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Terror, Eurokrise, Putin: Alle gegen Merkel

epa05684842 Participants of a vigil of right-wing groups are holding a sign that reads 'Merkel must go' in front of the German Chancellery in Berlin, Germany, 21 December 2016. They are leve ...
Demonstrationen gegen Merkel nach dem Attentat in Berlin.Bild: EPA/DPA

Terror, Eurokrise, Putin: Alle gegen Merkel

Die deutsche Bundeskanzlerin hat im nächsten Jahr den härtesten Job der Welt. Wird sie durchhalten?
22.12.2016, 15:3523.12.2016, 04:55
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Der Terroranschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt war so ziemlich das Letzte, was Angela Merkel noch gebrauchen konnte. Die Reaktion darauf war genauso deprimierend wie zu erwarten: Die AfD hetzt und die CSU poltert.  

Der Terroranschlag ist ohne Zweifel Wasser auf die Mühlen der Rechtspopulisten. Und die AfD hat von Trump gelernt. «Das sind Merkels Tote», lautete die zynische Botschaft auf den sozialen Medien. Damit haben Frauke Petry & Co. einen Vorgeschmack geliefert, was im Wahlkampf im kommenden Herbst zu erwarten ist.  

radar-reuters Zwei Tage nach dem Anschlag in Berlin hat die AfD im Regierungsviertel eine Mahnwache abgehalten. Mehrere Dutzend Menschen kamen zu der Veranstaltung, darunter auch Brandenburgs AfD-Frak ...
Der Ton gegen Merkel wird schärfer.

Eine massive nationalistische Welle im Innern ist nicht das einzige, und vielleicht nicht einmal das grösste Problem, mit dem sich die Kanzlerin im nächsten Jahr herumzuschlagen hat. Spätestens seit dem Brexit ist klar, dass die EU um grundlegende Reformen nicht herumkommen wird. Die Politik des «extend and pretend», will heissen; durchwursteln, ist nicht mehr aufrecht zu erhalten.  

Der Euro ist gescheitert

Im Vordergrund steht dabei die Zukunft des Euro. Dass die Einheitswährung in dieser Form gescheitert ist, darüber sind sich konservative Ökonomen wie Hans-Werner Sinn und linksliberale wie Joseph Stiglitz einig. In seinem Buch «The Euro» stellt Stiglitz fest, dass die europäische Wirtschaft wegen der Einheitswährung stagniert und Arbeitslosigkeit und Ungleichheit ein mehr als kritisches Mass erreicht haben.  

«Das Euro-System ist zerbrochen. Und wenn es nicht rasch repariert wird, werden die Kosten enorm sein. Das gegenwärtige System ist selbst mit Reformen nicht mehr tragfähig und auferlegt einer grossen Zahl seiner Bürger sehr hohe Bürden»,

stellt Stiglitz fest.

Was ist mit dem Euro schiefgelaufen? Im Zentrum steht Deutschland als wichtigste Wirtschaftsmacht Europas. Es hat seine Exporte inzwischen in die Höhe von acht Prozent des Bruttoinlandprodukts geschraubt – ein absurd hohes Ausmass – und macht auf diese Weise vor allem die südlichen Euro-Länder platt.  

Drei Faktoren haben diese vermeintliche Stärke beflügelt: Deutschland hat Löhne und Sozialleistungen gekappt, eine unterbewertete Währung und Glück: Die deutsche Industrie stellt Güter her, die in den letzten Jahren sehr gefragt waren.  

Italien ist nicht Griechenland

Unter der deutschen Wirtschaftsdominanz leiden längst nicht mehr nur Länder wie Griechenland und Portugal. Inzwischen ächzen auch Italien und Frankreich darunter – und deshalb wird es jetzt gefährlich.  

ARCHIV - ZUR BANKEN-KRISE IN ITALIEN UND DER KRISENBANK MONTE DIE PASCHI STELLEN WIR IHNEN DIESES ARCHIVBILD ZUR VERFUEGUNG – A picture dated 23 March 2016 shows Banca Monte dei Paschi di Siena (BMPS  ...
Eingang zur ältesten Bank Italiens.Bild: EPA

Wegen des für ihre Verhältnisse zu starken Euros ist Italiens Wirtschaft nicht mehr wettbewerbsfähig. Ihr Output ist unter dem Stand vor der Finanzkrise. Zudem ist das Bankensystem schwer angeschlagen. Die Regierung hat soeben beschlossen, der Bank Monte die Paschi di Siena unter die Arme zu greifen.  

705 Milliarden Euro werden zu Monopoly-Geld

Gemäss den Bail-in-Richtlinien der EU wäre das nicht erlaubt. Trotzdem ist es wenig wahrscheinlich, dass Deutschland dagegen protestieren wird, denn wenn die italienische Bankenkrise nicht bald gelöst wird, dann besteht die Gefahr, dass die EU-feindliche Fünf-Sterne-Bewegung zusammen mit der noch EU-feindlicheren Lega Nord an die Macht kommen – und damit der Euro implodieren könnte.  

