Die Absicht war, hier eine kleine Kunstgeschichte des Badens zusammenzustellen. Aber was dann passierte, ist ja klar. Es fanden sich fast nur badende Frauen. Nackte badende Frauen. Woraus sich folgende Fragen ergeben:
Antwort drei wäre richtig.
Ach, die Kleopatra! Aus der Sage, dass die ägyptische Königin allabendlich in Eselsmilch gebadet habe, wurde Wirklichkeit! Die Kosmetikindustrie schreibt der Milch Anti-Aging-Zauberkräfte zu. Vielleicht vor allem, weil sie so teuer ist? Ein Liter kostet 20 Franken. Ein Luxusprodukt also. Und sicher deshalb der liebste Badezusatz jener Dame, die jeden Mann um den Finger und sich selbst für einen besonders wirksamen Auftritt vor Julius Caesar in einen Teppich gewickelt haben soll. Leider sieht das Badewasser um Elizabeth Taylor in «Cleopatra» von Joseph L. Mankiewicz nicht besonders milchig aus.
Es gibt eine Beachbar am Tegernsee, die nennt sich «Leda & Schwan». Wahrscheinlich fanden die Betreiber den griechischen Mythos von der badenden Prinzessin Leda, der sich Chefgott Zeus als Schwan nähert (auf dem Kitschbild von Jean-Léon Gérôme von einem spermatoiden Amörchen-Schwarm begleitet), einfach zu schön. Gut, man könnte jetzt auch einwenden, dass die Geschichte von Leda und dem Schwan allgemein als eine der prominentesten Vergewaltigungen der Antike rezipiert wird, aber das scheint am Tegernsee niemanden zu kümmern.
Also: Der Schwan «bemächtigte» sich der schönen Badenden, um eine eventuelle Schwangerschaft zu vertuschen, schlief Leda sofort mit ihrem Mann. Daraufhin legte sie zwei Eier, in denen sich je zwei Zwillingspaare befanden. Eins der vier Kinder wurde zur schönen Helena, um die der trojanische Krieg und damit das grösste Drama der antiken Fiktion entbrannte.
Das alte Rom war vollkommen badesüchtig. Die Reichen besassen private Baderäume, das Volk strömte am liebsten täglich in die Thermen, und so populär war die Idee einer allgemeinen Hygiene, dass der Eintritt gering, oft sogar gratis war. Leider zerstörten die Goten 537 das ganze Wassersystem Roms, die riesigen Kaiserthermen der Stadt zerfielen und wurden nicht wieder aufgebaut.
Der niederländische Historienmaler Lawrence Alma-Tameda liebte die römischen Bäder, besonders die Caracalla-Thermen, und er stellte sich darunter so einiges vor, was dort wahrscheinlich nie existiert hatte: etwa einen gemeinsamen Badebereich für Männer und Frauen. Auch das Dekor, sagen Architekturhistoriker, habe mitnichten so ausgesehen wie bei Alma-Tameda. Aber schön ist es schon. Und unappetitlich überfüllt.
Zwei pensionierte Richter sind in die junge, verheiratete Susanna, die im gleichen Haus wohnt, verknallt. Sie stalken sie. Als Susanne einmal badet, bedrängen sie die beiden alten Säcke und sagen: «Entweder hast du mit uns Sex oder wir sagen deinem Mann, dass du ihn betrügst.» Sie weigert sich – und wird zum Tod verurteilt.
Zum Glück wird der junge jüdische Prophet Daniel da von einer Ahnung überfallen – er fragt die beiden Alten unabhängig voneinander, unter welchem Baum Susanna denn ihren Mann betrogen habe. Der eine sagt «Zeder», der andere «Eiche». Alle merken: Die lügen, die Alten! Susanna ist frei, die Alten werden getötet. Alles gut. Und Daniels Praxis der unabhängigen Zeugenbefragung wurde zur wegweisenden Anekdote für die Rechtssprechung.
Die berühmteste und raffinierteste Illustration der Anekdote aus dem «Buch Daniel» stammt von Tintoretto. Susanna sieht sich selbst im Spiegel, der Alte im Vordergrund sieht sie im Wasserspiegel von unten, der Voyeur im Hintergrund von der andern Seite. Aber weil einfach niemand von ihnen oder uns der guten Frau auf den Hintern schauen kann, steht stellvertretend dafür ein Hirschfudi.
Die Künstlerin Artemisia Gentileschi dagegen konzentriert sich auf die Konfrontation der Körper, die nackte, in die Enge getriebene Frau, die beiden Intriganten, die sich wie ein dunkler Berg über ihr erheben und den blauen Himmel aus dem Bild verdrängen.
Eine Kuriosität ist die «Susanna» des deutschen Renaissance-Malers Albrecht Altdorfer. Wie jeder Renaissance-Freak stellt er die Architektur über die Geschichte. Wir sehen den Palast von Susannas Gatten und sie selbst, wie sie sich im Garten von drei Dienerinnen verschönern lässt. Eine verspielte Szene am Rande eines höfischen Fests, mit den alten Glüschtelern als komische kleine Beigabe unter Bäumen.
Was ist besser als eine nackte Frau? Viele! Unter sich! In Dürers «Frauenbad» posen die Beauties ganz offensiv und schauen entweder lasziv zu uns oder züchtig verzückt in Richtung Gott. Süsse kleine Kinder reichen ihnen die Reinigungswerkzeuge und schauen dabei ... Damit das Ganze etwas entfrivolisiert wird und den Hauch eines Mahnmahls der Vergänglichkeit erhält, durfte auch noch eine ältere Frau mit lustigem Kopfdeckel mit aufs Bild.
