Das Pew Research Center hat kürzlich in den Vereinigten Staaten eine landesweite Meinungsumfrage über das Image von verschiedenen Institutionen wie Banken, Medien und Universitäten durchgeführt. Ein Resultat ist dabei besonders aufgefallen: Bei den republikanischen Wählern ist das Ansehen der Hochschulen regelrecht eingebrochen. 2010 hatten noch 58 Prozent eine hohe Meinung von Harvard, Standford und Co., heute sind es bloss noch 36 Prozent.
Auf den ersten Blick ist dieses Resultat erstaunlich, wiederholen doch Politiker, Wirtschaftsführer, Professoren und Pfarrer jeder Couleur gebetsmühlenartig: Wir leben in einer Wissensgesellschaft. Bildung ist zur wichtigsten Investition geworden. Wer keinen Hochschulabschluss hat, wird es auf keinen grünen Zweig bringen, etc.
Auf den zweiten Blick hingegen macht dieses Resultat durchaus Sinn. Bildung ist kein Wert mehr an sich, wie es von Humboldt und Co. einst gefordert wurde. Sie ist zu einer Waffe im Klassenkampf geworden. Die neue Elite frönt nicht mehr dem Geltungskonsum, wie es der Soziologe Thorstein Veblen einst beschrieben hat. Für die neue gehobene Mittelklasse gilt, was Elizabeth Currid-Halkett in ihrem Buch «The Sum of Small Things» «unauffälligen Konsum» nennt.
Darunter versteht sie Bildung, Gesundheit, sich um die Kinder zu kümmern und einen Hochschulabschluss. «Das sind die Dinge, die heute einen Einfluss auf die Lebensqualität und den sozialen Aufstieg haben», stellt Elizabeth Currid-Halkett fest. «Und das sind die Dinge, für welche die Reichen sehr viel Geld ausgeben und durch die sie sich von allen anderen distanzieren.»
Mit teuren Autos und Luxusuhren zu protzen, ist längst die Sache von vulgären Neureichen oder Rappern geworden. Die neue Elite hingegen kümmert sich darum, dass die Mütter ihren Neugeborenen mindestens neun Monate lang die Brust geben und sie dann vom richtigen Kindergarten aufgenommen werden. Lebensmittel kauft man im Bioladen oder auf dem Wochenmarkt ein, ins Fitnesstraining geht man regelmässig.
Auf diese Weise sind die Klassenbarrieren unsichtbar geworden. Man hält sich die Mitglieder der unteren Schichten vom Leib, indem man die Grenzen so setzt, dass sie zwar gefühlt, aber nicht erkannt werden.
David Brooks, Kolumnist bei der «New York Times» hat dazu kürzlich ein treffendes Beispiel geliefert. Er wollte eine Bekannte ohne Hochschulabschluss zu einem Nobel-Italiener einladen, merkte aber, dass sie sich sichtlich unwohl fühlte. «Ich sah, wie sie beim Anblick von Ausdrücken wie ‹Padrino› und ‹Pomodore› und Zutaten wie Soppressata erstarrte», so Brooks. «Ich fragte sie, ob sie ein anderes Lokal bevorzuge, und sie sagte sofort ja.»
Besagte Kolumne hat in den USA eine grosse Kontroverse ausgelöst. In den sozialen Medien wurde sie heftig diskutiert und in der «New York Times» kommentiert. Werden Unwissen und Dummheit eine Tugend? Ist Bildung bloss ein unnützes Anhängsel einer weltfremden und arroganten Elite? Die Fragen sind begründet, schliesslich hat der Präsident selbst erklärt, er «liebe ungebildete Menschen». Universitäten erwähnt er kaum in seinen Reden, und als Bildungsministerin hat er Betsy De Vos eingesetzt, nach Meinung Vieler das unfähigste Mitglied in seinem Kabinett – und das will etwas heissen.
Die amerikanische Bildungsdiskussion lässt sich nur beschränkt auf die Schweiz übertragen. Wir haben eine leistungsfähige Volksschule und die Gebühren für die Universitäten sind noch bezahlbar. Ein Abschluss an einer US-Eliteuniversität wie Yale oder Princeton hingegen kostet ein mittleres Vermögen. Vor allem aber haben wir ein duales Bildungssystem, das uns hochqualifizierte Fachkräfte beschert. In den Vereinigten Staaten sind Lehre und Fachhochschulen noch weitgehend Fremdwörter geblieben.
Der Trend, die Bildung als Prestigeobjekt zu instrumentalisieren, ist jedoch auch hierzulande unübersehbar geworden. Mittelstandseltern ist jedes Mittel recht, ihre Kinder in die Gymnasien und Universitäten zu hieven. Die Universitäten haben derweil das humanistische Bildungsideal mit der Bologna-Reform den Bach hinuntergespült und sich auf einen stupiden Rankingwettlauf eingelassen. Ob ETH, HSG oder Universität Zürich: Wichtig scheint heute vor allem zu sein, welchen Platz man in dieser internationalen Bildungs-Hitparade belegt und wie oft man in richtigen Publikationen erwähnt wird.
Das Unbehagen mit der Bildung wächst auch hierzulande. Mit plumpen Angriffen auf die Geisteswissenschaften wird dies auch regelmässig von der SVP ausgenützt. Doch Bildung ist mehr als Prestige. Wollen wir die komplexen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts meistern, dann brauchen wir gut ausgebildete Menschen. Es ist jedoch ein Irrtum, Bildung instrumentalisieren zu wollen. Das Ideal einer zweckfreien Bildung, wie es die Humanisten der Aufklärung vertreten haben, ist nach wie vor unübertroffen. Nur gerät es leider immer mehr in Vergessenheit.