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Von Wladimir dem Grossen zu Putin dem Lächerlichen

epa10167200 A handout photo made available by the TASS Host Photo Agency shows Russian President Vladimir Putin gestures on the sidelines of the 2022 Eastern Economic Forum (EEF) in Vladivostok, Russi ...
Bild: keystone
Analyse

Von Wladimir dem Grossen zu Putin dem Lächerlichen

Der Blitzsieg der Ukrainer wird zur Schande des russischen Präsidenten.
12.09.2022, 14:2012.09.2022, 18:05
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Wladimir Putin liebt die Macho-Pose. Ob nackter Oberkörper oder einstudierte James-Bond-Imitation – der russische Präsident lässt nichts aus. Auch politisch kennt sein Grössenwahn keine Grenzen. Er vergleicht sich deshalb gerne mit Peter dem Grossen, dem legendäre Zaren, der im 18. Jahrhundert das russische Imperium gegründet hat.

Fiona Hill war lange Sicherheitsberaterin im Weissen Haus und gilt als ausgewiesene Russland-Kennerin. In der jüngsten Ausgabe von «Foreign Affairs» fasst sie Putins geopolitische Ambitionen wie folgt zusammen:

«Putin will eine Welt, in der Russland einer slawischen Union vorsteht, die sich zusammensetzt aus Belarus, Russland, der Ukraine und Teile von Kasachstan – und in der alle anderen ehemaligen Teilstaaten der Sowjetunion die russische Vorherrschaft akzeptieren. Auch der Westen und der Süden sollen Russlands dominante Rolle in Eurasien anerkennen.»

Die hochfliegenden geopolitischen Pläne Putins haben in den letzten Tagen einen argen Dämpfer erfahren. Mit einem erfolgreichen Blitzangriff hat die ukrainische Armee nicht nur rund 3000 Quadratkilometer Land zurückerobert – das entspricht etwa der Grösse des Kantons Waadt –, sie hat dabei die russischen Soldaten vorgeführt und gedemütigt.

«Sie (die russischen Soldaten) haben ihre Panzer verlassen und ihre Waffen liegen gelassen, sie stahlen selbst Velos, um zu fliehen», schildert in der «Financial Times» Petro Kuzyk, ein Kommandant der ukrainischen Armee, das Geschehen der letzten Tage. «Dass die russische Armee auf diese Weise zusammengebrochen ist, machte unseren Job leichter. Sie flohen wie Sprinter an den Olympischen Spielen.»

Es ist kein Zufall, dass die Soldaten der Ukraine ihren bisher bedeutendsten Erfolg erzielten. «Unsere Gegenoffensive war minutiös vorbereitet», erklärt Kuzyk weiter. Die Oberkommandierenden der russischen Armee wurden wie Anfänger in eine Falle gelockt, indem die Ukrainer eine Offensive bei Cherson vortäuschten.

Die russischen Truppen wurden durch Dauerbeschuss zermürbt. Dabei zeigte sich einmal mehr, dass die Moral der russischen Soldaten sehr bescheiden ist. «Sobald sie dank der Artillerie keine Übermacht mehr haben, hören sie nicht nur auf zu kämpfen, sie rennen davon», erklärt Serhiy Kuzan, ein ukrainischer Militärberater. «Das war das Geheimnis unserer Operation. Die russische Armee ist ein aufgeblasener Ballon.»

FILE - Ukrainian servicemen ride atop of an armored vehicle on a road in Donetsk region, eastern Ukraine, Sunday, Aug. 28, 2022. As the war slogs on, a growing flow of Western weapons over the summer  ...
Siegreiche Truppen der Ukraine im Donbass.Bild: keystone

Dieser Ballon ist im Donbass geplatzt und hat der ukrainischen Armee ein Luxusproblem beschert. Sie hat innert Tagen mehr Gebiete zurückerobert als die Russen in mühseligen Kämpfen während Monaten errungen haben. Dieses Gebiet zu verteidigen, wird allerdings keine leichte Aufgabe sein. Olenskii Reznikow, der ukrainische Verteidigungsminister, erklärt denn auch gegenüber der «Financial Times»: «Natürlich müssen wir auf der Hut sein, aber dieser Krieg verlangt dies von uns seit Jahren.»

