Es war ein rabenschwarzer Tag für Max*. Gewohnt geht der 58-jährige Aargauer im April letzten Jahres seiner Arbeit als kaufmännischer Angestellter nach. Doch dann passiert es: Um an einige Dokumente zu gelangen, dreht sich Max auf seinem Bürostuhl weg vom PC, bleibt mit dem Fuss am Boden hängen und verdreht ihn unglücklich.
Auf ein lautes Knackgeräusch folgen heftige Schmerzen in der rechten Hüfte. Für Max ist sofort klar: Da ging gerade seine Hüftprothese zu Bruch. Auch die Diagnose des Arztes, den Max wegen den tagelang anhaltenden Schmerzen aufsucht, stützt seine Befürchtungen. Das künstliche Ersatzgelenk ist hin.
Bei der Zürich Versicherung, die Max gegen Unfälle versichert hat, reicht der Büroangestellte die Schadenmeldung ein. Die Antwort des Versicherers folgt postwendend. Die Zürich Versicherung lehne die Leistungspflicht ab. Grund: Beim Vorfall auf dem Bürostuhl sei «kein ungewöhnlicher äusserer Faktor» festzustellen. Daher sei der Unfallbegriff (siehe Infobox am Ende des Artikels) nicht erfüllt.
Das will sich Max nicht gefallen lassen. Er legt beim Versicherungsgericht des Kantons Aargau Beschwerde gegen die Zürich Versicherung ein – und erhält Recht. Das Gericht gelangt zur Auffassung, dass das Unfallmerkmal der Ungewöhnlichkeit beim vorliegenden Fall durchaus gegeben sei. Eine «alltägliche Bewegung sei durch eine Programmwidrigkeit unterbrochen» worden.
So weist der Aargauer Richter den Fall zwecks Vornahme weiterer Abklärungen an die Versicherungsgesellschaft zurück. Diese beharrt allerdings weiter auf ihrem Standpunkt und legt wiederum Beschwerde gegen den Gerichtsentscheid ein, womit die Sache zum Fall für den Bundesrichter wird.
Dieser hält fest: Das Aargauer Versicherungsgericht hat den vorliegenden Fall zurecht an die Versicherungsgesellschaft zurückgewiesen. Weil Max beim Drehen auf seinem Bürostuhl mit dem Fuss am Boden oder Stuhlbein hängen blieb, sei dies als «Programmwidrigkeit einer ungeplanten Bewegungsanfolge» in einem sonst üblichen Vorgang im Büroalltag zu bezeichnen. Damit sei die «Ungewöhnlichkeit des äusseren Faktors» durch das Aargauer Gericht zurecht bejaht worden.
Auch der Versuch der Zürich, sich auf ein anderes Bundesgerichtsurteil zu berufen, blockt der höchste Richter ab. Der Sachverhalt jenen Urteils, das sich um einen Unfall beim Aussteigen aus einem Fahrzeug drehte, sei nicht mit dem vorliegenden Fall zu vergleichen.
Als fragwürdig erachtet das Bundesgericht schliesslich auch die Berufung der Zürich auf einen Untersuchungsbericht, der beweisen soll, dass die Ursache von Max' Prothesenbruch einer Materialermüdung zugrunde liegen soll. Denn die Versicherungsgesellschaft kann vor Gericht weder konkret darlegen, wer den Bericht erstellt hat, noch wann dieser erstellt wurde. Weiter kann das höchste Gericht nicht nachvollziehen, warum die Zürich den Bericht nicht bereits bei der Verhandlung vor dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau vorlegte.
Das Bundesgericht gelangt zum Urteil: Die Beschwerde der Zürich wird abgewiesen. Sie muss nicht nur die Verfahrenskosten in Höhe von 500 Franken übernehmen, sondern auch Max für das ganze Gerichtsverfahren mit 2'800 Franken entschädigen.
* Name geändert