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Stress, Druck, Strapazen – warum dich unser Lebensstil krank macht

ZUM THEMA MOBILTELEFON IM ALLTAG STELLEN WIR IHNEN HEUTE, DONNERSTAG, 21.01.2016, FOLGENDES NEUES BILDMATERIAL ZUR VERFUEGUNG --- [Symbolic Image, Posed Picture, Model Released] In the living room, a  ...
Das heutige Leben kennt kaum mehr Pausen – und das schlägt auf die Psyche.Bild: KEYSTONE

Stress, Druck, Strapazen – warum dich unser Lebensstil krank macht

Ein aufs Maximum beschleunigtes Arbeitsleben, Wochenenden voller Termine – und eine Gesellschaft, in der vor allem das Äussere eines Menschen zu zählen scheint. Psychiatrie-Experten plädieren für mehr Gemütlichkeit.
25.11.2016, 08:0025.11.2016, 12:34
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Termin folgt auf Termin. Immer die Deadlines im Nacken. An die privaten Pflichten erinnert zwischendurch das Piepen des Handys: Kurznachrichten, E-Mails, soziale Netzwerke. Dort protzen Bekannte mit Reisen oder absolvierten Marathonläufen um die Wette. Bei den Werbemodels kneift kein Hosenbund. So jagt ein Reiz den nächsten.

Dass das heutige Leben kaum noch Pausen kennt, kann unter Umständen an der seelischen Gesundheit nagen, fürchten Psychiatrie-Experten. Sie forderten am Donnerstag in Berlin eine bessere Erforschung der modernen Lebensumstände als Risikofaktor.

DEU, Deutschland, Berlin-Mitte, Kalkscheune, 02.05.2012: 3. Forum Qualitaetskliniken (www.forum-qualitaetskliniken.de), Veranstalter: 4QD - Qualitaetskliniken.de GmbH (www.qualitaetskliniken.de).
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Iris Hauth, Psychiaterin.Bild: Dietmar Gust / 4QD

«Alle sind leistungsfähig, schön und jung und möchten das möglichst lange bleiben. Das hat Folgen im Verhalten der Menschen», sagte Iris Hauth, die Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) am Rande des Jahreskongresses der Fachgesellschaft.

Unter der Schwelle

«Ich würde nicht sagen, Lifestyle macht Erkrankungen. Aber Lifestyle bewirkt Verhaltensveränderungen und emotionale Veränderungen, die gegebenenfalls Risikofaktoren für eine Erkrankung werden können.» Sie sieht in diesem Feld Möglichkeiten für Vorbeugung und Therapie.

In Zahlen schlägt sich die Befürchtung bisher nur bedingt wieder. Die «echten» psychischen Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen und Abhängigkeitserkrankungen haben laut Hauth in den vergangenen rund 15 Jahren nicht zugenommen. «Was zunimmt, sind Befindlichkeitsstörungen unter der Schwelle einer echten psychiatrischen Diagnose.»

Als Chefärztin der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik in Berlin-Weissensee erlebe sie, dass zum Beispiel zunehmend junge Menschen mit Prüfungs- oder Partnerschaftsstress in der Notaufnahme Hilfe suchen.

Mit Tabletten optimiert

Hauth zählt weitere Phänomene auf, die für sie ins Bild passen: Da sind Eltern, die ihr zappliges Kind mit Tabletten optimal durch die Schulzeit bringen wollen. Menschen, die sich fragen, ob ihre Aufenthaltsdauer im Internet noch normal ist. Frauen, die nicht mehr nur Diäten ausprobieren, sondern sich dauerhaft mit ihrem Aussehen beschäftigten und sogenannte Körperbildstörungen entwickeln.

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Und dann sind da noch die bis zu fünf Prozent der Berufstätigen, die mit Medikamenten Hirndoping betreiben, wie Claus Normann von der Klinik für Psychiatrie am Uniklinikum Freiburg im Breisgau sagt. Tendenz steigend. «Unter Studierenden dürften die Zahlen noch höher liegen.»

Besteht Grund zur Sorge um die Gesellschaft? Jein. Wie gut Menschen mit Stress zurechtkommen, ist auch eine Frage der persönlichen Verfassung. Dem Druck der Selbstoptimierung setzten sich vor allem Menschen aus, denen es an Selbstwertgefühl mangele, sagt Hauth.

«Wenn ich dagegen genügend Selbstwertgefühl habe – was mit der eigenen Persönlichkeit, Vererbtem, aber auch Erfahrungen der ersten 15 bis 20 Lebensjahre zu tun hat – dann ist das ein wesentlicher Resilienzfaktor.» Unter Resilienz wird die Fähigkeit verstanden, mit Widrigkeiten und Tiefschlägen umzugehen – und gesund zu bleiben.

Einfach mal nichts tun

Jeder kann auch selbst etwas tun. Hauth ruft zu mehr Musse auf: «Auch einmal nichts zu tun, ist für die Gesundheit des Gehirns unglaublich hilfreich.» Man müsse nicht alles machen, was der Markt biete. Ihre Patienten bringt sie dazu, sich die gelungenen Dinge des Tages vor Augen zu führen statt der Defizite.

Und sie appelliert, soziale Kontakte zu pflegen: Einzelgänger, die sich isoliert fühlen, trügen ein besonders hohes Risiko für psychische Erkrankungen und seien angreifbarer als Menschen in gesunden Beziehungen.

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Zumindest im englischsprachigen Raum wird derzeit Entschleunigung nach dänischem Vorbild propagiert, wie der «Guardian» kürzlich berichtete. Denn in Dänemark leben die nach Umfragen glücklichsten Menschen. Als Schlüssel gilt «Hygge», was so etwas wie Gemütlichkeit bedeutet.

Das Nachmachen ist gerade zu dieser Jahreszeit ziemlich einfach: eine Kerze anzünden, Handy ausschalten, heissen Kakao trinken, zurücklehnen und dem schnellen Leben für ein Weilchen entsagen. (gin/sda/dpa)

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18 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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c_meier
25.11.2016 09:19registriert März 2015
Dann ist der Schlüssel zur Lösung frei nach Balu:
Probiers mal mit Gemütlichkeit...
(bitte gern geschehen für den Ohrwurm :)
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Oshikuru
25.11.2016 09:30registriert Juni 2016
Ich habe gerade letzte Woche mit einer Dänin hygge gemacht. Das scheint in Dänemark wirklich ein Ding zu sein. Hinsetzen, etwas trinken und einfach reden. Muss zugeben, das hat der Seele wirklich gut getan.
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dmark
25.11.2016 09:41registriert Juli 2016
Interessanter Bericht - Wieder ein Grund mehr Gras zu legalisieren...
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