Alle reden von der Blockchain. Aber wissen wir
auch, wovon wir reden?
Es ist in der Tat enorm
schwierig zu erklären. Der Blockchain-Gemeinschaft fehlen bis heute gute
Bilder. Ich sage den meist jungen Anhängern jeweils: Wenn ihr glaubt, ihr könnt
die Gesellschaft mit etwas beglücken, das niemand versteht, dann wird sich das letztlich
gegen euch wenden.
Der typische Blockchain-Fan ist ein 20- bis
30-jähriger Fan. Sie sind ein gestandener Schweizer Banker. Wie sind Sie auf
die Blockchain gekommen?
Ich habe mich vor zwei
Jahren über eine grottenschlechte Artikelserie im «Economist» geärgert. Da habe
ich mir gesagt: Entweder lässt du das mit der Blockchain bleiben – oder du
willst es wirklich verstehen. Ich habe mich für die zweite Variante
entschieden.
Wie erklären Sie den aktuellen Blockchain-Hype
und Kryptowährungs-Boom?
Zunächst: Blockchain
und Kryptowährungen sind nicht gleichbedeutend. Blockchain ist eine Technologie
wie das Internet. Wenige Menschen können das Internet erklären, aber die
meisten wenden es an. Kryptowährungen sind ein kleiner Spezialfall einer
Anwendung der Blockchain.
Was vermag die Blockchain zu leisten?
Sie kann eines der
Grundprobleme der menschlichen Kommunikation lösen: Sie kann eindeutige
Zuordnungen festlegen. Das bedeutet, dass man das menschliche Vertrauen durch einen
Algorithmus ersetzen kann, eine gewaltige Sache. Deshalb wird der Siegeszug der
Blockchain langfristig nicht zu stoppen sein.
Was ist vom aktuellen Hype bei den
Kryptowährungen zu halten?
Das ist bei jeder
bedeutenden Innovation der Fall. Es entsteht ein Hype und eine Euphorie –
denken Sie an die Dotcom-Blase in den 90er-Jahren –, und es kommt der Crash, den
nur ganz wenige überleben.
Besitzen Sie selbst auch Kryptowährungen?
Natürlich, aber nicht
als Investment, sondern um Erfahrungen zu sammeln und um zu sehen, wie man sie
in normale Währungen umtauschen kann. Das ist gar nicht so einfach. In Kryptowährungen
kommt man leicht hinein, aber nur schwer wieder heraus.
Betrachten Sie als bestandener Banker
Kryptowährungen als eine seriöse Anlage?
Nur bedingt, aber im
Zeitalter der tiefen Zinsen und der teuren Aktien ist der Durst nach
alternativen Anlagemöglichkeiten gross.
Schreckt die extreme Volatilität der Kurse nicht
ab?
Am Anfang eines
technischen Innovationsschubs erlebt man das immer. Aber das führt auch
unweigerlich zu einem Prozess der kreativen Zerstörung. Der Hype wird nicht
andauern, aber die Technologie wird überleben.
Die Kurse von Bitcoin und Ether sind förmlich
explodiert. Werden jetzt Leute angelockt, die besser die Hände davon lassen
würden?
Es wird niemand
gezwungen, Kryptowährungen zu kaufen.
Renommierte Ökonomen wie der Harvard-Professor
Kenneth Rogoff warnen jedoch bereits vor einem Bitcoin-Crash.
Dieser Crash wird, ja,
er muss geschehen. Jede Bewertung muss auch einen realen Bezug haben. Das ist
bei den Kryptowährungen nicht immer der Fall. Diese Währungen sind entstanden,
indem Gamer-Communities untereinander Tokens ausgetauscht haben. Man sollte
deshalb den Hype auch nicht überbewerten. Insgesamt ist die Summe aller
Kryptowährungen im Verhältnis zu den traditionellen immer noch winzig.
Allerdings springen jetzt auch die Banken auf
den fahrenden Zug auf. So werden neuerdings ETFs (handelbare Fondsanteile, Anm.
d. Red.) auf Bitcoin herausgegeben.
Auch das gehört zu jeder
Innovation. Wir sind jetzt in einer «Versuch-und-Irrtum»-Phase. Da kann es auch
böse Unfälle geben.
Kann dadurch das Finanzsystem in Gefahr
geraten?
Solange keine fixen
Verpflichtungen ins System eingebaut werden, ist es nicht gefährlich. Derzeit
gibt es keine Schuldenberge, wie das etwas bei der Immobilienkrise der Fall
war. Wenn die Verschuldungsfrage auch bei den Kryptowährungen akut wird, dann muss
der Regulator eingreifen. Solange nur dumme Anleger geschädigt werden, ist das nicht
nötig.
Es gibt zwei unterschiedliche Arten von
Kryptowährungen. Bitcoins sind ein digitaler Ersatz für Fiat-Money wie
Schweizer Franken oder Dollar. Ethereum hingegen ist ein System, in dem die
einzelnen Tokens aktienähnlichen Charakter erhalten. Braucht es da nicht Regeln
und eine Aufsicht, wie das bei Aktien ja auch der Fall ist?
Hier stellt sich
tatsächlich die Frage: Werden über solche Konstrukte auch Verschuldungen
aufgebaut? Und was steckt dahinter? Ich bezweifle, ob es da viel Substanz hat.
Warum brauchen wir überhaupt ICOs (Initial Coin
Offering) und Tokens? Die Aktie ist längst erfunden und mit den Tokens bewegen
wir uns in einem rechtsfreien Raum. Hat die Finanzaufsicht Finma hier nicht
Handlungsbedarf?
