Sag das doch deinen Freunden!
«Es sieht nicht gut aus, es sieht überhaupt nicht gut aus», jammert Hao Hong, der für das Auslandgeschäft zuständige Chefstratege bei der chinesischen Bank of Communications International. Das kam man laut sagen, denn das neue Börsenjahr hatte einen miserablen Start – und seither scheint es immer schlimmer zu werden. Rund um den Globus zeichnet sich ein Aktiencrash in Raten ab.
Wie im vergangenen Sommer befindet sich das Epizentrum des Börsenbebens in Peking. Zuerst wurden enttäuschende Wirtschaftsdaten bekannt und dann senkte die Bank of China den Kurs des Renminbi (auch bekannt als Yuan) gegenüber dem Dollar. Beides zusammen hat die Investoren verunsichert und eine Negativspirale in Gang gesetzt: Je schwächer der Renminbi, desto tiefer die Aktienkurse und je tiefer die Aktienkurse, desto schwächer der Yuan.
Die chinesische Regierung setzt alle Hebel in Bewegung, um einen Crash wie im vergangenen Sommer zu verhindern. Sie hat angeordnet, dass der Handel mit Aktien für eine Viertelstunde ausgesetzt werden muss, wenn der Index mehr als fünf Prozent gefallen ist. Die Wirkung dieser «Abkühlphasen» ist jedoch umstritten. Sie können sogar das Gegenteil bewirken und die Panik anheizen.
Noch vor zehn Jahren hätten Börsenturbulenzen in China im Westen nicht viel mehr als ein Achselzucken ausgelöst. Das hat sich massiv verändert. Die chinesische Volkswirtschaft ist inzwischen die zweitgrösste der Welt, und der alte Spruch «Wen kümmert es, wenn in Peking ein Velo umfällt» ist nur noch dumm. Stattdessen gilt eine andere Binsenwahrheit: Wenn China hustet, bekommt der Rest der Welt eine Lungenentzündung.
Die Tatsache, dass auch Brasilien und Russland in grössten wirtschaftlichen Schwierigkeiten stecken, trägt nicht wirklich zur Beruhigung bei. Das brasilianische Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist im vergangenen Jahr mehr als drei Prozent geschrumpft. Die Aussichten für das laufende Jahr sind nicht besser. Hohe Inflation, steigende Staatsschulden und ein gigantischer Korruptionsskandal sorgen dafür, dass die Investoren auf breiter Front fliehen.
Russland ächzt unter dem nach wie vor fallenden Ölpreis. Gestern ist der Preis für ein Fass Brent erstmals seit 2008/09 unter 35 Dollar gefallen. Das erhöht den Druck auf den Rubel und die russischen Aktienkurse noch mehr und lässt die Frage aufkommen: Wie lange kann das noch gut gehen?
Der globale Mini-Börsencrash ist auch ein Zeichen dafür, dass die Nerven der Investoren blank liegen. Objektiv gesehen lassen sich nämlich auch sehr viele positive Aspekte ausmachen. Die amerikanische Wirtschaft hat sich erholt. In Europa scheint die Politik des billigen Geldes der Europäischen Zentralbank ebenfalls Wirkung zu zeigen. Selbst in Spanien und Italien wächst das BIP wieder. Der tiefe Ölpreis sollte zudem die Kaufkraft der Konsumenten stärken und die Nachfrage steigern.
Und was ist mit Nordkorea und der Wasserstoffbombe? Oder dem eskalierenden Konflikt zwischen Saudi-Arabien und dem Iran? Was mit Putins Allmachtsphantasien, dem blutigen «IS»-Terror und dem Gezänk der Europäer um Flüchtlingsquoten? All dies mag zur Nervosität an den Börsen beitragen, ist jedoch nicht matchentscheidend.
Wie Chefökonom Martin Wolf in der «Financial Times» aufzeigt, haben «externe Schocks» eine relativ kleine Wirkung. Seit 1946 hat die Weltwirtschaft (kaufkraftbereinigt) jedes Jahr zugelegt. «Sie wächst», schreibt Wolf. «Sie ist letztes Jahr gewachsen. Die plausibelste Annahme lautet, dass sie auch dieses Jahr wachsen wird.»
Doch Vorsicht: Börsen können gelegentlich auch komplett falsche Signale aussenden. Als der Erste Weltkrieg ausbrach, boomten die Aktienkurse – wenn auch nur für ein paar Tage.