Der Franzose Jean Auguste Dominique Ingres sitzt zuhause, liest Reiseberichte aus dem fernen Orient, träumt von den Harems und davon, einfach einmal alle Haremsdamen aufs Mal nackt zu sehen. Da hat er eine prima Idee und malt einen Harem in einem türkischen Dampfbad. Wobei er es sich nicht einmal besonders schwer macht: Er nimmt die schönsten Frauenakte seiner Karriere, macht copy/paste und fügt sie – ganz leicht verändert – in sein Dampfbad. Als er fertig ist, hat er eine noch bessere Idee: Er nimmt das Bild und macht aus einem Viereck einen Kreis – der Blick durchs Schlüsselloch ist perfekt!
Jahrzehntelang ist Ingres' rundes Bild über allerlei Rundungen hinter den Türen von irgendwelchen Nachfahren Napoléons verborgen. 1905 wird es zum ersten Mal in der Öffentlichkeit gezeigt. Der aus Lausanne stammende Félix Vallotton ist hingerissen. Und malt sofort ein paar Nackte in einem Dampfbad. Eine von ihnen starrt neidisch auf das rot-weisse Hipster-Hamam-Tuch einer andern. Und die Kunstgeschichte beschäftigt sich seither mit der Frage: Gehören Dackel wirklich in Dampfbäder?
Mit dem Zerfall der römischen Badekultur versank Europa im Dreck. Im Mittelalter gab es viele Klöster, die den Mönchen rieten, sich nur zu Ostern und zu Weihnachten zu waschen. Für die Bevölkerung galt: Ein Bad pro Monat ist genug. Baden als Sport oder gar Vergnügen war den Reichen vorbehalten, aus ihren «Badehäusern» (siehe Dürer) wurden meist Bordelle.
Umso heftiger sehnten sich ein paar Künstler nach einem idyllischen, vorzivilisatorischen Zustand zurück, in dem alle Menschen schön, sauber, unschuldig und trotzdem toll vor Lust sind. Denn das ist ja die Hauptattraktion des Paradieses: Ficken ohne Reue, Treue oder Syphilis. Diese führte um 1500 nämlich dazu, dass viele Badehäuser geschlossen werden mussten.
Den schönsten der paradiesischen Badeteiche hat natürlich Hieronymus Bosch in seinem «Garten der Lüste» gemalt: Splitternackte Menschen vielerlei Rassen und Tiere aller Arten tollen da herum, und aus dem See wachsen fantastische Gebilde, die überhaupt keinen Sinn machen und alle ein wenig obszön wirken.
Grossartig ist auch die Erfindung des Jungbrunnens, eines Vorgängers der Schönheits-Klinik von heute, der aus einer nicht idealen Gegenwart eine vollkommene macht. Lucas Cranach zeigt sehr schön, wie so ein Jungbrunnen funktioniert: Verschrumpelte, grauhaarige alte Frauen werden herbeigekarrt, steigen in den Brunnen und baden sich jung und blond. Alle schauen ihnen gern dabei zu.
Auf der andern Seite erwarten sie Männer, kleine Zalando-Zelte voller Kleider und Gelage in einer hübschen Landschaft. Man kann die Frauen jetzt endlich wieder brauchen, und wenn sie älter zu werden drohen, karrt man sie wieder zum Brunnen. Die Männer haben sowas natürlich nicht nötig.
Dass Frauen nackt und nett unter freiem Himmel baden, war für viele Männer seit Erfindung der antiken Wassernymphe durch die Jahrhunderte sowas wie die schönste aller möglichen Paradiesvorstellungen. Der Franzose Paul Gauguin suchte dies auf Tahiti – und fand es nicht.
Der Mann, der aus einem Leben als Börsenmakler und Familienvater ausgestiegen war, fand die Insel seiner Träume von Missionaren unterjocht und verwestlicht, die Einheimischen lebten nicht in idyllischen Hütten aus Palmwedeln, sondern in schäbigen aus Wellblech. Gauguin tat, was er tun musste: Er nahm sich minderjährige Geliebte, soff, konsumierte Morphium, litt an Syphilis und versuchte sich mit Arsen zu vergiften.
Aber er malte und dichtete sich sein Tahiti zurecht: Frauen, die nichts tun, als mit Mangos zu spielen und zu baden, die ohne Scheu ihre Kleider ablegen, alles vor üppigsten Naturkulissen. Er träumte seinen Traum. Und die tahitianische Tourismusbranche träumt ihn seit Gauguins Tod in bitterer Armut mit.
Gut dreissig Jahre seines Schaffens widmete Paul Cézanne den Badenden in französischer Landschaft. Wieso auch nicht? Ganz praktisch lassen sich da Landschafts- und Nacktmalerei verbinden, man kann immer mal wieder Modelle in seinem Atelier herumstehen oder -liegen lassen, und wenn einem zum Thema Baden nichts mehr einfällt, kann man so ein Modell auch mal mit Früchten oder einer Gitarre vergleichen.
«Die grossen Badenden» haben nicht mehr viel mit Sinnlichkeit und Erotik zu tun. Die überlangen Glieder der Frauen korrespondieren mit den seltsam gebogenen Bäumen, die Farbgebung der Körper mit den Wolken und der Erde. Wasser und Himmel sind sich gleich, alles ist eins. Mehr Harmonie ist fast nicht möglich.
Auffällig ist das Zentrum des Bildes, eine nicht ganz mittige Ellipse, das nur auf den ersten Blick leer scheint. Denn da kommen zwei winzig kleine, bekleidete Gestalten, vermutlich Mann und Kind, und schauen vom andern Ufer auf die Frauen. Das Wasser trennt sie. Die beiden bleiben aussen vor. Wie wir, die wir im Museum vor Cézanne stehen.