Der Terroranschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt war so ziemlich das Letzte, was Angela Merkel noch gebrauchen konnte. Die Reaktion darauf war genauso deprimierend wie zu erwarten: Die AfD hetzt und die CSU poltert.
Der Terroranschlag ist ohne Zweifel Wasser auf die Mühlen der Rechtspopulisten. Und die AfD hat von Trump gelernt. «Das sind Merkels Tote», lautete die zynische Botschaft auf den sozialen Medien. Damit haben Frauke Petry & Co. einen Vorgeschmack geliefert, was im Wahlkampf im kommenden Herbst zu erwarten ist.
Eine massive nationalistische Welle im Innern ist nicht das einzige, und vielleicht nicht einmal das grösste Problem, mit dem sich die Kanzlerin im nächsten Jahr herumzuschlagen hat. Spätestens seit dem Brexit ist klar, dass die EU um grundlegende Reformen nicht herumkommen wird. Die Politik des «extend and pretend», will heissen; durchwursteln, ist nicht mehr aufrecht zu erhalten.
Im Vordergrund steht dabei die Zukunft des Euro. Dass die Einheitswährung in dieser Form gescheitert ist, darüber sind sich konservative Ökonomen wie Hans-Werner Sinn und linksliberale wie Joseph Stiglitz einig. In seinem Buch «The Euro» stellt Stiglitz fest, dass die europäische Wirtschaft wegen der Einheitswährung stagniert und Arbeitslosigkeit und Ungleichheit ein mehr als kritisches Mass erreicht haben.
stellt Stiglitz fest.
Was ist mit dem Euro schiefgelaufen? Im Zentrum steht Deutschland als wichtigste Wirtschaftsmacht Europas. Es hat seine Exporte inzwischen in die Höhe von acht Prozent des Bruttoinlandprodukts geschraubt – ein absurd hohes Ausmass – und macht auf diese Weise vor allem die südlichen Euro-Länder platt.
Drei Faktoren haben diese vermeintliche Stärke beflügelt: Deutschland hat Löhne und Sozialleistungen gekappt, eine unterbewertete Währung und Glück: Die deutsche Industrie stellt Güter her, die in den letzten Jahren sehr gefragt waren.
Unter der deutschen Wirtschaftsdominanz leiden längst nicht mehr nur Länder wie Griechenland und Portugal. Inzwischen ächzen auch Italien und Frankreich darunter – und deshalb wird es jetzt gefährlich.
Wegen des für ihre Verhältnisse zu starken Euros ist Italiens Wirtschaft nicht mehr wettbewerbsfähig. Ihr Output ist unter dem Stand vor der Finanzkrise. Zudem ist das Bankensystem schwer angeschlagen. Die Regierung hat soeben beschlossen, der Bank Monte die Paschi di Siena unter die Arme zu greifen.
Gemäss den Bail-in-Richtlinien der EU wäre das nicht erlaubt. Trotzdem ist es wenig wahrscheinlich, dass Deutschland dagegen protestieren wird, denn wenn die italienische Bankenkrise nicht bald gelöst wird, dann besteht die Gefahr, dass die EU-feindliche Fünf-Sterne-Bewegung zusammen mit der noch EU-feindlicheren Lega Nord an die Macht kommen – und damit der Euro implodieren könnte.
Gerade für Deutschland steht dabei enorm viel auf dem Spiel. Rund die Hälfte des mit den Exporterlösen erzielten Auslandkapitals von rund 1500 Milliarden Euro liegt auf den ominösen Target 2 Konten der Europäischen Zentralbank (fragt bitte nicht nach den Details). Wichtig ist einzig: Kracht der Euro zusammen, dann werden rund 750 Milliarden Euro deutsches Auslandvermögen de facto zu Monopoly-Geld. Das dem deutschen Steuerzahler zu erklären, dürfte nicht ganz einfach sein.
Geopolitisch wird die Lage für Deutschland ebenfalls heikel. Bisher ist es Angela Merkel gelungen, mithilfe der Amerikaner Wladimir Putin in Schach zu halten. Jetzt geht Donald Trump auf Schmusekurs mit Moskau und macht aus seiner Verachtung für Merkel kein Geheimnis.
Dazu kommt, dass auch in Frankreich im kommenden Frühjahr mit grösster Wahrscheinlichkeit einen russenfreundlichen Präsidenten haben wird: Entweder den erzkonservativen François Fillon oder die Putin-Versteherin Marine le Pen.
Bereits heute pilgern die europäischen Nationalisten en masse nach Moskau. Soeben haben Österreichs Freiheitliche mit Putins Partei «Einiges Russland» ein Fünfjahres-Abkommen abgeschlossen. Selbst Linke wie Sarah Wagenknecht huldigen aus rational nicht nachvollziehbaren Gründen Putin. Merkel sieht sich in dieser Frage immer mehr einer abstrusen Koalition von alt-Stalinisten und neo-Faschisten gegenüber.
Angesichts dieser Entwicklung stellt sich der britische Historiker Timothy Garton Ash im «Guardian» die bange Frage: «Wird die Mitte halten? Angesichts der populistischen Flut in Grossbritannien, Polen und den Vereinigten Staaten haben wir bisher Deutschland als das stabile und liberale Zentrum von Europa betrachtet – ja selbst des Westens. Deutschland ist das geografische, wirtschaftliche, politische und selbst das soziale Zentrum geworden, und im Zentrum dieses Zentrums sitzt Angela Merkel.»
Bequem sitzt sie da mit Sicherheit nicht.