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US-Wahlen 2020

Pence und Trump: Der Verrat

epa08931300 (FILE) - US President Donald J. Trump (R) turns over the podium to US Vice President Mike Pence (L) during a news conference in the Rose Garden of the White House in Washington, DC, USA, 0 ...
Pence vs. Trump.Bild: keystone

Der Verrat

«Hängt Mike Pence!» Donald Trump hetzte den Mob vom Kapitol auf seine treu ergebene Nummer zwei. Der wütende Vizepräsident soll Trump nun vorzeitig abservieren. Spielt er mit?
12.01.2021, 09:10
Fabian Reinbold, Washington / t-online
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Chaos in Washington

Video: watson/een

Als der von Donald Trump aufgeputschte Mob das US-Kapitol stürmte, machte er sich auf die Suche nach zwei Personen. Dutzende Randalierer stürmten das Büro Nancy Pelosis, der demokratischen Sprecherin des Repräsentantenhauses.

Neben der altbekannten Trump-Gegenspielerin ging es auch gegen ein ganz frisches Feindbild. An den Türen des Kongressgebäudes skandierte der Mob: «Hängt Mike Pence!». Ein Galgen war in Nähe des Kapitols ebenfalls aufgebaut. Auch im Inneren des Kapitols, so berichteten mehrere Augenzeugen, hätten Chaoten am vergangenen Mittwoch immer wieder gerufen: «Wo ist Mike Pence?». Der Trump-Mob hatte dessen eigenen Vizepräsidenten im Visier.

Dass der einmal derart zum Ziel der Anhänger Trumps geraten könnte, war vor wenigen Wochen noch undenkbar.

Treu, unbeirrt und dann zum Abschuss freigegeben

Pence diente dem Präsidenten als treue Nummer zwei, peinlichst darauf bedacht, seinen Boss nicht zu verärgern, deckte ihn in zahlreichen Skandalen. Doch in den vergangenen zwei Wochen machten Trump und seine verbliebenen Verbündeten Pence Schritt für Schritt zum Sündenbock, falls die versuchte Anfechtung der Präsidentschaftswahl scheitern sollte. Trump hetzte den Mob höchstpersönlich auf den treuen Vize.

Trumps Verrat an Pence ist der schwerwiegendste seiner Präsidentschaft. Der Vize wiederum steht nun vor einem Ultimatum, den Boss mittels des 25. Verfassungszusatzes für geschäftsunfähig zu erklären und damit noch vor dem nahen Ende der Amtszeit abzusetzen. Wenn er das nicht tue, drängen die Demokraten, klage man Trump im Rahmen eines zweiten Impeachments an.

Was tut Mike Pence nach dem Verrat durch Trump?

Ein seltsames Paar

Es ist der dramatische Bruch eines Gespanns, das viereinhalb Jahre eng zusammenarbeitete. Ein seltsames Paar waren sie von Anfang an. Hier Trump, der zweifach geschiedene Lebemann, dem eine Affäre mit einem Pornosternchen nachgesagt wurde. Dort der fromme Pence, der es sich zur Regel gemacht hatte, nie allein mit einer Frau zu speisen, die nicht seine Ehefrau ist, oder auf Veranstaltungen, wo Alkohol ausgeschenkt wird, nur mit Ehefrau zu erscheinen.

Pence sicherte Trump 2016 die wichtige Wählergruppe der Evangelikalen – ein Ausschlag für den überraschenden Wahlsieg. Einmal im Amt gewährte Trump der religiösen Rechten wiederum Wahlgeschenke, etwa Abtreibungsgegner auf wichtigen Richterposten.

Der eifrigste Schmeichler Washingtons

Pence blieb nicht nur nach jedem Skandal und jedem Machtmissbrauch unterwürfig an Trumps Seite, er nahm ihm auch zahlreiche für den Präsidenten unangenehme Aufgaben ab, wie das Management der Corona-Krise.

