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Putin stellt die Gesetze der Polit-Schwerkraft auf den Kopf

Russian President Vladimir Putin, top, competes against Musa Mogushkov, member of Russia Judo team during their training session in the resort city of Sochi, Russia, Friday, Jan. 8, 2016. After Russia ...
Nicht nur beim Judo bringt Putin seine Gegner aus dem Gleichgewicht.Bild: AP/POOL SPUTNIK KREMLIN
Kommentar

Putin stellt die Gesetze der politischen Schwerkraft auf den Kopf – ohne Soft Power

Russland ist wirtschaftlich am Boden und hat einen lausigen Ruf. Trotzdem wird es als Sieger der geopolitischen Spiele dieses Jahres gefeiert.
16.12.2016, 17:4517.12.2016, 10:09
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Der Harvard-Professor Joseph Nye hat der Politik einen neuen Begriff beschert: Soft Power. Darunter versteht er den Einfluss, den eine Nation mit kulturellen Werten wie Musik, Film, aber auch Universitäten und Lebensstil ausüben kann.  

Gemäss Nye hat Macht somit drei Dimensionen: Hard Power (militärische Macht), Wirtschaftsmacht und eben Soft Power. Er geht davon aus, dass in der digitalen Welt des 21. Jahrhunderts diese weiche Macht immer mehr an Bedeutung gewinnt. Diese Sicht der Geopolitik hat weltweit grossen Einfluss erlangt.  

«Der Status als Supermacht ist Gegenstand eines enormen russischen Nationalstolzes, und sein Verlust eine Tragödie.»
Walter Laqueur

Wladimir Putin stellt Nyes Theorie auf den Kopf. Nach dem Fall von Aleppo steht er als grosser Sieger der geopolitischen Machtkämpfe da. Er hat dabei einzig auf Hard Power gesetzt und mit seinen Jets die traditionsreiche syrische Stadt in Schutt und Asche gebombt.  

Russlands Wirtschaft leidet

Etwas anderes hat Putin auch gar nicht zur Verfügung. Wirtschaftlich ist Russland abhängig von Öl und Gas und leidet deshalb massiv unter dem Preiszerfall der fossilen Brennstoffe. Seit rund zwei Jahren steckt die russische Wirtschaft in einer schweren Rezession.  

Auch die russische Bevölkerung schrumpft. «Die meisten Voraussagen gehen davon aus, dass sie weiter schrumpfen wird», stellt Stephen Fidler im «Wall Street Journal» fest. «Bis zum Ende dieses Jahrhunderts von derzeit 144 Millionen auf rund 100 Millionen Menschen.»  

2016 AP YEAR END PHOTOS - People walk past World War II tanks at Dvortsovaya (Palace) Square in St.Petersburg, Russia, in the early morning at the time Nazi Germany attacked the Soviet Union 75 years  ...
St.Petersburg gilt als das Paris des Ostens.Bild: Dmitri Lovetsky/AP/KEYSTONE

Ausser ein paar herausragenden Schriftstellern und St.Petersburg hat Russland in Sachen Soft Power ebenfalls wenig zu bieten. Wir kennen keine russischen Rockbands, russische Filme sind meist einem elitären Publikum vorbehalten. Kein westlicher Student denkt daran, in Russland seinen Master zu machen – und russisches Essen ist gewöhnungsbedürftig.  

Stalin gilt nach wie vor als grosser Staatsmann

Die Russen sehen das anders. Selbst nach dem Fall der Sowjetunion betrachten sie sich als Grossmacht. Deshalb wird auch heute noch Josef Stalin von mehr als der Hälfte der Bevölkerung als grösster Staatsmann aller Zeiten verehrt. Er hat die UdSSR als Supermacht etabliert, «und dieser Status als Supermacht ist Gegenstand eines enormen Nationalstolzes, und sein Verlust eine Tragödie», schreibt Walter Laqueur in seinem Buch «Putinismus».  

Als US-Präsident Barack Obama Russland als «Regionalmacht» bezeichnete, hat er die Russen schwer gekränkt. Putin setzt alles daran, das Gegenteil zu beweisen. Dabei schreckt er vor schlimmsten Menschenrechtsverletzungen nicht zurück. Aleppo wird bereits mit Grosny, Dresden und Guernica verglichen, Städte, die aus zynischem Kalkül dem Erdboden gleichgemacht wurden.  

