International
China

Uiguren: «Genozid à la chinoise» – Einblick in den Machtapparat

«Genozid à la chinoise» – warum Sanktionen gegen China kein Pappenstiel sind

Die geleakten chinesischen Daten erinnern an die Verbrechen des Regimes gegen die eigene Bevölkerung. Was kann der Westen tun? Klar ist, Sanktionen gegen Putin sind dagegen ein Pappenstiel.
25.05.2022, 10:1725.05.2022, 11:59
Daniel Fuchs / ch media
Mehr «International»

Ist es übertrieben, wenn Staaten wie Frankreich, die USA oder die Niederlande das, was in der chinesischen Provinz passiert, einen Genozid nennen? Dass dort überwiegend muslimische Uiguren, die in der nordwestlichen Region Xinjiang vorherrschende Ethnie, in Umerziehungslager gesteckt, dass sie überwacht, verfolgt und gefoltert werden, ist hinlänglich bekannt.

Xi Jinping weist Einmischung bei Menschenrechten zurück
Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping hat sich gegen eine Einmischung in innere Angelegenheiten unter dem Vorwand der Menschenrechte ausgesprochen.

Vor dem Hintergrund internationaler Vorwürfe über Menschenrechtsverstösse und die Verfolgung von Minderheiten in China wandte sich der Präsident am Mittwoch in Peking bei einem Videogespräch mit UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet bei deren China-Besuch gegen eine «Politisierung» der Menschenrechte oder «zweierlei Mass» bei deren Betrachtung. «Länder brauchen keine gängelnden Lektoren.»

Obwohl die Vereinten Nationen eigentlich die universelle Gültigkeit der Menschenrechte garantieren, bekräftigte Xi Jinping in dem Gespräch die chinesische Position, dass unterschiedliche Wege einzelner Länder respektiert werden müssten. «Menschenrechte haben einen historischen, spezifischen und praktischen Kontext.» Mit unterschiedlichen nationalen Bedingungen, Historien, Kulturen, sozialen Systemen und Ebenen wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung müssten Länder ihren passenden Pfad der Menschenrechte erkunden, relativierte Xi Jinping deren Bedeutung.

Bestärkt werden die bekannten Umstände nun von neuen Beweisen. Am Dienstag veröffentlichte eine internationale Medienkooperation ein riesiges Datenleak. Die «Xinjiang Police Files» bieten Einblick ins Innerste des chinesischen Machtapparats. Sie beinhalten Tausende von Fotos inhaftierter Uiguren, deuten auf Folterszenen hin und belegen etwa, dass flüchtige Uiguren unverzüglich erschossen werden sollen. Das alles läuft in Chinas Politik unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung.

Angeblich zur Deradikalisierung: Dieses Foto von 2017 zeigt inhaftierte Uiguren in einem Lager in der Präfektur Hotan.
Bild: Human Rights Watch

Wie ein Genozid à la chinoise funktioniert

Wer Genozid hört, der denkt zuallererst an Vernichtungslager. Das sind die chinesischen Umerziehungslager kaum. Hier wird der Wille der Menschen gebrochen, ein kulturelles Erbe ausgelöscht.

Wie ein Genozid à la chinoise funktioniert, beschrieb indes der deutsche Anthropologe Adrian Zenz eindrücklich in einem Aufsatz, der 2021 im Magazin «Foreign Policy» erschienen ist. Zenz ist auch der Mann, der die «Xinjiang Police Files» von einem anonymen Hacker erhalten und sie dem internationalen Recherchenetzwerk weitergereicht hat.

Das Regime bedient sich dafür sowohl systematischer Geburtenkontrolle auf der uigurischen Seite sowie der gezielten Ansiedlung von Han-Chinesen in der mehrheitlich von Uiguren bewohnten Region. Zenz zitiert aus Verlautbarungen chinesischer Behörden etwa, dass sich der Anteil der Bevölkerung mit «negativer Energie» so «ausdünnen» soll. Die UNO-Völkermordkonvention von 1948 hält klipp und klar fest, was einen Genozid definiert: Etwa wenn verhängte Massnahmen zur «Verhinderung von Geburten innerhalb einer Gruppe» beabsichtigen, «eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe ganz oder teilweise zu zerstören».

