Im Kampf gegen den Tod greift mancher zu drastischen Mitteln. Papst Innozenz VIII. (1432–1492) zum Beispiel liess sich Bluttransfusionen geben – drei Knaben spendeten ihm für je einen Dukaten Blut. Die Therapie, man ahnt es, verzögerte das Ableben des Pontifex maximus nicht, sondern führte es sogleich herbei. Auch die drei Blutspender starben.
Heute kämpft die Wissenschaft mit weniger drastischen Mitteln gegen die Vergänglichkeit an. Aber noch immer ist es für die Forscher ein Rätsel, warum wir überhaupt altern. Auf jeden Fall ist der Prozess tödlich, auch wenn wir nicht am Alter selbst sterben, sondern an den damit verbundenen Krankheiten. Oder wie es der Biogerontologe Aubrey de Grey mit britischem Understatement ausdrückt:
Zahllose Wissenschaftler weltweit versuchen den Alterungsprozess zu entschlüsseln, um dem Verfall und vielleicht sogar dem Tod den Stachel zu nehmen.
Hier sind einige Beispiele:
Dies ist die neuste Erfolgsmeldung von der Front: Amerikanischen Neurologen um Tony Wyss-Coray von der Universität Stanford ist es gelungen, aus dem Blutplasma der menschlichem Nabelschnur ein Protein zu isolieren, das bei älteren Mäusen das Gedächtnis signifikant verbessern konnte. Prompt tauchte in der Berichterstattung über die Studie der Begriff «Jungbrunnen» auf.
Nachdem die Forscher den Nagern das Plasmaprotein TIMP-2 in die Blutbahn injiziert hatten, konnten sie tatsächlich eine «verjüngende» Wirkung auf den Hippocampus – die Hirnregion, die als «Tor zum Gedächtnis» gilt – feststellen. Mit dem Eiweiss liessen sich offenbar auch «bestimmte Aspekte von Jugend auf alte Mäuse übertragen», wie Professor Gerd Kempermann von der Technischen Universität Dresden der Welt sagte.
Nun sind Mäuse nicht Menschen. Forschungsergebnisse sind nicht einfach eins zu eins übertragbar. Das gilt auch für Anatoli Brouchkow. Der russische Wissenschaftler injizierte sich selber 3,5 Millionen Jahre alte Bakterien, die aus dem sibirischen Permafrostboden stammten, weil Mäuse nach dieser Behandlung fast doppelt so lange lebten. Zudem wurden die Nager sexuell aktiver.
Die steinalten Bakterien – «Bazillus F» genannt – waren 2008 am «Mammutberg» in der russischen Republik Sacha (Jakutien) entdeckt worden. Russische Forscher holten sie danach aus dem Kälteschlaf. 2015, zwei Jahre nach seinem Versuch, sagte Brouchkow, er habe seither keine Grippe mehr gehabt und er sei deutlich aktiver geworden.
Craig Venter ist durch seine rücksichtslos vorangetriebene Entschlüsselung des menschlichen Genoms berühmt geworden. Mit seiner Firma Human Longevity Inc. (HLI) will der 70-jährige Biochemiker die menschliche Lebensspanne verlängern, indem Krankheiten erkannt werden, bevor sie überhaupt ausbrechen. Das Mittel dazu: Daten.
Diese liefert zum einen die Analyse des Erbguts. Zum anderen unterziehen sich die Probanden einem gründlichen Gesundheits-Screening. Die beiden Datenbestände werden dann verknüpft. Einfache Korrelationen zwischen Genen und Krankheiten lassen sich allerdings kaum herstellen – entsprechende frühere Hoffnungen haben sich gründlich zerschlagen. Venters Firma will daher in den nächsten Jahren mindestens eine Million menschlicher Genome sequenzieren. In der daraus gewonnenen Datenflut sollen Muster erkennbar werden, die sich dann in Therapiemöglichkeiten umsetzen lassen.
Nicht nur HLI sucht das Heil in der Verknüpfung von individuellen Gesundheitsdaten mit genetischen Informationen. Auch Calico (California Life Company), eine Google-Tochter, will durch die systematische Auswertung riesiger unstrukturierter Datenmengen neue Erkenntnisse gewinnen. Google-Chef Larry Page hofft sogar, Calico werde die menschliche Lebenserwartung um mehrere Jahrzehnte erhöhen.
