Ich bin jetzt ziemlich genau 64 Jahre alt und kann mich nicht erinnern, dass ich so pessimistisch in die Zukunft geblickt habe. Wir können es drehen, wie wir es wollen. Die Erkenntnis bleibt: Wir leben auf einem Pulverfass, das jeden Moment explodieren kann. So warnt derzeit General Vincent Brooks, Befehlshaber der US-Truppen in Südkorea, seine Soldaten seien für jeden Krieg bereit und bloss Zurückhaltung sei «das Einzige, das einen Krieg verhindern würde».
Man mag dies als Säbelrasseln eines übereifrigen Militärs abtun, doch derzeit wird an verschiedenen Orten und sehr heftig mit dem Säbel gerasselt. Der dreckige Krieg in der Ukraine mottet weiter. Das gleiche gilt für Syrien. Der IS mag bald militärisch besiegt sein, wird aber als Terrororganisation weiter existieren. Hinter dem undurchsichtigen Konflikt in Katar steht ein Machtkampf zwischen dem Iran und Saudi-Arabien, der das Potenzial hat, die ganze Welt zu destabilisieren.
Und was war da mit Kuba-Krise und Kaltem Krieg, mag man zurecht einwenden. Ja, im Oktober 1962 war die Lage für ein paar Tage tatsächlich explosiv. Der damalige US-Verteidigungsminister Robert McNamara hatte sich bereits von der Welt verabschiedet, weil er einen Atomschlag der Sowjets befürchtete.
Doch der Spuk ging vorbei, die USA und die UdSSR wurden zu berechenbaren Gegenspielern, die ihre Stellvertreter-Kriege in die Dritte Welt verlagerten. Das war zwar ausgesprochen hässlich für die Betroffenen, aber keine grundlegende Bedrohung für den Weltfrieden.
Heute hingegen ist alles sehr unberechenbar geworden. Wer ist eigentlich gegen wen? Die alten Kampflinien sind sinnlos geworden. Derzeit schwärmt Trump für Putin und flirtet Xi mit Merkel, doch morgen kann alles wieder ganz anders sein. Die Zeit der Systemdiskussion ist vorbei. Es geht nicht mehr um Kapitalismus oder Kommunismus. Wie im 19. Jahrhundert geht es darum, nationale Interessen zu verteidigen. Amerika, oder was auch immer, first.
In dieser Welt gibt es keine Leitmacht mehr. Die USA mögen diese Rolle nach dem Zweiten Weltkrieg innegehabt haben. Unter Präsident Trump ist dies definitiv zu einer Illusion geworden. Und Trump ist kein einmaliger Ausrutscher. Die USA sind wieder im Begriff, das zu werden, was sie ihrem Wesen nach immer waren: eine gewalttätige Nation.
Wer die US-Medien verfolgt, der erhält den Eindruck, dass sich das Land am Rande eines zivilen Bürgerkrieges befindet. Das Trump- und das liberale Lager stehen sich unversöhnlich gegenüber und bekämpfen sich mit einem unglaublichen Hass. Dass es in absehbarer Zeit zu einer Versöhnung kommen wird, ist schwer vorstellbar, ebenso die Tatsache, dass es noch lange so weiter gehen kann. Die Befürchtungen, dass es auch zu einer «amerikanischen Kristallnacht» kommen wird, sind daher weit verbreitet – und berechtigt.
Russland hat eine grauenhafte Geschichte hinter sich. Revolution, Bürgerkrieg, Stalin, Zweiter Weltkrieg haben einen ungeheuren Blutzoll gefordert. Ein neoliberales Jahrzehnt schliesslich hat den Menschen das Wenige genommen, das sie noch hatten.
Was dies in den Köpfen der Russen angerichtet hat, beschreibt die Schriftstellerin und Nobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch in ihrem Buch «Second Hand Zeit» eindrücklich. Sie glauben an gar nichts mehr. Wladimir Putin hat dies kalt und zynisch ausgenützt und Russland in eine nationalistische Diktatur verwandelt.
Wirtschaftlich mag die ehemalige Sowjetunion tatsächlich eine Regionalmacht geworden sein, wie es der ehemalige US-Präsident Barack Obama eher unglücklich formuliert hat. Als Atommacht bleibt Russland jedoch eine Bedrohung, die nach wie vor versucht, mit einem geheimen Propaganda-Krieg den Westen zu destabilisieren.
Bleibt China. Präsident Xi Jinping scheint derzeit der einzige Erwachsene unter den Staatsoberhäuptern der Grossmächte zu sein. Doch China ist für den Westen nach wie vor ein Rätsel. Steht das Land kurz vor einem Wirtschafts-Crash? Ist es über beide Ohren verschuldet? Ist die Korruption nicht mehr einzudämmen? Wird es mit seiner neuen Seidenstrasse die neue Supermacht? Wir wissen es nicht. Tatsache ist jedoch, dass das Reich der Mitte in den letzten Jahren autoritärer geworden ist und seine Militärausgaben signifikant erhöht hat.
Europa befindet sich dank Emmanuel Macron und Angela Merkel in einem Zwischenhoch. Aber wie lange wird es dauern? Die beiden wichtigsten Baustellen sind noch nicht einmal in Angriff genommen. Ohne einen Schuldenerlass für Griechenland und eine Neureglung des Euro ist die nächste Krise nur eine Frage der Zeit. Ob sich die Deutschen damit abfinden, ist nach wir vor sehr zweifelhaft.
Ob die Deutschen auch Hand bieten werden, dass Europa sich militärisch wieder auf eigene Füsse stellt, ist ebenso fraglich. Doch auch dies ist alternativlos. Angesichts der russischen Bedrohung, der amerikanischen Indifferenz und der Tatsache, dass Europa heute keine gesicherten Aussengrenzen hat, muss auch die Frage einer deutschen Wiederaufrüstung ernsthaft geprüft werden. Um sich zu retten, muss sich Europa vielleicht in eine Festung verwandeln.
Die geopolitische Instabilität geht Hand in Hand mit einer Verunsicherung der Werte. Demokratie, Liberalismus und Marktwirtschaft – alles wird heute in Frage gestellt. Der Glaube, dass die Politik die drängenden Fragen wie Ungleichheit oder Klimaerwärmung noch lösen, ist geschwunden. Dass die Digitalisierung im Begriff ist, auch unsere Arbeitswelt umzukrempeln, erhöht die allgemeine Verunsicherung.
Nach dem Fall der Berliner Mauer gab es besonnene Stimmen, dass wir uns dereinst nach einer bipolaren Welt zurücksehnen würden. Sie gingen in der allgemeinen Euphorie unter. Marktwirtschaft und Demokratie schienen nicht mehr zu bremsen zu sein.
Jetzt zeigt es sich, dass das ein Trugschluss war. Wir befinden uns wieder in einer sozialdarwinistischen Welt, in der das Recht des Stärkeren gilt und nationalistische Interessen das Sagen haben. Und das macht diese Welt so gefährlich.