Die Chinesen machen Angst

Chinas Uiguren-Politik ist nur eines der Themen, welche die Angst vor dem bevölkerungsreichsten Land schüren: In Hongkong wurde erfolgreich ein funktionierender Rechtsstaat geschleift. Gegenüber der aus seiner Sicht abtrünnigen Insel Taiwan betreibt Peking scharfe Kriegsrhetorik, sodass US-Präsident Joe Biden zuletzt Taiwan militärischen Beistand garantierte im Fall eines chinesischen Angriffs. Man will sich nicht ausmalen, was passiert, wenn sich im Pazifik die beiden Grossmächte USA und China bekriegen.

Und unter dem Deckmantel der Bekämpfung des Coronavirus werden immer neue Lockdowns verhängt, welche die betroffene Bevölkerung entrechten und die Wirtschaft abwürgen. Westliche Multis wenden sich bereits vom Riesen in Fernost ab, zuletzt Apple und Airbnb.

Dieser – freiwillige – Abzug aus dem sehr lukrativen chinesischen Markt darf jedoch nicht über die Bedeutung Chinas für den hiesigen Lebensstandard hinwegtäuschen. Als gigantischer Lieferant billiger Konsumgüter sowie von Rohstoffen, etwa seltenen Erden, und als riesiger Absatzmarkt für hiesige Industriezweige sorgt China mitunter für Wohlstand in Europa, auch in der Schweiz. In Deutschland wird deshalb gerade im Zusammenhang mit den «Xinjiang Police Files» diskutiert, wie der Unterdrückungspolitik Chinas zu begegnen ist.

Russland-Politik im Vergleich ein Kinderspiel

Noch streitet der Westen über Öl- und Gasembargos gegenüber dem Aggressor Russland in der Ukraine. Was aber, wenn man dereinst zum Schluss kommen muss, dass China Putins Unterdrückungspolitik sogar noch in den Schatten stellt? Könnte sich der Westen überhaupt aus der Abhängigkeit von China lösen? Die Loslösung Europas von der Abhängigkeit von russischem Öl und Gas scheint angesichts dieser Frage wie ein Kinderspiel.

Chinesische Politik wird oft als rational und kühl durchdacht bezeichnet. Dieselben Attribute hafteten bis vor kurzem der Politik Wladimir Putins an.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
44 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Marco Haggis
25.05.2022 10:42registriert Januar 2021
Es ist traurig mit anzusehen, wie ein solches Land, das eigentlich eine vielschichtige und lange Tradition, eine tolle Küche und hinter der manchmal unfreundlichen Fassade doch warmherzige Menschen zu bieten hat, sich mit solch völlig kranken Ideologien immer weiter in die finsteren Ecken der Geschichte manövriert. Was in letzter Zeit in China passiert, würde sogar George Orwell die Haare zu Berge stehen lassen und man kann nur den Kopf schütteln, woher dieser Zwang zur Unterdrückung und wahnhafter Kontrolle kommt. Ich denke das jetzige China ist das letzte, was die Menschheit braucht.
917
Melden
Zum Kommentar
avatar
Swen Goldpreis
25.05.2022 11:50registriert April 2019
Was mir nicht so recht in den Kopf will: In Südosteuropa, also etwa Rumänien oder Bulgarien, sind die Löhne mit denen von China vergleichbar. Die Politik dort ist stabil und die Leute sind gut gebildet. Die EU steckt sowieso Milliarden in diese Regionen, wieso hilft sie den Firmen nicht, wenn sie Kapazitäten aus China in diese Ländern verlagern wollen.
613
Melden
Zum Kommentar
avatar
Hakuna!Matata
25.05.2022 12:14registriert Juni 2019
Ist doch in Tibet ziemlich ähnlich passiert. Was hat die Welt da getan?
322
Melden
Zum Kommentar
44
Konsumentenschützer erzielen Teilerfolg mit Klage gegen Mercedes

Im Zuge des Dieselskandals wollen Konsumentenschützer Schadenersatz für rund 2800 Mercedes-Kunden erstreiten. Nun haben sie einen Teilerfolg erzielt. Zu Ende ist die Auseinandersetzung noch nicht.

Zur Story