Wenn der ehemalige US-Präsident Bill Clinton nach der grössten Errungenschaft seiner Amtszeit gefragt wird, pflegt er zu antworten: NAFTA, das Freihandelsabkommen mit Kanada und Mexiko. Dieser Vertrag wurde in der Globalisierungs-Euphorie der 1990er Jahre abgeschlossen und gilt als Meilenstein auf dem Weg zu einer zollfreien Welt. Dieses ehrgeizige Ziel verfolgt auch Präsident Barack Obama. Er will gleich zwei und weit umfangreichere Handelsverträge durch den Kongress boxen: die TPP, ein Freihandelsabkommen mit Asien, und die TTIP, ein Freihandelsabkommen mit der EU. Doch dem Präsidenten werden von allen Seiten Knebel zwischen die Beine geworfen.
Im Kampf um NAFTA prägte der damalige unabhängige Präsidentschaftskandidat Ross Perot den Ausdruck «the great sucking sound» (das grosse Schlürfen). Er meinte damit das Geräusch, das entsteht, wenn die Jobs gleich massenweise ins Billiglohnland Mexiko abgeschoben werden. Perots Prognose ist nicht eingetroffen, einen direkten Zusammenhang zwischen NAFTA und der amerikanischen Arbeitslosenquote gibt es nicht. Aber Outsourcing, sinkende Löhne und steigende Ungleichheit haben dafür gesorgt, dass Freihandelsabkommen inzwischen beim US-Mittelstand sehr unbeliebt geworden sind. Der demokratische Präsident stösst daher nicht nur bei den Republikanern, sondern auch bei der eigenen Partei und den Gewerkschaften auf massiven Widerstand.
Das Abkommen mit Asien ist mittlerweile unterschriftsreif. Um es auch umsetzen zu können, braucht der Präsident jedoch eine so genannte «fast track»-Autorität des Kongresses. Das bedeutet konkret, dass der Präsident ermächtigt wird, den Vertrag als Ganzes dem Kongress vorzulegen und nicht jeden einzelnen Vertragspunkt. Ohne «fast track» sind die Verträge klinisch tot, weil die Verhandlungen praktisch nicht mehr durchzuführen wären. Es würde schlicht viel zu lange dauern.
Der demokratische Mehrheitsführer im Senat, Harry Reid, zeigt jedoch keinerlei Anzeichen, dass er gewillt ist, die Genehmigung zur «fast track»-Autorität zur Abstimmung zu bringen. Der alte Politfuchs befürchtet, dass dies vor allem seiner Partei im Zwischenwahljahr 2014 grossen Schaden zufügen könnte. Robert Scott von der linken Denkfabrik Economic Policy Institute nennt in der «Financial Times» die Gründe: «Diese Abkommen kosten Jobs und drücken die Löhne in den USA. Sie haben zu steigenden Unternehmensgewinnen und steigender Ungleichheit geführt.» Reid hat daher zu verstehen gegeben, er sei gegen eine «fast track»-Genehmigung und der Senat wäre gut beraten, dieses Geschäft nicht zu forcieren. Falls der US-Präsident an seinen hochfliegenden Freihandelsplänen festhalten will, muss er noch viel Überzeugungsarbeit in den eigenen Reihen leisten.
Weltweit ist die Freihandels-Euphorie am Abklingen. Der St. Galler Ökonomieprofessor Simon Evenett hat einen Freihandels-Alarm eingerichtet und warnt seit einiger Zeit vor zunehmendem Protektionismus. Die Welthandelsorganisation WTO befand sich nach dem Scheitern der Doha-Runde jahrelang im Koma. Im vergangenen Dezember wurde sie in Bali im letzten Moment vor einem möglichen Exitus gerettet. Mit Müh und Not konnten sich die Delegierten wenigstens darauf einigen, bürokratische Hürden im Freihandel abzubauen.
In Asien ist Freihandel ohnehin ein Fremdwort. Chinesen, Japaner, Inder und Koreaner setzen auf Merkantilismus, eine Wirtschaftspolitik, die ganz im Interesse des eigenen Landes steht. Der langjährige Asien-Korrespondet der NZZ, Urs Schoettli, erläutert dies in seinem Buch «Die neuen Asiaten» am Beispiel von China. «Wenn der chinesische Ölkonzern CNOOC eine Erdölquelle kauft, so wird und soll deren Ausbeutung primär, ja ausschliesslich China zugutekommen. Dasselbe gilt für die von Chinesen betriebenen Aufkäufe von Agrarland und Grundnahrungsmitteln in Afrika und Lateinamerika.» Die Vorstellung, dass eine Ölgesellschaft wie etwa Shell vor allem der Gewinnmaximierung ihrer Aktionäre dienen soll und daher auf Freihandel angewiesen ist, ist den Chinesen fremd.