Der Erfolg der ukrainischen Armee ist nicht nur ein gewaltiger Moralschub für die Soldaten und die Bevölkerung. Er dürfte auch dazu führen, dass der Westen seine Waffenlieferungen wieder intensivieren wird. Der Beweis, dass die Russen alles andere als unbesiegbar sind, ist damit endgültig erbracht und die oft wiederholte Behauptung von Präsident Wolodymyr Selenskyj, seine Soldaten würden sämtliche besetze Gebiete befreien, mit Fakten belegt. Deshalb erklärt Gabrielius Landsbergis, der Aussenminister von Litauen: «Es besteht nun kein Zweifel mehr, dass die Ukrainer die Russen schon in den ersten Kriegstagen vertrieben hätten, hätten sie über die notwendigen Waffen verfügt.»

Der Kreml versucht, die blamable Niederlage nach Kräften herunterzuspielen. Zwar können selbst die besten Spindoktoren den Rückzug der russischen Truppen nicht verleugnen, aber sie versuchen zumindest, ihn zu verniedlichen. Es handle sich bei diesem Rückzug um eine strategische Neugruppierung, lautet die offizielle Version der Ereignisse im Donbass.

Wladimir Putin übt sich derweil in blasierter Abgehobenheit. Als ob nichts geschehen wäre, weihte er am Wochenende in Moskau ein Riesenrad ein und scherzte demonstrativ mit ein paar Soldaten. Doch selbst der russische Präsident scheint nicht mehr unverwundbar zu sein. So erklärt sein ehemaliger Redenschreiber Abbas Gallyamow gegenüber der «New York Times»: «Stärke ist Putins einzige Legitimität, und sollte sich zeigen, dass Putin nicht mehr stark ist, dann wird seine Legitimität sehr rasch gegen null sinken.»

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Lässt sich nicht unterkriegen: Präsident Wolodymyr Selenskyj.Bild: keystone

Wohl deshalb eifert Putin auch einem anderen legendären russischen Zaren nach, Iwan dem Schrecklichen. Erneut lässt er – militärisch sinnlos – zivile Einrichtungen mit Raketen beschiessen. Die heldenhafte Bevölkerung der Ukraine lässt sich davon nicht beeindrucken. Präsident Selenskyj lässt Putin über den Nachrichtenkanal Telegram ausrichten:

«Glaubst du immer noch, Ukrainer und Russen seien ein Volk? Glaubst du immer noch, du könntest uns Angst machen und uns brechen? Wir werden bald wieder mit Gas, Licht und Nahrung sein – aber ohne dich.»

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170 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Präventionsparadox
12.09.2022 14:47registriert Januar 2021
Wladimir der "Grössenwahnsinnige", zum "Lächerlichen" und hoffentlich bald "Gestürzten".
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Paul Badman
12.09.2022 14:42registriert November 2015
Es gibt da ein grosses Problem, eine Art Vexierbild. Aufgeklärte Menschen im Westen, die alle Tassen im Schrank haben, sehen den füdliblutten Kaiser Putin. Die Leute hinter den Vorhängen sehen es irgendwie schon auch, aber sie rühmen überschwänglich seine Gewänder. Erst wenn auch diese den Kaiser Putin auslachen, gibt es eine Veränderung. Es wird aber ziemlich instabil werden im Osten. In Belarus haben wir einen genau so nackten Despoten, in Tschetschenien auch.
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HugiHans
12.09.2022 14:30registriert Juli 2018
Alles schön und gut, aber wie geht es weiter? Meiner Meinung nach ist immer noch die einzige Option, dass Putin innenpolitisch gestürzt wird. Nur das eröffnet Möglichkeiten für eine zeitnahe Stabilisierung der Region und einen Neuanfang mit Russland als Verhandlungspartner.
Aber auch für einen solchen Umsturz gibt es Anzeichen mit den immer lauter werdenden Kritik im Innland. Diese wäre vor Wochen noch nicht möglich gewesen.
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