Gerade für Deutschland steht dabei enorm viel auf dem Spiel. Rund die Hälfte des mit den Exporterlösen erzielten Auslandkapitals von rund 1500 Milliarden Euro liegt auf den ominösen Target 2 Konten der Europäischen Zentralbank (fragt bitte nicht nach den Details). Wichtig ist einzig: Kracht der Euro zusammen, dann werden rund 750 Milliarden Euro deutsches Auslandvermögen de facto zu Monopoly-Geld. Das dem deutschen Steuerzahler zu erklären, dürfte nicht ganz einfach sein.  

Zwischen Putin und Trump

Geopolitisch wird die Lage für Deutschland ebenfalls heikel. Bisher ist es Angela Merkel gelungen, mithilfe der Amerikaner Wladimir Putin in Schach zu halten. Jetzt geht Donald Trump auf Schmusekurs mit Moskau und macht aus seiner Verachtung für Merkel kein Geheimnis.  

Francois Fillon, member of Les Republicains political party and 2017 presidential candidate of the French centre-right talks to reporters at the end of a meeting of the European People Party in Brusse ...
Hat gute Chancen, französischer Präsident zu werden: Putin-Freund François Fillon.Bild: STRINGER/REUTERS

Dazu kommt, dass auch in Frankreich im kommenden Frühjahr mit grösster Wahrscheinlichkeit einen russenfreundlichen Präsidenten haben wird: Entweder den erzkonservativen François Fillon oder die Putin-Versteherin Marine le Pen.  

Hält das liberale Zentrum?

Bereits heute pilgern die europäischen Nationalisten en masse nach Moskau. Soeben haben Österreichs Freiheitliche mit Putins Partei «Einiges Russland» ein Fünfjahres-Abkommen abgeschlossen. Selbst Linke wie Sarah Wagenknecht huldigen aus rational nicht nachvollziehbaren Gründen Putin. Merkel sieht sich in dieser Frage immer mehr einer abstrusen Koalition von alt-Stalinisten und neo-Faschisten gegenüber.  

epa05583304 Parliamentary group leader Sarah Wagenknecht (L) and parliamentary representative Klaus Ernst of the party Die Linke standing in the hearing room of the German Constitutional Court in Karl ...
Greift Merkel von links an: Sarah Wagenknecht.Bild: EPA/DPA

Angesichts dieser Entwicklung stellt sich der britische Historiker Timothy Garton Ash im «Guardian» die bange Frage: «Wird die Mitte halten? Angesichts der populistischen Flut in Grossbritannien, Polen und den Vereinigten Staaten haben wir bisher Deutschland als das stabile und liberale Zentrum von Europa betrachtet – ja selbst des Westens. Deutschland ist das geografische, wirtschaftliche, politische und selbst das soziale Zentrum geworden, und im Zentrum dieses Zentrums sitzt Angela Merkel.»  

Bequem sitzt sie da mit Sicherheit nicht.

Merkels Gesichtszüge

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Merkels Gesichtszüge
Angela Merkel tätschtelt einen Kiwi namens Whau in Auckland – der Vogel schaut betreten zu Boden.
quelle: x00425 / nigel marple
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93 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Der Zahnarzt
22.12.2016 18:47registriert März 2016
Ich möchte daran erinnern, dass Deutsche Banken Griechenland Geld geliehen hatten und als Griechenland nicht mehr zahlen konnten, wurden nicht die Banken gezwungen das Geld abzuschreiben, sondern die Griechen zu Schuldsklaven degradiert. - Vielleicht wäre die Deutsche Bank Konkurs gegangen aber die Leute hätten gesehen, dass die Kapitalisten zur Verantwortung gezogen werden. Aber da die Reichen halt auch dank Merkel ungeschoren davon kommen, haben die Leute halt langsam genug.
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X23
22.12.2016 15:56registriert November 2016
Naja, Merkel hat mit Ihrer EU-Politik viele Länder demoliert. Vielleicht wird es Zeit für frisches Blut.
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Majoras Maske
22.12.2016 17:19registriert Dezember 2016
Und wenn es vielleicht ein grösseres Problem ist, dass über die EU hinaus geht? Warum wird der Rechtspopulismus auch in den USA möglich?

Die EU muss dringend demokratischer werden, denn wenn die Menschen sie und ihre Politik wirklich beeinflussen könnten, dann wäre sie auch akzeptierter.

Und vielleicht ist es auch eher eine Parteienkrise, weil die Menschen sich zu wenig vertreten fühlen, weil alles dasselbe ist, sie entgegen ihren Werten handeln und Politik sowieso nur noch der Verwaltung von Wirtschaftsinteressen dient. Es sind ja Parteien, die gegen Rechtspopulisten antreten und verlieren
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