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Birkenstock ist absolut in. Absolut out waren die Arbeitsbedingungen beim Hersteller der Gesundheitstreter – jedenfalls bis vor Kurzem

Unter anderem hier, im Rheinland-Pfälzischen Sankt Katharinen, werden die beliebten Sandalen gefertigt.
Unter anderem hier, im Rheinland-Pfälzischen Sankt Katharinen, werden die beliebten Sandalen gefertigt.Bild: Wikipedia(Wolkenkratzer

Birkenstock ist absolut in. Absolut out waren die Arbeitsbedingungen beim Hersteller der Gesundheitstreter – jedenfalls bis vor Kurzem

Über die Optik kann man sich streiten. Aber imagemässig verbinden die meisten Konsumenten mit der Marke Birkenstock Gesundheit, Nachhaltigkeit, «Made in Germany» und seit einiger Zeit auch wieder Trendyness. Was jedoch die wenigsten Fans wissen: Viele Jahre lang wurde die Auseinandersetzung mit den Arbeitnehmervertretern so erbittert geführt, dass sich einzelne Betriebsratsmitglieder Faustfeuerwaffen zulegten.
02.09.2015, 17:5703.09.2015, 14:08
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Wer «Birkenstock» hört, denkt automatisch an die beliebten Gesundheits-Schuhe, die mittlerweile zu einem echten Trendprodukt avanciert sind. Und obwohl es die Sandalen auf die internationalen Laufstege geschafft haben, schwingt dennoch ein gewisser Öko-Touch mit. Die Birkenstock-Sandale ist sozusagen ein ehemaliges Gesundheitsfreak-Produkt, das sich inzwischen auf einem breiteren Markt etablieren konnte.

Der gewisse Öko-Touch ist es wohl auch, der dafür sorgt, dass man automatisch von einem Produkt ausgeht, welches unter fairen Bedingungen hergestellt wird. Das mag in der Gegenwart auch zutreffend sein. Blickt man jedoch nur ein paar wenige Jahre zurück in die Vergangenheit, zeigt sich ein völlig anderes Bild.

240 Jahre lang ein Familienunternehmen

In den 1930er-Jahren gelingt dem derzeitigen Chef, Konrad Birkenstock, mit der Erfindung des «Fussbettes» ein erster kleiner internationaler Durchbruch. Dieses passt sich den Bewegungen und der Fussform des Trägers an – auch das Wort «Fussbett» ist somit eine Erfindung aus dem Hause Birkenstock. Zu dieser Zeit werden die ersten Produkte ins europäische Ausland, unter anderem auch in die Schweiz, geliefert.

1964 wird die Kult-Sandale erfunden.
1964 wird die Kult-Sandale erfunden.Bild: EPA

Als das Imperium wieder eine Generation weitergereicht worden ist – nämlich in die Hände von Karl Birkenstock – gelangt jenes Produkt, was wir heute alle kennen, auf den Markt: Das erste Modell der Birkenstock-Sandale erblickt im Jahr 1964 das Licht der Welt. Die 1960er-, 70er- und 80er-Jahre sind geprägt von einem unaufhaltsamen Aufstieg – schon zu diesem Zeitpunkt entsteht in den USA der grösste Markt für Birkenstock überhaupt.

Eine «Betriebsratsphobie» bringt die Firma ins Wanken

Karl Birkenstock ist es dann aber auch, der dafür sorgt, dass der Ruf des Unternehmens schwerwiegend beschädigt wird. Denn der Mann, der als konservativer Patriarch gilt, wehrt sich strikt dagegen, dass in seinem Unternehmen ein Betriebsrat gegründet wird. Schon ab den 1980ern besteht dieser Konflikt zwischen Konzernleitung und einzelnen Niederlassungen – im April 1993 passiert es dann aber doch: Zum ersten Mal in der Geschichte des Imperiums tut sich in einer Tochterfirma – namentlich der «Birko Schuhtechnik GmbH» in Sankt Katharinen – ein Gremium zusammen, das von nun an die Interessen der Arbeitnehmer vertreten soll.

