Während der WM – und so war es schon immer – nippen Investoren lieber an einem kühlen Blond und ergötzen sich am Portfolio der Seleçao, statt auf dem Börsenparkett zu wirbeln und die wichtigsten Leitindizes vor sich her zu peitschen. Die Lust am Risiko weicht der Lust am Spiel mit Ball. Die derzeit lasche Dynamik an den Märkten und die tiefe Volatilität könnte aber auch Vorzeichen für Turbulenzen sein. Bereits seit längerer Zeit sind bei Devisen, Anleihen, Aktien, aber auch bei Rohstoffen wie Rohöl geringe Kursschwankungen zu beobachten. Im Börsenjargon spricht man dann von einer rückläufigen oder tiefen Volatilität.
Die Volatilität im MSCI All-Country World Index, der Aktien aus Industrie- und Schwellenländern verfolgt, erreichte im Mai mit 5,33 Punkten den tiefsten Stand seit 1996, wie aus den historischen 30-Tage-Daten hervorgeht, die Bloomberg zusammengestellt hat. Der auch als Angstindex bezeichnete Chicago Board Options Exchange’s Volatility Index – kurz VIX – schloss in den fünf Tagen bis Dienstag jeweils unter 12 Punkten; das war die längste Serie seit 2007. Der Fünfjahresschnitt des VIX liegt dagegen bei 19,9. Während der Finanzkrise war er auf über 80 Zähler geklettert. Gestern Donnerstag tendierte der VIX wieder über der 12-Punkte-Marke.
Felix Brill, Chefökonom von Wellershoff & Partners, spricht mit Blick auf das Marktgeschehen von einer nachlassenden Risikowahrnehmung. «Oder negativ ausgedrückt: von einer Sorglosigkeit.» Grund dafür seien die Suche nach Renditen in einem Umfeld tiefer Zinsen, der Glaube an eine anhaltende Unterstützung der Zentralbanken und die guten Konjunkturdaten. «Es wäre jedoch fahrlässig anzunehmen, dass die Volatilität auf Dauer so tief bleibt», sagt Brill.
Eine höhere Volatilität könnte sich im Sommer zeigen, wenn die saisonal dünnen Umsätze an den Börsen die Kursbewegungen noch verstärken. Klar ist: Je länger die Volatilität sinkt beziehungsweise tief bleibt desto wahrscheinlicher wird auch wieder eine Korrektur. So warnen auch Marktbeobachter: Insgesamt sollten Anleger bei der Auswahl von Aktien vorsichtig vorgehen, wobei sich derzeit vor allem Papiere aus den Industrieländern anbieten – insbesondere zyklische Werte aus dem Konsumbereich, der Industrie, der IT oder der Telekommunikation.
Bauchschmerzen bereitet den Börsianern derzeit die Lage im Irak. Unter dem Druck der islamistischen ISIS-Kämpfer droht das Land zu zerbrechen. Die irakische Regierung gerät zunehmend ins Hintertreffen im Kampf gegen die Richtung Bagdad vorrückenden Kampftruppen, die bisher vor allem durch Aktionen im syrischen Bürgerkrieg aufgefallen waren. Mittlerweile prüft die US-Regierung auch militärische Optionen.
Die Börsianer machen sich primär darüber Sorgen, dass die Kämpfe den Ölpreis in die Höhe treiben und dadurch die Weltwirtschaft beeinträchtigen könnten. Spekulationen auf eine Unterbrechung der irakischen Ölexporte trieben die Preise für die richtungsweisenden Sorten Brent und WTI jeweils auf ein Neun-Monats-Hoch von 113,76 und 107,68 Dollar je Barrel (159 Liter).