Arnold Schwarzenegger über Trump: «Der schlechteste Präsident aller Zeiten»

Video: watson/een

Bei öffentlichen Auftritten übergoss der frühere Gouverneur des Bundesstaats Indiana den Präsidenten stets mit Lob. Kerzengrade, mit schneeweissem Haar, stand Pence oft etwas schräg hinter Trump. Wenn er sprach, vergass er nie, die «Leadership» und «unvergleichlichen Erfolge» Trumps zu würdigen. Er wurde zu dessen eifrigstem Schmeichler. So blieb es von Jahr zu Jahr, von Affäre zu Affäre.

Pence' Hoffnung und Erwartung war wohl, dass er in Zukunft Trumps Unterstützung haben würde, wenn er selbst einmal Präsident werden wollen würde.

epa08931299 (FILE) - US President Donald J. Trump and Vice President Mike Pence walk out of the Oval Office to the Coronavirus Task Force briefing about the COVID-19 pandemic, in the Rose Garden at th ...
Bild: keystone

Zum dramatischen Bruch kam es erst in der zweiten Dezemberhälfte. Nachdem alle Klagen und Einsprüche gegen die Wahlniederlage gegen Joe Biden sowie Drohungen gegen Wahlverantwortliche in Bundesstaaten gescheitert waren, nahm Trump den 6. Januar ins Visier: Er sah eine letzte Möglichkeit, seine Niederlage noch zu drehen.

Pence als Sündenbock

Der rein rituellen Bestätigung der Wahlergebnisse aus den Bundesstaaten im Kongress würde Pence in seiner Zweitfunktion als Senatspräsident vorsitzen. Trump und seine Einflüsterer fantasierten, dass Pence den Prozess aufhalten und die Stimmen aus knappen Bundesstaaten, die Biden gewonnen hatte, einfach missachten könne. Die Möglichkeit hat Pence laut Verfassung gar nicht, dennoch nahmen sie ihn privat wie öffentlich unter Beschuss.

Hinter verschlossenen Türen setzte Trump ein ums andere Mal seine Nummer zwei unter Druck. Pence musste laut «New York Times» seine Haltung, dass ihm die Hände gebunden waren, in einer Sitzung mit von Rudy Giuliani bestellten Anwälten verteidigen.

epa08931190 (FILE) - US Vice President Mike Pence (L) speaks as US President Donald J. Trump (R) participates in a signing ceremony and trilateral meeting with the President of the Republic of Serbia, ...
Bild: keystone

«Tu es, Mike!»

Auch öffentlich schoss man sich auf Pence ein, auf entgrenzte Art und Weise. Der Anwalt Lin Wood, der mit seinen Anfechtungen gegen Trumps Niederlage vor Gericht gescheitert war, setzte am 3. Januar einen Tweet ab, in dem er schrieb, Pence solle von einem Exekutionskommando erschossen werden.

Trump selbst setzte Pence in mehreren Tweets unter Druck. Noch am Morgen des verhängnisvollen 6. Januar twitterte er: «Alles, was Mike Pence tun muss, ist, (die Stimmen) zurück in die Bundesstaaten zu schicken, UND WIR GEWINNEN. Tu es, Mike, das ist die Zeit für extremen Mut!»

Als er kurz vor dem Sturm auf das Kapitol seine Anhänger in einer Rede nahe dem Weissen Haus ermutigte, sagte Trump: «Mike Pence muss für uns durchkommen, und wenn er das nicht tut, wird das ein trauriger Tag für unser Land, denn man schwört, die Verfassung zu verteidigen.»

«Ausser sich vor Wut»

Trump machte aus seinem Vizepräsidenten binnen weniger Tage einen angeblichen Verfassungsbrecher. Noch um 14.24 Uhr, als der Mob längst durch das Kapitol zog, twitterte Trump, dass Mike Pence «nicht den Mut gehabt» habe, Land und Verfassung zu schützen. Da war Pence im Kapitol bereits mit Sicherheitspersonal auf der Flucht vor dem Mob.