Einer der eifrigsten Propagandisten des ewigen Lebens ist der Futurologe Ray Kurzweil, seit 2012 «Director of Engineering» bei Google. Der Optimist glaubt, dass der Durchbruch zur Unsterblichkeit quasi bevorsteht: In wenigen Jahren werde es dank Biotechnologie möglich sein, menschliche Gene zu reparieren und zu optimieren. Und noch ein paar Jahre später, gegen die Mitte des Jahrhunderts, müsste der exponentielle Fortschritt der Informationstechnologie dann winzige Roboter hervorgebracht haben. Diese sogenannten Nanobots werden in unserem Körper beispielsweise Krankheitserreger jagen, verengte Blutgefässe reparieren und kaputte Zellen austauschen.
Wobei dannzumal unter «unser Körper» möglicherweise etwas anderes zu verstehen ist als heute – nämlich eine Art Cyborg. Die Technik, so hoffen die Vertreter des Transhumanismus, könnte einen Evolutionssprung bewirken; eine so tiefgreifende Verschmelzung von biologischen und artifiziellen Elementen, dass ein künstliches Hüftgelenk dagegen trivial erscheint. Das gilt notabene auch für unser Hirn. Kurzweil geht davon aus, dass jemand, mit dem wir dann sprechen, eine «Kombination von biologischer und nicht-biologischer Intelligenz» sein wird.
Kurzweil glaubt auch, dass wir etwa zu diesem Zeitpunkt ein Backup unseres Gehirns in der Cloud werden anlegen können. Ein erster Schritt in diese Richtung könnte schon in etwa 15 Jahren stattfinden, glaubt der Futurologe. Dann werden wir unseren Leib mit Implantaten aufgerüstet haben, die uns direkt – ohne den Umweg über Smartphones oder Tablets – mit einem ständig wachsenden Ozean an Informationen verbinden werden.
Vielleicht ist dann jedoch das Konzept des Körpers, sei er nun rein biologisch oder ein Cyborg, bereits veraltet: Wer – so könnte ein konsequenter Transhumanist fragen – benötigt noch einen physischen Körper, wenn sein Bewusstsein bereits in der Cloud lebt? Skeptiker sehen das allerdings nur als eine Kopie des Selbst in einer neuen Form, nicht das originale Selbst.
Aubrey de Grey, der aufgrund seiner äusseren Erscheinung als Rasputin des Transhumanismus durchgehen könnte, wird nicht müde, es immer wieder zu prophezeien: Sollte es gelingen, den Alterungsprozess auszuschalten, dann dauert ein Menschenleben im Schnitt mindestens 1000 Jahre. Und das in einem jungen, gesunden Körper. Doch «sieben tödliche Dinge» sorgten dafür, dass wir nach allerspätestens 120 Jahren das Zeitliche segnen, sagt de Grey.
Zu diesen sieben Ursachen des Sterbens zählen beispielsweise Mutationen im Zellkern und in den Mitochondrien (Stichwort Krebs), Zellverlust und -schwund (Stichwort Parkinson), Proteinverkettung (Stichwort Diabetes) sowie die Ansammlung von Abfallstoffen in den Zellen (Stichwort Alzheimer oder Arteriosklerose). Für de Grey ist klar, dass einige dieser Sterbeursachen nicht intensiv genug erforscht werden, weil Fortschritte hier erst nach zehn bis 15 Jahren zu erwarten seien – zu lange für die an kurzfristigen Resultaten interessierte Pharmaindustrie.
Aus diesem Grund gründete der rührige Biogerontologe 2009 zusammen mit Gleichgesinnten die Forschungsstiftung SENS, kurz für «Strategies for Engineered Negligible Senescence» («Strategien, um den Alterungsprozess mit technischen Mitteln vernachlässigbar zu machen»). Sie finanziert die Erforschung von Therapien für die «deadly things», zum Beispiel neuartige Enzyme gegen Abfallstoffe in den Zellen, Gentherapien gegen Krebs oder Molekülcocktails gegen Proteinvernetzungen.