Putins Hard Power ist alt, aber wirksam

Dabei ist Putins Hard Power überschaubar. Er hat zwar am meisten Atomsprengköpfe, doch die eignen sich nur zur Abschreckung. Für die Verteidigung gibt Russland jedoch weniger aus als die USA, China, das Vereinigte Königreich, Indien und Saudi-Arabien. Als der einzige, 30-jährige russische Flugzeugträger im Herbst durch das Mittelmeer dampfte, machte er sich zum Gespött der restlichen Welt.  

epa05596278 A handout photograph made available by Dover Marina.com on 21 October 2016 showing Russian aircraft carrier Admiral Kuznetsov in the English Channel, 21 October 2016. The Russian Task Grou ...
Nicht mehr der Jüngste: der russische Flugzeugträger Kusnezow.Bild: EPA/ DOVER MARINA.COM

Wie also lässt sich Putins Erfolg erklären? «Seine Biografen messen seinen Judo-Fähigkeiten grosse Bedeutung zu», schreibt Fidler. «Dabei ist es wichtig, sofort zuzuschlagen, wenn der Gegner aus dem Gleichgewicht gerät.»  

Wie Putin das Machtvakuum ausgenützt hat

Der Westen ist derzeit kräftig aus der Balance geraten. Die EU ist mit sich selbst beschäftigt und geopolitisch gelähmt. Die USA haben nach Irak und Afghanistan null Bock, Bodentruppen in den Nahen Osten zu schicken. Barack Obamas Strategie, hinter den Kulissen zu führen, hat sich in Syrien als Rohrkrepierer erwiesen.

Dieses Machtvakuum hat Putin geschickt ausgenützt und sein Ziel, wieder auf Augenhöhe mit den Grossen mitmischen zu können, erreicht. Alles deutet darauf hin, dass er als nächstes einen Deal mit dem gewählten US-Präsidenten Donald Trump abschliessen wird. Wie sich das auf die Geopolitik auswirken wird, wissen derzeit nur die Götter. Aber eines scheint sicher: Mit Soft Power wird in naher Zukunft kein Blumentopf zu gewinnen sein.

Was Putin in seiner Freizeit macht

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Mit Putin in den Ferien
Der russische Präsident Wladimir Putin beim Pilzen in Sibirien am 26. August 2018.
quelle: epa/sputnik pool / alexei nikolsky / sputnik / kremlin pool / pool
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102 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Ivan der Schreckliche
16.12.2016 17:53registriert November 2015
"Und russisches Essen ist gewöhnungsbedürftig" Spinnsch?!😂
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Sophia
17.12.2016 01:42registriert Juli 2015
Dass Russland keine Kultur habe, stimmt nicht! Tschaikowsky, Puschkin, Dostojewsky, Pasternak und hundert andere sind Zeugen der grossartigen russischen Kultur. Ganz zu schweigen von den überragenden Wissenschaftlern auf fast allen Gebieten. Die Russen lieben unsere Kultur ebenso, wie ihre eigene, womit sie eindeutig belegen, dass sie eine Kulturnation sind. Leider haben sie einen Hang zu grossen Führern, sie lieben ihren Putin, der sie belügt und betrügt. Da sind die Russen kaum anders als die Amis, die werden vom Trump nicht besser bedient werden, nur bringt der seine Kritiker nicht um.
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Dingsda
16.12.2016 18:23registriert Dezember 2014
Löpfe demonstriert hier wieder mal die pure westliche Ignoranz und Arroganz, die unter anderem dafür verantwortlich ist dass sich Ost und West nicht entgegen kommen. Russland hat nichts zu bieten? Keiner kennt ihre Musik? Niemand mag russisches Essen? Keiner will dort studieren? Russland hat im alleingang Aleppo zerstört und kann nur mit roher gewalt ihre Ziele erreichen? Alles Quatsch! Man stelle sich vor; die Welt besteht nicht nur aus dem Westen, unseren Werten, Geschmäckern, Stil und Medien mit der entsprechenden sicht der Dinge. Es ist an Ignoranz kaum zu übertreffen, so zu denken!
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