Was dann geschieht, wird in einem Bericht der Zeit aus dem Jahr 1996 ausführlich beschrieben. Die «Birko Schuhtechnik GmbH» ist mit 700 Beschäftigten zu diesem Zeitpunkt die grösste Tochtergesellschaft, die übrigen 1300 Mitarbeiter verteilen sich auf sechs weitere Standorte in Deutschland. Die ersten Forderungen des frisch gegründeten Betriebsrates lauten folgendermassen: Man wünsche sich vorschriftsmässig ausgerüstete Erste-Hilfe-Schränke, Sitzbänke vor der Kantine und gerechtere Prämien.

Abmahnungen, Entlassungen und Drohanrufe

Doch die Firmenspitze zeigt sich wenig kooperativ und setzt stattdessen auf Konfrontation. Nachdem sich Karl Birkenstock Ende 1993 vom Betriebsrat grosse Vorwürfe anhören muss, beschliesst er kurzerhand, die Erfolgsprämien ganz zu streichen. Ausserdem droht er, das Werk im Rheinland-Pfälzischen Sankt Katharinen ganz zu schliessen.

So gelingt es ihm, sein Unternehmen in zwei Lager zu teilen: Auf der einen Seite stehen jene, die zu ihm halten, auf der anderen Seite die «Anhänger» des Betriebsrates. Gegen Letztere wird von nun an ständig Druck ausgeübt – mittels Abmahnungen, wüster Briefe und Entlassungen.

Nachdem die Unternehmensleitung eine Liste mit den Namen – und Adressen – der Betriebsratsmitglieder verteilt, erhalten diese anonyme Drohanrufe. Einige weibliche Mitglieder legen sich aus Angst Gaspistolen zu. Als der damalige Betriebsratsvorsitzende behauptet, von einem Birkenstock-Manager im Auto bedrängt worden zu sein, wird dafür gesorgt, dass die Betriebsratsmitglieder ab sofort von Polizeiwagen nach Hause eskortiert werden.

63 hartnäckige Mitarbeiter werden zermürbt

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Um den Betriebsrat endgültig aus dem Weg zu räumen, beschliesst Karl Birkenstock, die Birko Schuhtechnik GmbH zu zerschlagen, indem er die Angestellten zwingt, zu kündigen und in einer der neuen Tochterfirmen weiterzuarbeiten. Ein Grossteil der Angestellten stimmt zu. Sie arbeiten ab sofort in einem Werk, an dessen Eingang ein Schild mit der Aufschrift «Betriebsratsfreie Zone» befestigt ist und dessen Firmennamen – ironischerweise – «Happy Schuh», «Betula» oder «Albero» lautet. 

Doch 63 Mitarbeiter bleiben hartnäckig, sie lassen sich nicht erpressen. Also denkt sich Birkenstock einen Plan aus, der die restliche Belegschaft zermürben soll: Im August 1995 mietet er zwei leere Lagerhallen an. In der einen «arbeiten» die Männer, in der anderen die Frauen. Gegenseitiges Besuchen ist verboten. Und arbeiten dürfen die Angestellten auch nicht wirklich. 

Zu Anfang sollen sie noch Lederreste sortieren, ab Dezember bekommen sie überhaupt keine Aufträge mehr. Christian Birkenstock, der 23-jährige Sohn des derzeitigen Firmenchefs, darf diese neue Tochterfirma namens «DeP» (kurz für «Durchführung einfacher Produktionsarbeiten») leiten. Er will den Angestellten das Häkeln, Stricken und Zeitungslesern während der «Arbeitszeit» verbieten, kommt damit vor Gericht aber nicht durch.

Fans wenden sich ab

Länger als ein halbes Jahr bleiben diese Zustände bestehen: Weil die Angestellten keine Aufträge bekommen, aber dennoch ihren Lohn erhalten, soll dieses Unterfangen das Birkenstock-Imperium jeden Monat 200'000 Deutsche Mark gekostet haben.

