieger 2005), ehe er seine Karriere 2008 bis 2010 beim VfB Stuttgart ausklingen liess. Ein weiteres Tor nach dem Dezember 1997 bleibt ihm jedoch verwehrt.