Sag das doch deinen Freunden!
Anfang Januar treffen sich die amerikanischen Ökonomen jeweils zu ihrem jährlichen Kongress. Heuer findet er in San Francisco statt und steht ganz im Zeichen eines einzigen Themas: der Ungleichheit. Besonders ein Paper sorgt dabei für Diskussionsstoff. Es stammt von Nicholas A. Bloom, Ökonomieprofessor an der Stanford University. Er hat Daten über die Vermögensverteilung in den USA der letzten 35 Jahre ausgewertet.
Das Resultat ist unmissverständlich: Rund 250'000 Amerikanerinnen und Amerikaner – ein Viertelprozent der erwerbstätigen Bevölkerung – besitzen einen immer grösseren Anteil des gesamten Vermögens. Bekannte Namen wie Mark Zuckerberg, Bill Gates und Warren Buffett sind dabei nur die Spitze des Eisberges. «Es ist eine grössere Gruppe, und sie laufen allen anderen davon», sagt Bloom.
Das Resultat ist jedoch nicht erstaunlich. Schon vor rund zwei Jahren hat der französische Ökonom Thomas Piketty diese These in seinem überraschenden Bestseller «Das Kapital des 21. Jahrhunderts» aufgestellt. Doch Piketty wurde danach sofort in die Ecke der Altlinken und Neo-Marxisten gestellt und danach ignoriert. Nicholas Bloom jedoch lehrt nicht nur an einer der renommiertesten Universitäten der USA, der gebürtige Brite ist auch ein bekennender Anhänger der konservativen Partei.
Bloom stellt klar, dass die explodierende Ungleichheit kein Privileg der Amerikaner ist. In allen entwickelten Ländern, auch in Grossbritannien, Deutschland und selbst Schweden lässt sich diese Entwicklung feststellen. «Es ist ein wahrhaft globales Phänomen geworden», stellt Bloom in der «New York Times» fest. «Ich kenne keinen seriösen Ökonomen, der bestreiten würde, dass die Ungleichheit zugenommen hat. Die Debatte dreht sich nur noch um das Ausmass.»
Die Schweiz – das sei nur kurz erwähnt – hat gemäss einer Studie der Credit Suisse die höchste Anzahl von Superreichen pro Einwohner.
Wie weit Pikettys These zum allgemein akzeptierten Mainstream geworden ist, zeigt auch die jüngste Ausgabe von Foreign Affairs. Das wohl renommierteste Politmagazin der Gegenwart stellt das Thema Ungleichheit in den Mittelpunkt. Gleich zu Beginn hält der Politologe Ronald Inglehart auch fest: «Pikettys Buch ist in einigen Details korrigiert worden, aber seine These, wonach die wirtschaftliche Ungleichheit in den meisten entwickelten Ländern rasch zunimmt, trifft offensichtlich zu.»
Zur Erinnerung: Für Thomas Piketty war die extreme Vermögenskonzentration in der Belle Epoque ein zentraler Grund für den Ersten Weltkrieg. Zu einer Wiederholung der Geschichte wird es jedoch nicht kommen. Der klassische Klassenkampf gehört der Vergangenheit an. «Der Kampf findet nicht mehr zwischen Arbeiterklasse und Mittelstand statt», schreibt Inglehart, «sondern zwischen einer winzigen Elite und der grossen Mehrheit aller Bürger.»
Die politischen Fronten haben sich deshalb verschoben. Es trifft nicht mehr zu, dass Arbeiter links und Mittelständler tendenziell rechts wählen. Vielmehr entscheidet sich der progressive Mittelstand heute für rot-grün, während sich die Arbeiter den rechtskonservativen Parteien zuwenden, in der Schweiz etwa der SVP. Nochmals Inglehart: «Die Wählerschaft ist nicht mehr nach Klassen polarisiert, sondern nach Werten.»
Die schmale Elite der Superreichen wird auch politisch immer einflussreicher. Der Geldadel muss immer weniger an den Fiskus abliefern. Ein Heer von Anwälten und Steuerexperten sorgt dafür, dass die Superreichen jedes noch so winzige Schlupfloch zu ihren Gunsten ausnützen können. Das hat Folgen. So hat die New York Times kürzlich gemeldet, dass der Anteil am gesamten Steueraufkommen der reichsten Amerikaner schrumpft: Von einst 20,9 Prozent auf 17,6 Prozent im Jahr 2012, aus dem die letzten Zahlen stammen.
«Wir haben zwei unterschiedliche Steuersysteme, eines für Normalverdiener und eines für diejenigen, die sich die ausgeklügelten Dienste der Steuerexperten leisten können», erklärt daher Victor Fleischer, Rechtsprofessor an der Universität von San Diego. «Entgegen dem Prinzip der progressiven Besteuerung sinkt an der kleinen Spitze der Einkommensverhältnisse die effektive Steuerbelastung.»
Diese Entwicklung findet wohlgemerkt unter einem demokratischen Präsidenten statt. Barack Obama ist es zwar gelungen, ein paar Auswüchse seines Vorgängers wieder auszubügeln, den Trend stoppen oder gar umkehren konnte er jedoch nicht. Sollte im kommenden Januar ein Republikaner ins Weisse Haus einziehen, dann werden die bereits absurden Verhältnisse geradezu grotesk. Alle Präsidentschaftsanwärter der GOP wollen die Steuern für die Reichen nochmals massiv senken. Am weitesten lehnt sich dabei Ted Cruz aus dem Fenster: Er plädiert für eine Flat Tax von zehn Prozent für alle.
Allerdings besteht die Gefahr, dass die Superreichen ihr Blatt überreizen. Es mehren sich die Anzeichen eines Widerstands gegen die Steuerprivilegien des neuen Geldadels. Die Menschen sind heute viel besser ausgebildet, besser informiert und nicht länger gewillt, diese Zustände zu billigen. Wenn sich Mittelstand und Arbeiterklasse nicht mehr gegenseitig bekämpfen, sondern sich gegen den neuen Geldadel verbünden, dann wird es für diesen eng werden.
Ist ein solches Bündnis denkbar? «Langfristig wahrscheinlich schon», sagt Ronald Inglehart. «Rund um den Globus spricht sich eine Mehrheit für den Abbau der Ungleichheit aus. Nur Gesellschaften, die sich den veränderten Bedingungen anpassen, überleben. Trotz der gegenwärtigen Lähmung haben die Demokratien immer noch die Kraft, dies zu tun.»