Vice President Mike Pence officiates as a joint session of the House and Senate reconvenes to confirm the Electoral College votes at the Capitol, Wednesday, Jan 6, 2021. (Erin Schaff/The New York Time ...
Wütend: Mike PenceBild: keystone

Trump rief ihn während der Belagerung nicht an. Pence war nach Berichten «ausser sich vor Wut». Der konservative Senator Jim Inhofe berichtete, dass die Nummer zwei sich bitter über Trumps Verhalten beklagt habe. «Ich habe ihn noch nie so wütend gesehen», sagte Inhofe seiner Lokalzeitung. «Nach all den Dingen, die ich getan habe!», soll ein konsternierter Vizepräsident in Gegenwart Inhofes über Trump gesagt haben.

Pence erfüllte seine Rolle pflichtgemäss, wie er es zuvor angekündigt hatte. Er zog die Bestätigung des Wahlergebnisses in den Nachtstunden durch und verkündete um 3.40 Uhr schliesslich Joe Biden als rechtmässigen Gewinner der Präsidentschaftswahl. Dafür bekam er auch Lob vom politischen Gegner.

Pence und das 25. Amendment

Doch als ihn Demokratin Pelosi am Telefon dazu auffordern wollte, Trump mittels des 25. Verfassungszusatzes die Macht zu entreissen, nahm Pence ihren Anruf nicht entgegen.

Und jetzt? Die Demokraten haben Pence offiziell ein Ultimatum gestellt: 25. Amendment, sonst kommt das Impeachment am Mittwoch. Pence schweigt und hat nicht zu erkennen gegeben, dass er zu diesem Schritt bereit wäre – er müsste dafür eine Mehrheit im Kabinett hinter sich versammeln.

Insgeheim rechnen die meisten Demokraten auch nicht damit, dass Pence Trump wirklich absetzt. Es wird wohl zum Impeachment kommen.

Das Zerwürfnis mit Trump dürfte nicht zu kitten sein. Pence tauchte wie Trump tagelang ab. Am Montagabend sollen die beiden erstmals seit dem Sturm wieder miteinander gesprochen haben. Pence will sich eine eigene Kandidatur 2024 offenhalten, heisst es in seinem Umfeld.

Während Trump der erste Präsident seit Andrew Johnson im Jahr 1869 sein wird, der die Inauguration seines Nachfolgers schwänzt, wird Pence am 20. Januar ins Kapitol zurückkehren. Er wird dabei sein, wenn Joe Biden vereidigt wird und damit jene Präsidentschaft endet, die Pence so eifrig verteidigt hat, bis ihn sein eigener Präsident verriet.

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91 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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mrmikech
12.01.2021 10:00registriert Juni 2016
Das ist was passiert wenn man dem Teufel seine Seele verkauft, hätte er als "devoter Christ" doch wissen sollen?
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Pafeld
12.01.2021 10:29registriert August 2014
Die Naivität von Pence zu glauben, Trump würde ihn aufgrund seiner Loyalität nicht bei erstbester Gelegenheit dem geifernden Mobb zum Frass vorwerfen, ist befremdlich. Es ist seit Jahren offensichtlich, dass Trump alles platt walzt, was sich seinem Ego in den Weg stellt, ob nun mit Absicht oder nicht. Dass Pence nur das Feigenblatt war, um den antichristlichen Hedonisten Trump für christlich-radikale Spinner wählbar zu machen, muss Pence immer klar gewesen sein. Denn Pence hat für Trump ohne anstehende Wahl keinen Wert. Ansonsten steht Pences Naivität wirklich nur noch Trumps Grössenwahn nach.
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Unicron
12.01.2021 10:33registriert November 2016
Pence wird in den letzten Tagen fast ein wenig zu sympathisch dargestellt, für jemand der die letzten 4 Jahre quasi die rechte Hand des Teufels war, am liebsten alle homosexuell hängen würde, und in seinem Staat Jahre lang eine Aids Epedemie wüten lassen hat ohne etwas dagegen zu unternehmen.

Aber immerhin ist Pence ein normaler Mensch und ein normaler Politiker. Ein Präsident Pence würde jedenfalls weniger Schaden am Land anrichten als ein Präsident Trump.
Trotzdem würde ich lieber beides vermeiden, wenn es denn geht.
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