Hurrikan, Bergsturz und Gletscherabbruch: Einen besseren Zeitpunkt zur Lancierung Ihres Buches hätten Sie nicht wählen können.
Rundum bricht alles
zusammen, das stimmt tatsächlich.
Wird das wie nach Fukushima Folgen haben?
Ich befürchte nein.
Selbst Leute, die viel Verständnis für Umweltfragen haben, sagen schliesslich:
Ich brauche trotzdem ein Auto, denn ich wohne in Bäretswil. Das ist dann das
Ende der Diskussion. Dabei ist längst bewiesen, dass Pendeln der grösste
Unglücksfaktor in der modernen Gesellschaft geworden ist. Und das Bundesamt für
Raumplanung hat kürzlich eine Studie veröffentlicht, die aufzeigt, dass die
Umweltkosten auf dem Land rund drei Mal grösser sind als in der Stadt.
Ökologisch gesehen ist das Landleben also ein
Unsinn.
Ja. Deshalb sagen wir
in unserem Buch auch nicht: Hört mit dem Autofahren auf. Wir sagen: Kommt in unsere
tolle Siedlung in der Stadt. Das funktioniert auch. Wenn es bezahlbare
Wohnungen gibt, dann kommen die Menschen in die Stadt.
Leider kommen Sie mit Ihrer Anderen Stadt ein
bisschen spät.
Der ideale Moment wäre
tatsächlich in den Siebzigerjahren gewesen, als es wegen der Ölkrise noch
autofreie Sonntage gab, und als der Club of Rome seine Öko-Kollaps-Warnungen
publizierte. Die Umweltaktivistin Naomi Klein sagt bekanntlich: Wenn wir eine
ökologische Gesellschaft haben wollen, dann müssen wir den Kapitalismus
abschaffen. Leider spielten die Kapitalisten dabei nicht mit und bescherten uns
stattdessen den Neoliberalismus.
Ihre Alternative ist eine starke Einschränkung
der individuellen Freiheit. Der Fleischkonsum, die Auto- und Flugkilometer,
alles wird erfasst und gegeneinander aufgerechnet.
In unserem Buch steht
nirgends, was die Menschen zu tun haben. Wir zeigen nur auf, was geschehen
wird, wenn sie machen, was sie jetzt machen.
Der politische Wille, unsere Vorschläge umzusetzen, ist nicht Teil
unseres Buches. Ich bin ja nicht mehr der Jüngste. In meiner Jugend gab es
höchstens zwei Mal in der Woche Fleisch.
Trotzdem habe ich eine glückliche Jugend verlebt. Ich wusste einfach
noch nicht, dass man ein Auto braucht, um glücklich zu sein.
Sie schreiben auch: «Kleinstädte bedeuten den
Tod.»
Ich übertreibe gerne.
Tatsache ist: Würden alle Menschen in einer Stadt wie Paris leben, dann würden
sie bloss sechs Prozent der Erdoberfläche beanspruchen. Leben die Menschen aber
so wie die Bewohner von Houston in Texas, dann brauchen sie die Fläche von der
Hälfte von Europa. Das hat gewaltige Konsequenzen für die Umwelt, denn die
Menschen auf dem Land wollen die gleichen Bequemlichkeiten wie die
Stadtbewohner. Würden sie auf dem Land leben wie in den Fünfzigerjahren, wäre
das kein Problem. Aber sie sind mit dem Offroader unterwegs, posten im Aldi und
schicken ihre Kinder aufs Gymnasium.
Es gibt doch auch sehr idyllische Dörfer in der
Schweiz.
Wir sollten nicht der
Versuchung erliegen, Dörfer zu idealisieren. Die Stadt ist ökologisch viel
effizienter. Öko-Dörfer gibt es nicht, denn Dörfer sind strukturell schlecht.
Einfamilienhäuser auf dem Land sollte man nicht sanieren, sondern abbrechen.
Das hat mir übrigens auch ein grosser Bauunternehmer kürzlich bestätigt.
