Rex Tillerson, CEO des Erdölmultis Exxon, soll US-Aussenminister werden. Er ist einer von mehreren Top-Managern und Bankern, die in der Regierung von Donald Trump sitzen werden. Das ist kein Zufall: Für den neu gewählten Präsidenten ist eine Volkswirtschaft nichts anderes als ein überdimensioniertes Unternehmen, und Erfolg hat, wer die besten Deals abschliesst. Ein verhängnisvoller Irrtum.
Das vielleicht bekannteste Gesetz der Ökonomie ist der komparative Wettbewerbsvorteil. Formuliert hat es zuerst der britische Ökonom David Ricardo zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Sehr verkürzt zusammengefasst besagt es: Wenn zwei Länder miteinander Handel betreiben, profitieren beide, weil die Summe der gemeinsam produzierten Güter und Dienstleistungen grösser wird.
Donald Trump ist kein Anhänger des komparativen Wettbewerbsvorteils. Für ihn ist Handel ein Null-Summen-Spiel, bei dem es Gewinner und Verlierer gibt. In dieser Sicht ist der Handel zwischen Nationen das Gleiche wie der Konkurrenzkampf zwischen zwei Unternehmen, zwischen Migros und Coop beispielsweise.
In dieser Logik profitieren nicht beide vom Handel, stattdessen gilt: Wer mehr exportiert, gewinnt. Handelsüberschüsse sind ein Zeichen der Stärke einer Nation, Handelsdefizite sind für Losers. Und gemäss dieser Logik sind die USA derzeit ein gewaltiger Loser. Seit Jahrzehnten erzielen sie jährlich ein massives Handelsdefizit. Und da Trump Amerika wieder gross machen will, will er dies ändern, und zwar subito. Sein Übergangsteam hat bereits ein Communiqué veröffentlicht, in dem von «seismischen Umbrüchen in der Handelspolitik» die Rede ist.
Wenn Handel zum Wettkampf wird, dann gibt es nicht nur Gewinner und Verlierer, sondern auch Gute und Böse. Für Trump sind die Bösen vor allem die Chinesen und die Mexikaner. Sein designierter Handelsminister Wilbur Ross beispielsweise sagt: «Die Chinesen sind die grössten Handelsbetrüger der Welt, und das Land, mit dem die Vereinigten Staaten das grösste Handelsdefizit ausweisen.»
Diese Sicht der Dinge teilt auch Trumps wichtigster Wirtschaftsberater, Peter Navarro. Sie werden folgerichtig eine Politik verfolgen – sie wird übrigens in der Fachsprache «Merkantilismus» genannt –, die darauf abzielt, China und Mexiko für ihre angeblichen Betrügereien zu bestrafen.
Der Merkantilismus hat längst abgewirtschaftet. Selbst konservative und neoliberale Ökonomen lehnen ihn als überholt ab. Sie hoffen daher, dass Trump wirtschaftspolitisch ein Maulheld bleiben wird, weil selbst ein republikanisch dominierter Kongress ihn hindern wird, seine überholten Thesen in die Praxis umzusetzen.
Diese Hoffnung steht auf tönernen Füssen. «Was den Handel betrifft, sind die ‹checks and balances›(die Kontrollmechanismen im US-Politsystem, Anm. d. Red.) sehr schwach», schreibt der «Economist». «Der Präsident hat eine gewaltige Macht, seine Drohungen auch umzusetzen, vor allem kurzfristig.»
So kann der Präsident völlig legal eigenmächtig Strafzölle bis zu 15 Prozent und für maximal 150 Tage verfügen. Und sollte Trump aus was für Gründen auch immer einen Notstand ausrufen, dann könnte er diese Strafzölle beliebig erhöhen und verlängern. Die Tatsache, dass die USA Mitglied der Welthandelsorganisation WTO sind, ändert daran wenig.
Die betroffenen Länder könnten zwar das Schiedsgericht anrufen, doch die Mühlen der Justiz mahlen auch in diesem Fall sehr langsam. Es ist auch sehr unwahrscheinlich, dass Trump sich an ein Urteil gegen die USA halten würde.
Zudem würde sich ein inzwischen ebenfalls sehr selbstbewusstes und ebenfalls immer nationalistischer werdendes China dies kaum einfach so gefallen lassen. Nochmals der «Economist»: «China könnte beispielsweise die Verträge mit Boeing kündigen oder die Wertschöpfungskette von Apple unterbrechen.» Auch GM könnte unter Druck geraten. Das wäre schmerzlich, hat doch der US-Autobauer allein im vergangenen November über 370'000 Autos in China verkauft.
