Kalifornien ist ein reich gesegnetes Land. Der mit Abstand bevölkerungsreichste US-Staat produziert nicht nur Spitzenweine, er beherbergt auch die Traumfabrik Hollywood und das Silicon Valley. Doch über dem Golden State hängt ein riesiges geologisches Damoklesschwert: The Big One, das Megabeben, von dem man nicht weiss, wann es kommt – nur dass es kommt.
Der Bundesstaat an der Westküste ist Teil des Pazifischen Feuerrings, eines Vulkangürtels, der den Stillen Ozean auf drei Seiten umgibt. Entlang dieser tektonischen Störungszone sind die meisten aktiven Vulkane der Welt zu finden und es treten vermehrt schwere Erdbeben auf – zum Beispiel das verheerende Seebeben, das 2011 Japan erschütterte und einen gewaltigen Tsunami auslöste.
Der Feuerring markiert jene Zonen an den Rändern des Pazifikbeckens, in denen sich mehrere ozeanische Platten unter andere tektonische Platten schieben. Dieser Vorgang verläuft allerdings nicht durchwegs kontinuierlich; mitunter verhaken sich die Platten ineinander und es entstehen Spannungen, die sich ruckartig in starken Erdbeben entladen.
Die Plattentektonik spielt in Kalifornien und den nördlich angrenzenden US-Staaten eine besonders grosse Rolle: Hier gleiten die riesige Pazifische und die Nordamerikanische Platte aneinander vorbei. Weiter nördlich, von Nordkalifornien bis zum Nordende von Vancouver Island, reibt sich die kleine Juan-de-Fuca-Platte an der Nordamerikanischen Platte, die sich nach Süden bewegt.
San Francisco, das auf der Nordamerikanischen Platte liegt, und Los Angeles, das sich auf der nordwärts treibenden Pazifischen Platte befindet, bewegen sich so jedes Jahr um etwa sechs Zentimeter aufeinander zu.
Die Grenze zwischen den Platten bildet die bekannte San-Andreas-Verwerfung, eine 1300 Kilometer lange Störungszone, die Kalifornien in zwei Teile scheidet. Die Verwerfung, die bedeutendste von über 300 im Westküstenstaat, ist eine der seltenen Plattengrenzen, die an Land statt auf dem Meeresgrund verlaufen.
Auch hier gibt es Bereiche, die sich ineinander verhaken und dabei eine enorme Spannung aufbauen. Wenn sie sich dann plötzlich um mehrere Meter verschieben, kommt es zu schweren Beben – den «Big Ones». 1857, beim Fort-Tejon-Beben, sollen sich die Platten stellenweise bis zu neun Meter verschoben haben.
1906 traf es San Francisco. Die schlagartige Verschiebung betrug damals bis zu sechs Meter. Das Beben mit einer Stärke von bis zu 8,4 auf der Richter-Skala forderte tausende Tote. Die Stadt wurde nicht nur durch das Beben verwüstet, sondern auch durch die dadurch ausgelösten Brände.
Nicht nur San Francisco ist gefährdet: Direkt unter der Megalopolis Los Angeles – die Stadt selbst hat knapp vier Millionen Einwohner, die Greater Los Angeles Area 17,8 Millionen – zieht sich die Puente-Hills-Verwerfung von Downtown bis Hollywood. Sollte sich dort ein schweres Beben ereignen, könnten 18'000 Tote und mehr als 300 Milliarden Dollar Schaden die Folge sein.
Ein neuerlicher «Big One», so erwarten es Experten, würde eine Stärke zwischen 8,0 und 8,6 erreichen. Weiter nördlich – im Bereich der Cascadia-Verwerfung, die die Grenze zwischen Juan-de-Fuca-Platte und Nordamerikanischer Platte markiert – könnten es sogar 9,0 werden, befürchten manche Wissenschaftler.
Dass es in den letzten Jahren relativ ruhig blieb – das letzte grössere Beben in der Bay Area ereignete sich 1989 –, ist kein Grund zur Beruhigung, im Gegenteil: Die Seismologen befürchten, dass sich mittlerweile enorm viel Energie an den Plattengrenzen aufgestaut hat. Südkalifornien ist dabei etwas stärker gefährdet als der Norden.
Die Experten schätzen die Wahrscheinlichkeit, dass es in den nächsten 30 Jahren zu einem Erdbeben der Stärke 6,7 oder mehr kommt, auf 99,7 Prozent. Das gefürchete Mega-Beben kommt also so gut wie sicher.