Inzwischen nehmen auch kommerzielle
Immobilienfirmen die Ideen der Alternativszene auf. In Green-City, einer
grossen neuen Überbauung in Zürich, werden die Bewohner mit einer App überwacht
und angehalten, ihren Energiekonsum unter Kontrolle zu halten. Kritiker
sprechen daher von einer Öko-Diktatur oder gar einem Öko-Faschismus.
Wenn wir schon von
Faschismus sprechen müssen, dann lieber vom Finanz-Faschismus à la Trump. Was
Green-City betrifft: Die haben ein sehr gutes Energie-Konzept. Sie können für
die rund 5000 Bewohner fast die gesamte Wärme mit nachhaltiger Energie
erzeugen. Nur ist es eine Illusion zu glauben, wir können in kurzer Zeit der
gesamten Schweiz ein solches Energiekonzept verpassen. Das dauert 50 bis 60
Jahre – und bis dann ist die Erde möglicherweise kaputt. Deshalb müssen wir in
erster Linie den Verbrauch drosseln.
Das heisst konkret: Wohnraum und Autokilometer
reduzieren.
Das funktioniert
jedoch nur, wenn der Ort, an dem die Menschen leben, spannender wird. Das ist
in Green-City leider nicht der Fall. Was dieser Überbauung fehlt, ist die Anmut
und das Leben. Es ist letztlich immer noch eine Schlafstadt.
Was, ausser einem Café, einem Veloladen und
einer Bäckerei, kann man in einer solchen Überbauung unterbringen?
Nagel-Shops sind der
grosse Renner. Ernsthaft: Lebensmittelverarbeitung. Lebensmittel sind für einen
Drittel der Umweltbelastung verantwortlich. Es lohnt sich also, dort den Hebel
anzusetzen. Es macht zudem sehr viel Spass. Deshalb befasst sich der
grösste Teil unseres Buches mit Lebensmitteln und ihrer Verarbeitung. Was ist am
lustigsten an einer Veranstaltung wie dem Theaterspektakel? Die Beizen.
Mit anderen Worten: Die ideale Wohnsiedlung der
Zukunft ist ein permanentes Theaterspektakel?
Genau genommen heisst
Spektakel Alltag. Dieses Spektakel finden wir manchmal noch in italienischen
Städten, das Geschrei und die Wäscheleinen über den engen Gassen. Das geht
jedoch nur, wenn die Gassen eng sind. In Green-City sind sie viel zu breit. Das
mag sich für ein Rollator-Rennen eignen, aber nicht für eine wohnliche Stadt.
Ihre Andere Stadt ist eingebettet in die
Commons. Was hat man darunter zu verstehen?
Commons bezieht sich
auf den englischen Begriff «commoners» und bedeutet «gewöhnliche Menschen».
Unter commons versteht man auch, was wir im Deutschen «Allmend» nennen. Wenn
wir von Commons sprechen, dann meinen wir also, dass gewöhnliche Menschen etwas
gemeinsam unternehmen.
Was heisst das konkret?
Die Ökonomin Elinor
Ostrom hat untersucht, wie beispielsweise die Schweizer Alpwirtschaft nach
Commons-Regeln organisiert war. Sie hat dafür übrigens den Nobelpreis erhalten.
Die Alpwirtschaft hat funktioniert, weil es strenge Regeln gab. Commons heisst
also nicht: Alles gehört allen. Menschen sind kompliziert, und das
Commons-Prinzip funktioniert nur, wenn es sehr spezifische Regeln gibt.
Was wäre ein aktuelles Commons-Beispiel?
Eine
genossenschaftlich organisierte Wohnsiedlung.
Ist Commons damit einfach ein modisch
aufgepeppter Begriff für Genossenschaft?
Da ist etwas Wahres
dran. Auch in Genossenschaften gilt das Prinzip: Jeder gibt, was er kann und
erhält, was er braucht. Das ist heute teilweise auch bei unserem Schul- und
Gesundheitswesen der Fall. Doch Commons ist etwas sehr Komplexes. Kapitalismus
ist im Vergleich sehr viel einfacher.
Was ist daran so kompliziert?
