Adam Schiff brachte es auf den Punkt. Nachdem Donald Trump jr. seine E-Mails mit dem Musik-Journalisten Rob Goldstone veröffentlicht hatte, erklärte er: «Das grösste Risiko für das Land besteht darin, dass die Russen kompromittierendes Material besitzen, mit dem sie die Politik des Präsidenten beeinflussen können.» Schiff ist demokratischer Abgeordneter aus Kalifornien und stellvertretender Vorsitzender des Untersuchungsausschusses im Repräsentantenhaus, der die Russland-Affäre untersucht.
Die Tragweite der Veröffentlichung dieser E-Mails beginnt langsam ins Bewusstsein der Amerikanerinnen und Amerikaner zu sinken. Und die Aussichten sind unerfreulich: «Jeder von uns sollte jetzt tief Luft holen», rät beispielsweise Kathleen Parker in der «Washington Post».
In der Russland-Affäre ist jetzt ein bedeutender Wendepunkt erreicht worden. Die Zeiten von «fake news» sind vorbei. Zu klar sind die Fakten, so klar, dass selbst die «New York Times», die den Skandal enthüllt hat, erstaunt feststellt:
Das Verhalten von Trump jr. lässt sich unter keinem Titel rechtfertigen. Seine E-Mails – die er übrigens nur deshalb veröffentlichte, weil er der «New York Times» zuvorkommen wollte – zeigen, dass er mehrfach gelogen hat.
Ebenso ist klar, dass es nur eine einzige Antwort auf die Anfrage des Boulevardjournalisten Goldstone gegeben hätte: Trump jr. hätte sofort das FBI informieren müssen, denn Wahlkampfhilfe von einem fremden Staat anzunehmen ist ein Verbrechen, besonders wenn es sich um den Erzfeind Russland handelt. Der demokratische Präsidentschaftskandidat Al Gore hat seinerzeit genau dies getan, als ihm in seinem Wahlkampf gegen George W. Bush ähnliche Avancen gemacht wurden.
Die ersten Schockwellen breiten sich aus: Im West Wing, dem Teil des Weissen Hauses, in dem der Stab des Präsidenten arbeitet, soll blankes Chaos herrschen und es würden heftige Insiderkämpfe toben, wird auf allen Medienkanälen vermeldet. Der Präsident selbst ist mehr oder weniger verstummt und hat einzig via seine Pressesprecherin verkünden lassen, sein Sohn sei eine «High-quality-Persönlichkeit».
Derweil wird darüber spekuliert, ob Trump jr. hinter Gitter wandern wird. Das ist unwahrscheinlich. Sein Vater kann ihn begnadigen. Ebenso wird gerätselt, ob der Präsident über das Treffen informiert war. Trump jr. bestreitet dies, doch niemand glaubt ihm. Die meisten Kommentatoren halten es für sehr wahrscheinlich, wenn auch noch für nicht bewiesen. Allgemein wird über die unglaubliche Naivität von Trump jr. gelacht. Stephen Colbert, Trevor Noah & Co haben für Tage ausgesorgt.
Das sind jedoch Nebenschauplätze. Die entscheidende Frage ist, was die politischen Konsequenzen sein werden. Innenpolitisch ist klar, dass der Präsident wohl den letzten Rest an Glaubwürdigkeit verspielt hat und dass die «dunkle Wolke» der Russland-Affäre noch lange über dem Weissen Haus wabern wird. Selbst Vize-Präsident Mike Pence geht vorsichtig auf Distanz, genauso wie einzelne Vertreter der Republikaner. Ob es gar zu einem Impeachment-Verfahren kommen wird, hängt davon ab, was der Sonderermittler Robert Mueller herausfinden wird.
Gravierend sind vor allem die aussenpolitischen Konsequenzen. Beim Treffen mit der russischen Anwältin waren bekanntlich auch Jared Kushner und Paul Manafort anwesend. Beide haben dieses Treffen bei der Sicherheitskontrolle verschwiegen. Im Fall von Trumps Schwiegersohn ist dies verheerend. Hat es noch mehr solche Treffen gegeben? Wenn die Antwort Ja lautet, dann wissen die Russen darüber Bescheid und können nun ein Mitglied des innersten Kreises im Weissen Haus damit unter Druck setzen.
Genau darauf spielt Adam Schiff im eingangs erwähnten Zitat an, und sollte dieser Verdacht zutreffen, dann heisst dies: Putin kann Trump erpressen und seine Politik beeinflussen. So gesehen sollten nicht nur die Amerikaner, sondern wir alle tief Luft holen.