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Ukraine und Sanktionen: Nach scharfer Kritik plant Bundesrat eine Wende

Protestors take part in a demonstration against Russia's military intervention in Ukraine at the in Bern, Switzerland, Saturday, February 26, 2022. Russian troops bore down on Ukraine's capi ...
Plakat einer demonstrierenden Person gegen die militärische Intervention Russlands in der Ukraine, Bern am 26. Februar 2022.Bild: keystone

«Habe mich für die Schweiz geschämt»: Nach scharfer Kritik plant der Bundesrat eine Wende

Dass die Schweiz die EU-Sanktionen gegen Russland nicht mitträgt, stösst im In- und Ausland auf Unverständnis. Erst schien es, als sei ein möglicher diplomatischer Coup – nämlich Friedensgespräche in Genf – der Grund für den Sonderweg. Doch jetzt dreht der Wind, wie Recherchen zeigen.
27.02.2022, 17:3827.02.2022, 18:20
Patrik Müller und Remo Hess / ch media
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Der Bundesrat hat unterschätzt, was sein Zögern bei den Sanktionen gegen Putins Russland auslösen würde. Ungewöhnlich viele Briefe von Bürgerinnen und Bürgern seien im Bundeshaus angekommen, heisst es aus dem Umfeld. Die meisten Leute hätten sich empört, dass der Bundesrat nicht sofort scharfe Sanktionen ergriffen habe.

Bundespraesident Ignazio Cassis, Mitte, Bundesrat Guy Parmelin, links, und Bundesraetin Karin Keller-Sutter, rechts, sprechen nach einer Medienkonferenz zu den Beschluessen des Bundesrats um Thema Ukr ...
Bundespräsident Ignazio Cassis (Mitte), Bundesrat Guy Parmelin (links), und Bundesrätin Karin Keller-Sutter (rechts) bei der Ukraine-Pressekonferenz am 25. Februar 2022.Bild: keystone

Auch in den sozialen Medien ist der Tenor eindeutig, und zwar nicht nur von links. Ein Mitte-Politiker etwa schrieb auf Twitter, er schäme sich:

Der Baselbieter SP-Nationalrat Eric Nussbaumer reagierte auf den Tweet und antwortete: «Ich bin schon etwas älter, empfinde aber auch so.» Die Sozialdemokraten haben einen Ukraine-Appell lanciert, den am Sonntagnachmittag bereits 121'000 Menschen unterschreiben hatten. Der Titel: «Jetzt Sanktionen gegen das Putin-Regime beschliessen!»

Auch aus dem Ausland kam Kritik, und spätestens als am Freitag die stellvertretende US-Aussenministerin Wendy Sherman in Bern anrief und mit Staatssekretärin Livia Leu sprach, dämmerte es dem Bundesrat: Es reicht nicht, «Massnahmen zur Vermeidung der Umgehung internationaler Sanktionen» zu beschliessen, sondern sie muss so weit gehen wie die EU. Sherman schrieb nach dem Telefonat auf Twitter: «Wir haben uns versichert, Russland für seine Missachtung des internationalen Rechts und die Verletzung der ukrainischen Souveränität und territorialen Einheit zur Verantwortung zu ziehen.»

Am Montag trifft sich der Bundesrat nun zu einer ausserordentlichen Sitzung. Das einzige Bundesratsmitglied, das sich am Wochenende dazu äusserte, war Justizministerin Karin Keller-Sutter (FDP), die am Rande des Treffens der EU-Justizminister in Brüssel sagte:

«Die Massnahmen gegenüber Russland müssen jetzt verschärft werden.»

Die Bundesverwaltung sei in diesen Stunden daran, entsprechende Lösungen vorzubereiten, sagte Keller-Sutter. Der Bundesrat werde am Montag entscheiden. Sie persönlich sei für eine Verschärfung, könne den Diskussionen aber nicht vorgreifen.

Für alle Sanktionen ist das Wirtschaftsdepartement von Guy Parmelin (SVP) zuständig, genauer das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco). Dass Parmelin nicht schon sofort nach Kriegsausbruch konkrete Sanktionen vorschlug, führte an einer Sitzung der nationalrätlichen staatspolitischen Kommission am Freitag zu kritischen Voten. Er und auch Aussenminister Ignazio Cassis (FDP) hätten die weltpolitische Dimension nicht erkannt – und ebensowenig das Risiko, dass die Schweiz mit ihrem Ausscheren einen Reputationsschaden riskiere.

