Hier sitze ich nun alleine in meiner «flavor concentration booth». Und diese «Geschmacks-Konzentrations-Kabine» ist etwa so gemütlich, wie sie sich anhört. Grelles Licht lässt das Interieur in noch aggressiverem Rot erstrahlen. Aus den Lautsprechern tönt eine schnulzige, japanische Version eines Aladdin-Liedes, rundherum Geschepper und Stimmengewirr. Das einzig Angenehme: der herzhafte Geruch von Ramen, der mir um die Nase weht.
Ich mache es mir auf meinem Barhocker gemütlich und schaue mich um: Vor mir ist auf Kopfhöhe ein Bambusvorhang angebracht, dahinter wuselt das Restaurantpersonal umher. Ich sehe aber nur ihre Füsse und Lendengegend, der Rest ihres Körpers ist vom Vorhang verdeckt. Links und rechts neben mir befinden sich Trennwände aus Holz, welche mich von den anderen wenigen Gästen am Tresen abschirmen.
Ziemlich sonderlich, dieses Setting. Es ist aber ganz im Sinne der aus Japan importierten Restaurantkette «Ichiran». «Zero Interaction Dining» nennen sie ihr Konzept: Gegessen wird alleine in der Kabine und jegliche menschliche Interaktion wird bewusst auf ein absolutes Minimum beschränkt. Während man isst, soll man die Augen schliessen und sich voll und ganz dem Genuss seiner Ramen hingeben. Bleibt zu hoffen, dass die Brühe für saftige 19 Franken auch so viel Aufmerksamkeit verdient.
Als das Ramen-Restaurant im hippen Brooklyner Viertel Bushwick letzten Oktober öffnete, standen hunderte Schlange. Ob der Hype wohl berechtigt ist? Kaum habe ich mich gesetzt, taucht wie aus dem Nichts eine Hand vor mir auf und legt mir Essstäbchen und ein Menü zum Ausfüllen hin. Es folgt eine Aufforderung, meine Bestellung auszufüllen und die Klingel zu drücken, sobald ich bereit sei. Beendet wird die Begegnung mit der Hand – ich taufe sie, angelehnt an die Addams Family, das «eiskalte Händchen» – mit einem dahingehauchten japanischen Dankeswort. So viel zur fehlenden Interaktion ...
Als ich meine Bestellung aufgebe, wird mir zusammen mit einem Kärtchen ein Glas Wasser serviert. Wenn ich Nachschub möchte, klingle ich und zeige das Kärtchen vor, wird mir erklärt.
Kaum habe ich bestellt, serviert mir das Händchen auch schon meine dampfend heisse Nudelsuppe und mein Grüntee-Bier – für 10 Franken (!).
Der Körper des Händchens verbeugt sich, so dass ich einen Blick auf sein Gesicht erhasche, bedankt sich, lässt dann den Vorhang ganz herunter und mich alleine. Ich geniesse es, unbeobachtet die himmlische Nudelsuppe zu schlürfen – nur schlürft meine Sitznachbarin lautstark mit mir um die Wette. Wie bei einem mitgehörten Telefongespräch, bei dem man nur eine Seite mitkriegt, ist es umso nerviger, das Schlürfen zu hören, aber die dazugehörige Person nicht zu sehen.
Irgendwie hatte ich mir das alles gemütlicher und sinnlicher vorgestellt. Gerade weil ich alleine bin, ist nicht nur mein Geschmacks-, sondern auch mein Hörsinn geschärft. Um mich nur auf meine Suppe zu konzentrieren, ist es mir entschieden zu laut: die Musik, das Bimmeln der Bestellglocke, das Geplauder des Personals hinter dem Vorhang – und nicht zuletzt, die anderen Gäste. Zu meinem Erstaunen können die ohnehin schon zu wenig hohen Trennwände nämlich heruntergelassen werden, so dass zwei oder drei Leute zusammen essen können.
Als der Kellner die Rechnung bringt, schielt er verstohlen unter dem Vorhang hervor – ob er die menschliche Interaktion wohl auch vermisst? Ich werde auf alle Fälle nicht recht warm mit dem Konzept von «Ichiran». Gerade in einer Metropole wie New York mag man sich zwar nach Ruhe und Einsamkeit sehnen, aber eines der meistgehörten Klagelieder hier ist dennoch:
Da begrüsse ich die kleinen, alltäglichen Interaktionen, wie die in einem Restaurant, – gerade wenn ich alleine bin.
Als ich das Lokal verlasse, raunt ein Mann soeben seiner Freundin zu, dass man drinnen nicht miteinander reden dürfe. Sie scheinen unentschlossen, ob sie sich das antun wollen, so dass ich ihnen versichere, dass Reden erlaubt sei. Wahre New Yorker halten nämlich nie die Klappe.