Die Finma hat immer
Handlungsbedarf ... ernsthaft: Solange es noch keine Verschuldungsproblematik und
damit eine Systemgefährdung gibt, stellt sich die Frage nicht.
Die Schweiz müsse das
Krypto-Valley der Welt werden, hört man heute gelegentlich. Teilen Sie diese
Einschätzung?
Ich bin sehr
zurückhaltend mit patriotischen Forderungen bezüglich der Schweiz. Die
Unternehmen sollen das tun, was sie für richtig halten. Die Vorstellung einer
Schweiz AG oder eines Valleys ist mir fremd.
Wenn traditionelle Banken bei den
Kryptowährungen einsteigen, dann stellt sich früher oder später die Frage: Wer
bestimmt die Geldpolitik? Müssen sich die Zentralbanken Gedanken darüber
machen?
Wir wissen derzeit
überhaupt noch nicht, wie es mit den Kryptowährungen weitergehen wird. Es ist
denkbar, dass sie verboten werden. Oder es ist möglich, dass sie zu viele
Nachteile gegenüber den klassischen Währungen haben und deshalb wieder
verschwinden werden. Ernsthafte Ökonomen sagen dies voraus. Oder es wird zu
einem friedlichen Nebeneinander von klassischen und Kryptowährungen kommen.
Wie soll das gehen? Die Kryptowährungs-Anhänger
wollen ja die Zentralbanken abschaffen.
Nein, sie wollen
einfach da sein. Ich sehe keinen politischen Willen hinter den Kryptowährungen.
Viele Kryptowährungs-Fans sind Anhänger einer
privaten Währung im Sinne von Friedrich Hayek.
Ich würde das nicht
überbewerten. Kryptowährungen sind entstanden, weil es technisch möglich
ist. Aber es stellt sich tatsächlich die
Frage, wie man die «privaten» Kryptowährungen in die «staatlichen»
traditionellen Währungen konvertieren kann.
Sind Kryptowährungen dann wie eine
Landeswährung, nur von einem virtuellen Land? Oder sind sie praktisch nicht
konvertibel?
Mit Bitcoins ein Bier zu kaufen, ist derzeit immer noch schwierig.
Bitcoins haben einen schlechten Ruf. Sie werden
nach wie vor mit Drogen- und Waffenhandel, mit Kriminalität und Mafia in
Verbindung gebracht.
Das ist die
Achillesferse der Kryptowährungen. Die Anonymität kann in dieser Form auch nicht
geduldet werden.
Genau diese Anonymität ist jedoch von den Anhängern gewollt.
Sie ist überhaupt
nicht zwingend. Im Gegenteil: Die Blockchain sorgt für Transparenz und lässt
eine völlige Ent-Anonymisierung zu. Deshalb glaube ich auch, dass wir am Anfang
einer Entwicklung stehen, die noch völlig offen ist. Man könnte auch über eine nicht-anonyme Blockchain-Währung nachdenken, die von einer Notenbank
emittiert wird.
Ein Swiss Coin anstelle eines Schweizer
Frankens?
Warum nicht. Die
Geldschöpfung mittels Algorithmen hat grosse Vorteile. Es lohnt sich auf
jeden Fall, das Modell eines Swiss Coins oder eines Krypto-Frankens zu Ende zu
denken.
Aber nochmals: Jedem Bitcoin-Fan stehen bei
dieser Vorstellung die Haare zu Berge. Er will kein Fiat-Money, und er will
keine Zentralbanken.
Das betrifft nur einen
Teil der Community. Für die meisten steht die Technologie im Vordergrund.
Was für Vorteile hätte ein Swiss Coin gegenüber
einem traditionellen Schweizer Franken?
Ein zentrales Problem
der Ökonomie lautet: Wie organisiert man die Unabhängigkeit einer Zentralbank?
Mit Algorithmen wäre dieses Problem in den Griff zu bekommen. Ich finde daher
auch, dass traditionelle Ökonomen wie Rogoff es sich einfach machen, wenn
sie die Kryptowährungen verteufeln. Ich fände es sinnvoller, wenn sie ihre
Intelligenz und ihr Knowhow dafür einsetzen würden, diese Fragen ernsthaft
durchzudenken.
Mit den ICOs und den Tokens steuern wir – wie
in den 90er Jahren mit der Dotcomblase – wieder auf einen Crash zu. Muss das
sein?
Das liegt in der Natur
des Wirtschaftens und des Menschen. «Versuchen und Irren» bedeutet vor allem:
vernichten. Das will ich als Ökonom den begeisterten jungen Kryptowährungsfans
beibringen. Ich predige stets: Passt auf, die Bereinigung steht noch bevor.
Wenn wir schon ins Philosophische abgleiten:
Ist es eigentlich wünschenswert, dass wir mit Blockchain und Kryptowährungen
zunehmend in eine Gesellschaft kommen, in der Vertrauen überflüssig wird und
alles mit anonymen Algorithmen geregelt wird?
Wäre das Vertrauen in
die Menschen nicht so oft enttäuscht worden, müsste man diese Frage mit Nein
beantworten. Leider ist es so, dass die grössten Enttäuschungen entstanden
sind, weil Menschen das Vertrauen missbraucht haben. Die Vertrauens-Welt wird
nicht vollständig untergehen, aber sie wird Konkurrenz durch Algorithmen
erhalten. Das ist vielleicht gar nicht so schlecht.