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Ben Carson, 64, ist schwarz, er wurde von einer alleinstehenden Mutter in Detroit gross gezogen, er ist ein dutzendfach ausgezeichneter Wissenschaftler – sein grösster Erfolg war die Trennung von siamesischen Zwillingen – und er spricht mit sanfter Stimme. Viel mehr Anti-Trump geht nicht.
Aber: Ben Carson glaubt nicht an die Darwinsche Evolutionslehre, er bezeichnet Obamacare als die schlimmste Errungenschaft seit der Sklaverei, er beleidigt den schwarzen Präsidenten regelmässig, will nichts von Rassismus wissen und spricht davon, dass die Amerikaner in einem «Zeitalter der Gestapo» leben. Er ist Vegetarier, lehnt Homosexualität strikte ab und will den Sozialstaat auf ein absolutes Minimum reduzieren.
Als dieser extrem widersprüchliche Mann im Sommer seine Kandidatur als republikanischer Anwärter für die Präsidentschaft bekannt gab, erntete er nicht mehr als ein müdes Lächeln und ein paar Randnotizen in den Medien. Amerika hat reichlich Erfahrung mit Exoten, die sich berufen fühlen, ins Weisse Haus zu ziehen. Inzwischen hat Carson über 20 Millionen Dollar Spenden gesammelt und liegt in den Meinungsumfragen nur noch knapp hinter Donald Trump. Weit abgeschlagen folgen die «seriösen» Republikaner Jeb Bush und Marco Rubio. Was geht da ab?
Die grössten Fans hat Carson bei den Evangelikalen. Ein hoch dekorierter Wissenschaftler, der überzeugt ist, dass Gott die Welt erschaffen hat, ein tief gläubiger Mensch, der es allein aus bitterster Armut an die Spitze geschaffen hat, ein Prediger, der nichts von Homo-Ehe will und dafür plädiert, dass die Kinder am besten zuhause von ihren Eltern geschult werden, das ist für die Religiösen schon beinahe ein zweiter Messias.
Nicht zufällig erinnert Carsons Wahlkampf denn auch an ein «Great Awakening». So nennt man die religiösen Wellen, welche die Vereinigten Staaten seit den Tagen der Gründungsväter in regelmässigen Abständen überrollen. Sein Wahlkampfbus trägt den Slogan «Heal, Inspire, Revive» (Heile, Inspiriere, Erwecke). Seine Mission, ins Weisse Haus zu ziehen, hat er direkt während eines Gebetes von Gott erhalten. «Ich habe Gott geantwortet, alle Experten sagen, das sei unmöglich», erzählt Carson. Doch Gott habe ihm geraten, einfach weiterzumachen, die Türen würden sich bald öffnen. «Und jetzt fliegen die Türen geradezu auf, deshalb marschiere ich weiter», sagt Carson.
Nicht allein göttliche Hilfe ist im Spiel, wenn es um den Höhenflug des pensionierten Neurochirurgen geht. Wie Donald Trump profitiert er von der wachsenden Frustration des amerikanischen Mittelstandes. Caron gehört nicht zum Establishment und ist daher glaubwürdig. Deshalb kann er darauf zählen, dass auch Kleinvieh Mist macht. Rund 350'000 Spender haben seine Wahlkampfkasse mit mehr als 20 Millionen Dollar gefüllt.
In Carson sehen viele kleine Frauen und Männer den Heilsbringer, der die Jobs in den Fabriken zurück bringt und dafür sorgt, dass die Löhne wieder steigen. Schliesslich hat er ja bewiesen, wie man es von ganz unten nach ganz oben schafft. Die Hoffnungen dürften sich als trügerisch erweisen. Carson will nicht nur den Sozialstaat abschaffen, er will auch eine sogenannte Flat Tax einführen. Das würde bedeuten, dass alle Einkommen unabhängig ihrer Höhe mit dem gleichen Steuersatz von 15 Prozent belegt würden. Das käme einem riesigen Steuergeschenk an die Adresse der Superreichen gleich.
Die Superreichen zeigen sich deshalb neuerdings auch erkenntlich. Carson befindet sich derzeit auf einer Sammeltournee durch Kalifornien, wo der Eintritt zwischen 500 und 2700 Dollar beträgt. Sein Wahlkampfsprecher erklärt dies wie folgt: «Die Reichen haben zunächst abgewartet, bis Carson seine Wählbarkeit bewiesen hat. Jetzt sind sie daran interessiert, auch grössere Spenden zu tätigen.»
Die Exoten Carson und Trump haben jetzt ihren Auftritt, wenn es dann aber ernsthaft zur Sache geht, dann werden die Amerikaner wieder zur Vernunft kommen, lautet die gängige Meinung. Mag sein, doch der Frust des Mittelstandes und der Hass auf das Establishment sitzen so tief wie kaum je zuvor. Das bekommt auch Hillary Clinton zu spüren. Ihr vermeintlich chancenloser Rivale, der erklärte Sozialist Bernie Sanders, hat inzwischen ebenfalls mit Kleinstspenden rund 26 Millionen Dollar gesammelt. In den Bundesstaaten Iowa und New Hampshire liegt er bei Meinungsumfragen leicht in Führung. Das ist vor allem psychologisch wichtig, weil dort die ersten Ausmarchungen innerhalb der Parteien ausgetragen werden.
Die Amerikaner haben offensichtlich wenig Lust auf ein Duell zwischen Hillary Clinton und Jeb Bush. Sollte sich im kommenden Jahr auch noch die Wirtschaftslage eintrüben, dann wird es zumindest denkbar, dass ein exotischer Aussenseiter tatsächlich das Rennen machen wird.