Trump hat seinen Wählern im Wahlkampf immer und immer wieder versprochen, den Freihandelsvertrag mit Mexiko und Kanada, NAFTA – den «schlimmsten Vertrag aller Zeiten», wie er ihn nannte –, neu zu verhandeln. Dazu braucht er tatsächlich die Einwilligung des Kongresses. Die beiden anderen Freihandelsverträge – TPP mit Asien und TTIP mit Europa – sind noch nicht in Kraft. Er kann sie mit seinem Veto blockieren.
Typisch für Trump ist auch, dass er sich als Präsident nicht in der Rolle einer Macht sieht, die dafür sorgt, dass Unternehmen die Rahmenbedingungen vorfinden, die ihnen Sicherheit für einen fairen Wettbewerb bieten. Er sieht sich vielmehr als einer, der selbst Deals einfädelt und durchzieht.
Ein Beispiel dafür ist sein Auftritt mit Masayoshi Son, dem Chef des japanischen Konzerns Softbank. Dieser hat versprochen, innerhalb von vier Jahren 50 Milliarden Dollar in den USA zu investieren und damit 50'000 Arbeitsplätze zu schaffen. Was Trump verschwieg, ist die Tatsache, dass Softbank dies nicht ganz selbstlos tut – und auch ohne Trump ohnehin getan hätte.
Die Japaner besitzen eine Sperrminderheit am amerikanischen Telecomunternehmen Sprint und wollen es mit dem Konkurrenten T-Mobile fusionieren. Das hat die Regierung Obama bisher verhindert. Die Märkte gehen davon aus, dass dies unter Trump möglich wird. Die Sprint-Aktien sind um 40 Prozent in die Höhe geschossen.
Trump schliesst auch fragwürdige Deals mit Unternehmensführern ab, und zwar persönlich. So hat er Carrier, einen Hersteller von Klimaanlagen, dazu überredet, 800 Arbeitsplätze nicht wie geplant nach Mexiko zu verlagern. Als Gegenleistung erhält Carrier eine Steuervergünstigung von sieben Millionen Dollar.
Wer nicht spurt, wird unter Druck gesetzt. Als der CEO von Boeing, Dennis Muilenburg, es wagte, Trumps Wirtschaftspolitik zu kritisieren, twitterte der gewählte Präsident umgehend: Der neue Präsidenten-Jet sei zu teuer und der Vertrag müsse storniert werden.
Trump soll seinen Chief of Staff Reince Priebus bereits angewiesen haben, eine Liste von allen Firmen aufzustellen, die Arbeitsstellen auslagern wollen. Offenbar denkt er daran, ihnen einzeln eine Abreibung zu verpassen und sie zu zwingen, das gefälligst zu unterlassen.
Fragwürdige Deals und Pranger für Unternehmen, die aufmucken: Es besteht die Gefahr, dass in den USA eine schlimme Art von Günstlingswirtschaft («crony capitalism») entsteht, in welcher der Präsident eine loyale Schar von Anhängern um sich schart und willkürlich und unter Umgehung der Prinzipien eines Rechtsstaates regiert. Ungefähr so funktioniert das System Putin, den Trump bekanntlich sehr bewundert. Das Weisse Haus wird also zum Kreml.
In den 90-er Jahren hat der Nobelpreisträger Paul Krugman in seinem Buch «Pop Internationalism» den modernen Merkantilismus scharf kritisiert. «Sagt einer Gruppe von Geschäftsleuten, eine Volkswirtschaft sei einfach ein sehr grosses Unternehmen, dann sind sie sofort beruhigt, weil sie das Gefühl haben, sie hätten das Wichtigste begriffen», schrieb Krugman damals. Für Trump trifft diese Charakterisierung exemplarisch zu.
Krugman hat die erste Phase der Globalisierung und den Freihandel vehement verteidigt, weil so hunderte von Millionen Menschen aus schlimmster Armut entrinnen konnten. Das hat sich inzwischen geändert. Die Globalisierung ist längst zu einer Hyperglobalisierung mutiert.
Die schädlichen Nebenwirkungen haben massiv zugenommen: Einerseits wird die Umwelt bedroht. weil immer mehr Güter rund um den Globus geschippert werden, Andererseits werden die Globalisierungsgewinne immer ungleicher verteilt. Neuen Globalisierungsverträgen wie TPP und TTIP steht Krugman daher skeptisch bis ablehnend gegenüber.
Auch Trump wettert gegen die Globalisierung. Doch aus ganz anderen Gründen als der linksliberale Krugman. Der gewählte US-Präsident will zurück zu einem militanten Wirtschaftsnationalismus: Länder wie China und Mexiko – und bald vielleicht Länder wie Deutschland und Japan – werden unter falschen ökonomischen Annahmen gemobbt, inländische Kritiker an den Pranger gestellt. Was bleibt, sind Günstlingswirtschaft und eine steigende Gefahr von Handelskriegen.