Dieses gesamte Drama bleibt nicht ohne Folgen: Über 100 Prozesse gewinnt der ehemalige Betriebsrat vor dem Arbeitsgericht gegen die Firmenleitung, zudem erhält Karl Birkenstock einen Strafbefehl über 15'000 Mark – weil er die Betriebsräte «Idioten» genannt hat. 

Und auch an den Fans der Gesundheits-Schuhe geht die Sache nicht spurlos vorbei: So beschliessen einige, den Konzern zu boykottieren, indem sie – wie beispielsweise ein Spital aus Regensburg – keine neuen Birkenstock-Sandalen mehr bestellen. Ein gar nicht mal so geringer Verlust, hatte das Haus in den vorherigen fünf Jahren immerhin Sandalen für 25'000 Mark geordert.

Weitere Skandale folgen

Dieser mehrere Jahre andauernde Streit zwischen Firmenleitung und Angestellten stellt in der Geschichte des Birkenstock-Imperiums sicher den Negativ-Höhepunkt dar. Doch das war bei Weitem nicht die einzige Krise. Mitte der 2000er-Jahre kommt es beispielsweise zu einem regelrechten «Sandalen-Krieg» zwischen dem Unternehmen und Susanne Birkenstock, einer Ex-Schwiegertochter von Karl Birkenstock.

Diese hatte nach der Trennung von Ehemann Christian Birkenstock ihre eigene Schuhfirma gegründet. Weil sie aber weiterhin mit dem Namen Birkenstock dafür geworben haben soll, wurde sie von ihrem Ex-Mann und dessen Anhang mit Prozessen überhäuft.

Im März 2015 kommt es dann erneut zu einem Skandal: Der «Spiegel» verrät damals, dass einige Tochterunternehmen ihren weiblichen Angestellten bis ins Jahr 2013 weniger Lohn bezahlt haben sollen als den männlichen. Nachdem eine betroffene Frau Klage eingereicht hatte, wurde der Schuhproduzent zur Nachzahlung der Lohndifferenz von rund 7500 Euro verurteilt. Zudem erhielt die Mitarbeiterin eine finanzielle Entschädigung in Höhe von 6000 Euro. Der Erfolg dieser Frau hatte eine regelrechte Klagewelle zur Folge.

Schluss mit dem Familienerbe

Trägst du Birkenstock-Sandalen?

Trotz all dieser Querelen geniesst das Unternehmen heute einen ganz hervorragenden Ruf. Grund dafür ist wohl die grosse Umstrukturierung, die im Jahr 2013 stattgefunden hat: Zum 1. Oktober hat der Schuhhersteller den Wandel vom losen Verbund aus 38 Einzelunternehmen zu einer Gruppe mit drei Geschäftsbereichen – Produktion, Vertrieb und Services – vollzogen. An der Spitze des Unternehmens steht dann auch zum ersten Mal ein Führungsteam, das nicht aus der Familie stammt.

Von Beginn an plant die neue Unternehmensspitze Grosses: Die knapp 2000 Beschäftigten sollen von der Umstrukturierung profitieren, neue Arbeitsplätze geschaffen und die Anzahl der verkauften Paare bis Ende 2020 verdoppelt werden. Statt wie bisher in 80 Länder will das Unternehmen zukünftig seine Produkte in 130 Staaten verkaufen. Ausserdem kündigen die neuen Geschäftsführer an, viel Geld in die Marketing-Abteilung ihrer Firma stecken zu wollen.

Mit dieser Strategie scheinen die «neuen» Birkenstock-Macher gut gefahren zu sein. Inzwischen sind ihre Produkte kaum mehr aus dem Alltag wegzudenken. Und auch den neusten Skandal, der wie oben erwähnt erst im Jahr 2015 an die Öffentlichkeit geraten ist, konnte die Unternehmensleitung gekonnt abfedern: Denn die dort aufgezeigten Missstände sind auf eine Zeit zurückzuführen, als die operative Führung des Unternehmens noch in den Händen des Birkenstock-Clans ruhte.

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