«Arrogante Fotze, tschüss!» ist nur eine der Kritzeleien, die in Vulgär-Latein eine rund 2000 Jahre alte Wand in Pompeji ziert. Und auch die alten Griechen haben gern obszön dahergeschrieben. Ganz zu schweigen von mittelalterlichen Sauereien.
Derbe Flüche sind so alt wie die Menschheit selbst. Darum hat sich der Kognitionswissenschaftler Benjamin Bergen von der University of California mit diesem Mysterium beschäftigt. Denn noch immer wissen wir so gut wie gar nichts über Kraftausdrücke und die zwiespältige Beziehung, die wir zu ihnen pflegen.
Viele amerikanische Journalisten haben sich geweigert, Bergens neues Buch «What the F: What Swearing Reveals About Our Language, Our Brains, and Ourselves» überhaupt zu rezensieren, verrät der Wissenschaftler der Onlineplattform Gizmodo. Einfach weil man glaube, Schimpfwörter wären Ausdruck von schlechter Erziehung, Ungebildetheit oder gar Dummheit, sagt der Wissenschaftler.
Bergen selbst vergleicht seine Arbeit mit dem Kinsey-Report: Ein unerschrockener Zoologe fragt die US-amerikanische Bevölkerung der 50er-Jahre hemmungslos über ihr Sexualverhalten aus. Damals versteckte sich die Sexualität unter zugeknöpften Blusen, sie wurde tabuisiert, für sündig erklärt. Kinseys Bücher waren revolutionär: er wühlte und klärte auf.
Heute weiss man viel über Sex. Übers Fluchen allerdings nichts. Damit scheint man in gewissen Kreisen noch immer Berührungsängste zu haben. Darum will Bergen Licht in die dunkle Ecke der unflätigen Schimpferei bringen. Denn erst wenn die Wissenschaft in diese tabuisierten Bereiche einzudringen vermag, wachse auch die Akzeptanz der Gesellschaft.
Bergen hat die Flut an untersuchten Kraftausdrücken aus verschiedenen westlichen Ländern in vier Kategorien eingeteilt:
Die schlimmsten Wörter seien die Beschimpfungen, sagt Bergen. Weil sie den Adressaten aufgrund der Hautfarbe oder der sexuellen Ausrichtung beleidigen. Sie haben die grösste emotionale Wirkung und seien darum sehr verletzend. Das habe sich verändert. Waren es vor 50 Jahren noch die Fäkalwörter und die Ausdrücke, die sich auf den religiösen Bereich beziehen, so seien heute Beschimpfungen wie «Nigger» die schockierendsten. Nach Bergen treten wir in eine neue Fluch-Ära ein.
Denn die Stärke eines Fluchwortes hängt von den jeweiligen Tabus, von Werten und moralischen Vorstellungen ab, die eine Gesellschaft in einer bestimmten Zeit aufstellt. Wenn Gott ausgedient hat, haben auch Gottverfluchungen ausgedient.
Wenn überhaupt etwas mit Gewissheit gesagt werden könne, führt Bergen weiter aus, sei es, dass 18-Jährige, die mehr fluchen, im Durchschnitt einen grösseren Wortschatz haben.
«Warum also zensieren wir uns vor Kindern?», fragt sich der Wissenschaftler. Das geschehe spontan, vielleicht, weil es bereits unsere Mütter bei uns so gehandhabt haben. Doch das einzige rationale Argument für diese Selbstzensur sei die Angst vor sozialen Konsequenzen. Das Kind könnte in der Schule fürs Verwenden eines bösen Schimpfwortes bestraft werden. Und die anderen denken: «Dieses Kind ist von schlechten Eltern.»
Bergen fordert ein aufklärerisches Verhalten in Bezug aufs Fluchen. Kein «Das sagt man nicht!». Verbote würden nicht helfen. Das habe in Bezug auf die Sexualität nicht gewirkt und ebenso wenig funktioniere es beim Alkoholkonsum. Die Kinder sollten viel eher lernen, in welchen Situationen sie Schimpfwörter benutzen dürfen und wo sie überhaupt nicht angebracht sind.
Ob Fluchen dem Menschen eine Art Katharsis beschere, weiss Bergen nicht. Das sei noch immer ein grosses Mysterium, das er gerade im Labor untersuche. Es gebe allerdings viele physikalische Indikatoren, die für eine Befreiung von negativen Emotionen durch die Verwendung von Schimpfwörtern spreche.
Was erwiesenermassen nicht gegen Aggressionen helfe, seien Bewältigungs-Programme mit Knetbällen oder Kissen, bei denen versucht wird, die Wut umzulenken. Die Angriffslust steigere sich dadurch sogar noch.
Vielleicht funktioniere die verbale Aggression genau anders rum. Vielleicht aber auch nicht, werweisst Bergen. «Wir wissen es nicht.»
Ein Experiment habe allerdings gezeigt, dass das Fluchen einen Einfluss auf die Schmerzempfindlichkeit hat: Die Probanden mussten ihre Finger so lange wie möglich in eiskaltes Wasser halten. Fluchten sie dabei, hielten sie dem Schmerz länger stand. Allerdings nicht diejenigen Versuchspersonen, die angaben, in ihrem Alltag oft Schimpfwörter zu benutzen.
Fazit: Fluchen tut offenbar weniger für die Menschen, die viel fluchen.