Am Mittwoch, als sich die Ukraine-Krise zugespitzt hatte, sprach der Bundesrat zwar darüber, aber es gab dazu offenbar kein Aussprachepapier, keinen verbindlichen Antrag, bloss eine sogenannte Informationsnotiz. Die Landesregierung schien weitgehend unvorbereitet auf die Eskalation in de Ukraine.

Das Parlament machte dem Bundesrat darauf Beine. Die Staatspolitische Kommission (SPK) verabschiedete am Freitag eine Erklärung, die den Bundesrat auffordert, die EU-Sanktionen vollständig zu übernehmen und die Bevölkerung der Ukraine zu unterstützen.

Am Montag, so hört man aus bundesratsnahen Kreisen, soll die Landesregierung Massnahmen gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin und Aussenminister Sergej Lawrow beschliessen – und die EU-Sanktionen fast deckungsgleich übernehmen.

Die Schweiz macht auch beim Swift-Ausschluss mit

Das gilt gemäss CH-Media-Informationen auch für den Ausschluss Russlands vom Bankensystem Swift. Zuständig ist das Finanzdepartement von Ueli Maurer (SVP) oder genauer das Staatssekretariat für internationale Finanzfragen. Nachdem zuletzt auch Deutschland, das lange zögerte, einen Ausschluss russischer Finanzinstitute aus dem Banken-Kommunikationsnetzwerk befürwortet hat, scheint klar: Die Schweiz zieht mit. Nur schon technisch wäre es kaum möglich, wenn sie hier einen Sonderweg gehen würde. Der Bundesrat muss den Schritt aber formell beschliessen.

Somit zeichnet sich ab: Die Schweiz schwenkt bezüglich Sanktionen auf EU-Kurs ein. Der naheliegendste Rechtfertigungsgrund für ein milderes Vorgehen fiel am Sonntag in sich zusammen. Am Samstag hatten die Tamedia-Newsportale noch getitelt: «Schweiz will Friedenskonferenz in Genf organisieren.» Die nicht vollständige Übernahme der EU-Sanktionen, so die Logik, würde bei diesen diplomatischen Bemühungen helfen, die Russen – konkret Aussenminister Lawrow - am Dienstag nach Genf zu holen. So weit kommt es nicht. Am Sonntag wurde bekannt, dass die Ukraine für Verhandlungen mit Russland bereit ist – aber nicht in Genf, sondern an der Grenze zu Belarus. (bzbasel.ch)

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Krieg in der Ukraine
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Krieg in der Ukraine
Weltweit demonstrieren Menschen für Frieden, hier Washington (USA), 26.02.2022. (EPA/WILL OLIVER)
quelle: keystone / will oliver
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Die russischen Angriffe auf die Ukraine
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146 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Gurgelhals
27.02.2022 17:55registriert Mai 2015
Wofür haben wir eigentlich eine Regierung, wenn diese nicht regiert, sondern immer nur verspätet reagiert (weil man es ihnen zuerst immer ganz langsam erklären muss)?

Wofür haben wir diese leere Johannisbeersirupflasche von einem Aussenminister, wenn der zu blöd ist um Weltpolitik zu verstehen?

Wofür haben wir einen Finanzminister, wenn der vor allem als bekennender Lawrow-Fan in Erscheinung tritt?

Und warum ist unser Beobachtungsrat dann doch noch so selbstherrlich und arrogant, dass diese sieben 🤡 ernsthaft überzeugt sind, dass sie insgesamt einen Superjob machen?
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Marc Vader
27.02.2022 17:59registriert Oktober 2020
Es gibt länder die haben eine funktionierende proaktive Regierung, wie zB. Neuseeland. Die Schweiz hat leider nur eine reaktionäre Reagierung.
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sowhat
27.02.2022 18:16registriert Dezember 2014
Schon allein die Vorstellung, dass die wichtigen Ministerien in SVP-Hand sind, bereitet mir Bachschmerzen.
Wirtschaft – Parmelin, Finanzen – Maurer. Und einen FDP-–Aussenminister, der nach dem Ablesen eines Statements verduftet 🤦‍♂️🤦‍♂️🤦‍♂️
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