Die grosse Liebe war nie zwischen Donald Trump und Mike Pence. Es war eine Zweckehe. Der Lebemann Trump hatte den strenggläubigen, asketischen Ex-Gouverneur von Indiana zum Vizepräsidenten ernannt, weil er die Stimmen der Evangelikalen benötigte. Wie wenig er von Pence hielt, zeigte sich beim Kapitolsturm am 6. Januar 2021.
Damals hatte der Vizepräsident die Aufsicht über die Bestätigung von Joe Bidens Wahlsieg durch den Kongress. Trump hatte ihn aufgefordert, sie zu verhindern, doch Pence weigerte sich mit Verweis auf seinen Amtseid auf die Verfassung. Der Präsident war stocksauer, er soll den «Hängt Mike Pence!» rufenden Mob regelrecht angefeuert haben.
I share the deep concern of millions of Americans over the unprecedented search of the personal residence of President Trump. No former President of the United States has ever been subject to a raid of their personal residence in American history.
— Mike Pence (@Mike_Pence) August 9, 2022
Seither schien das Tischtuch zwischen den beiden endgültig zerschnitten zu sein. Pence ging immer deutlicher auf Distanz zu Trump, erst recht nachdem die Hearings im Kongress laufend neue unappetitliche Details zum Sturm auf das Kapitol ans Licht gebracht haben. Gleichzeitig liebäugelte der Ex-Vize mit einer Präsidentschaftskandidatur 2024.
Am Dienstag aber tönte es ganz anders. Nach der Durchsuchung von Trumps Anwesen in Florida durch das FBI am Vortag schrieb Pence auf Twitter, er teile «die tiefe Besorgnis von Millionen Amerikanern». Die Aktion untergrabe «das Vertrauen der Öffentlichkeit in unser Rechtssystem». Justizminister Merrick Garland müsse «unverzüglich» Rechenschaft ablegen.
Mike Pence war beileibe nicht der einzige Republikaner, der sich nach der «Razzia» reflexartig hinter den Ex-Präsidenten stellte. Gerade sein Verhalten aber zeigt, wie sehr Donald Trump die Partei nach wie vor im Griff hat. Dabei hatte sein Rückhalt gerade wegen der Hearings zu erodieren begonnen. Ein Leben nach Trump schien auf einmal möglich.
Auf seine ihm bedingungslos ergebene Gefolgschaft aber können die Republikaner nicht verzichten. Sie reagierte mit Wut und spontanen Protesten auf die Hausdurchsuchung in Mar-a-Lago. Republikanische Politiker inklusive Pence konnten nicht anders, als sich mit Trump zu solidarisieren, obwohl sie ihn in Tat und Wahrheit gerne los wären.
Dabei profitierte der Ex-Präsident auch davon, dass er jahrelang das Misstrauen gegen die Bundespolizei FBI geschürt hatte. Er habe sich «während langer Zeit auf diesen Moment vorbereitet», schrieb die «Washington Post». Trumps Polemik geht zurück auf die Untersuchung wegen der mutmasslichen Einmischung Russlands in die Wahl 2016.
Dabei ging es auch um eine mögliche Mitwisserschaft von Trump und seiner Entourage. Der Präsident reagierte darauf, indem er wenige Monate nach seinem Amtsantritt den damaligen FBI-Direktor James Comey feuerte. Die Untersuchung bezeichnete Trump als politisch motivierte «Hexenjagd» und die Bundespolizei als verlängerten Arm des «Deep State».
Dieses Narrativ wird im aktuellen Fall ebenfalls bemüht. Dabei dürften Justiz und FBI ihr Vorgehen in Mar-a-Lago genau aus diesem Grund exakt geplant haben. «Das FBI hätte einen derart riskanten Schritt nicht unternommen ohne die feste Überzeugung, dass eine mögliche Straftat vorliegt», schrieb Politico mit Verweis auf Rechtsexperten.
Worum es geht, darüber schweigen sich die Ermittler aus. Aber die Anzeichen verdichten sich, dass Donald Trump vertrauliche Dokumente aus seiner Amtszeit, die er dem Nationalarchiv hätte übergeben müssen, mitgenommen hat. Laut dem «Wall Street Journal» hat das FBI am Montag etwa zehn Kisten mit Material beschlagnahmt.
Donald Trump würde eine Gefängnisstrafe oder zumindest der Ausschluss von Ämtern auf Bundesebene drohen. Allerdings braucht es viel für eine Anklage, geschweige denn eine Verurteilung. Das liegt auch an der krassen Ungleichheit im amerikanischen Rechtssystem, das Reiche und Mächtige gegenüber «armen Schluckern» privilegiert.
Während diese selbst dann verurteilt werden, wenn eine Anklage noch so fadenscheinig ist, muss sie im Fall von Trump und Co. hieb- und stichfest sein, sonst wird sie von ihren hochkarätigen Anwälten in der Luft zerfetzt. Es ist einer der Gründe, warum Justizminister Merrick Garland zögert, ein Strafverfahren gegen den Ex-Präsidenten einzuleiten.
Wie lange Trump vom Aufruhr über die Razzia profitieren kann, ist eine andere Frage. Das Empörungskarussell dreht sich heutzutage rasant, und dazu hat kaum einer mehr beigetragen als der schrille New Yorker. Für den Moment aber kann Trump sich die Hände reiben. Einmal mehr tanzen die Republikaner nach seiner Pfeife, sogar Mike Pence.
Mir wäre nicht bekannt, dass Razzien vorab angekündigt werden.