Die Frage der
Abgrenzung. Das hören meine linken Freunde nicht so gerne. Man kann die Grenzen
zwar durchlässig gestalten und die Regeln demokratisch aushandeln, aber diese
Regeln müssen sehr genau abgestimmt sein auf das, was man macht. Darum sind
heute schon die Statuten einer Wohngenossenschaft erschreckend kompliziert.
Genossenschaften gelten gelegentlich als ein
bisschen spiessbürgerlich. Man wirft ihnen auch vor, sie würden sich abkapseln.
Das grösste Problem
liegt darin, dass es zu wenige davon gibt. Die Genossenschaften würden noch so
gerne alle aufnehmen, aber sie haben schlicht zu wenig Bauland, das nicht überteuert
ist.
Und was ist mit dem Mief der vielen Regeln?
Max Frisch sagte
einst: Die Starken lieben die Freiheit, die Schwachen Gesetze. Wenn man Regeln
demokratisch festlegen kann, dann nützen sie meistens den Schwachen. Commons
sind übrigens nicht automatisch demokratisch. Die sowjetischen Gefangenenlager,
die Gulags, waren äusserst autoritäre Commons. Man muss äusserst liberal sein,
um vernünftige, demokratische Commons-Strukturen zu erhalten.
Wie gelangt man zu diesen demokratischen
Commons-Strukturen?
Inzwischen gibt es
sehr viele Profis, die wissen, wie man diese Prozesse managen muss, und dieses
Wissen in Workshops vermitteln.
Muss ich mich also nicht stundenlang durch Vollversammlungen
mit den ewig gleichen Diskussionen quälen?
Nein, das geschieht nur
dann, wenn es keine Grenzen und keine festen Regeln gibt. Die Occupy-Bewegung
hat diesen Fehler exemplarisch gemacht, deshalb ist sie auch gescheitert.
Überhaupt hasse ich den Begriff «Bewegung». Faschisten lieben ihn, die Nazis
nannten sich am Anfang «die Bewegung». Auch Trump wähnt sich als Anführer einer
Bewegung. Mich interessiert nicht, ob sich etwas bewegt, sondern wohin.
Ist Commons letztlich Sozialismus in einem
neuen Kleid?
Commons hat auch eine
marxistische Tradition, aber keine sowjetische. Die UdSSR war im Grunde
genommen ein kapitalistisches Unternehmen, mit schlechteren Löhnen und ohne
Demokratie. In Moskau haben nicht die Nachbarschaften miteinander bestimmt, wie
sie ihre Probleme lösen.
Ihre Nachbarschaft umfasst rund 500 Menschen.
Lässt sich das Commons-Prinzip auch weiter ausdehnen?
Ja. Es ist wie in der
Physik, man kommt vom Quark zum Atom und vom Atom zum Molekül, dann zu einer
Zelle – und irgendwann zu einem Menschen. Man muss mit Quanten und einem
modularen System operieren. 500 Menschen sind ein gutes Quantum. Dann folgt das
nächst grössere Quantum, 20'000 Menschen, ein Quartier. Das nächste Quantum ist
die Andere Stadt, etwa 1'500'000 Menschen, dann kommt ein Territorium wie die
Schweiz, und dann die gesamte Welt. Entscheidend ist, dass die Quanten klar
abgegrenzt und die Regeln eindeutig sind.
Wie halten Sie es mit der Nation?
Die grossen Nationen
sollten aufgespaltet werden. Das geschieht teilweise schon. Trump ist im
Begriff, die USA abzuschaffen. Alle Bundesstaaten beginnen zu machen, was sie
wollen. Die grossen Städte wie New York oder San Francisco sind äusserst
Trump-feindlich.
Commons tönt auch nach «zurück zur Natur».
Stimmt das, und wie halten Sie es mit der Digitalisierung?
Sie soll endlich
kommen. Ein wichtiger Teil unseres Buches befasst sich mit dem Internet. Die
Andere Stadt ist physisch langsam und digital schnell. Kreativität findet heute
in einem Google-Büro statt. Und diese Menschen treffe ich dann wieder auf dem
Acker der Genossenschaft «orto loco», wo sie in der Freizeit Rüebli anpflanzen.
Ich bin für so viel Technologie wie möglich – wenn sie am richtigen Ort
eingesetzt wird.