Die Zeit zwischen der Bestellung des Tickets und dem Tag, an dem das Konzert tatsächlich stattfindet, ist exakt der Abstand, den ich brauche, um jegliches Interesse an dem Event zu verlieren. Selbst wenn es sich dabei um VIP-Backstage-Pässe für Drake handelt.
Jedes Mal, kurz vor einem Konzert, bin ich ganz plötzlich müde und lustlos. Ausreden fluten meinen Kopf, die starke Periodenschmerzen triggern. Ich würde gerne ein Schokoladeneis essen, in der Badewanne. Oder ein Essay über Ketchup schreiben. Alles wäre besser, als jetzt eine Hose anzuziehen.
Dabei hat der verstauchte Knöchel nach dem Pogen einst nach Freiheit geschmeckt. Und der säuerliche Wein für 5 Franken, den man vor Einlass mit seinen zwei besten Freunden exte, auch. Selbst das Halsweh am nächsten Tag hat man für zwei verpixelte Selfies bei Sum41 in Kauf genommen.
In der Halle musste man erstmal eine halbe Stunde anstehen, um die Jacken abzugeben. Danach folgten: eine halbe Stunde auf dem Klo, eine halbe Stunde an der Bar. Wenn man Glück hatte: Weisswein für 12 Franken – und 30 Minuten unerwiderte Bewunderung.
Konzerte sind neben der ständigen Erreichbarkeit auf Twitter eine weitere Sache, von der ich mich 2017 verabschieden werde. Wenn ich gute Musik hören möchte, mache ich das zuhause über meine Anlage (lieben Gruss an meine Nachbarn!). Auf dem Weg zu Terminen übers iPhone («Wo zur Hölle sind meine In-Ears, David?») und – wenn es sein muss – lass ich mich auch mal zu einer ordentlichen Eskalation hinreissen. Ich soll schliesslich nicht umsonst in Berlin gewohnt haben.
Aber Massenkonzerte? Inzwischen zähle ich zu den Stubenhockern, die sich ihre Lieblingsmusiker und Musikerinnen bevorzugt zeitverzögert bei einer ARTE-Erstausstrahlung reinziehen, statt in einer dreifachüberbuchten Mittelklassehalle.
Spiessig kann so geil sein.
Erst letztens habe ich wieder den Fehler gemacht und bin zu einem Konzert dieser gehypten Indie-Bands gegangen, für das man früher ohne mit der Wimper zu zucken eine vierzigminütige Anfahrt mit dem Fahrrad aus Kaffhausen in Kauf genommen hätte. Ich bin (absichtlich) zu spät dran, gebe meine Jacke nicht ab und hole mir: Überraschung, nichts zu trinken. «Die Stimmung muss genügen!», lüge ich mir ins Gesicht.
Direkt hinter mir steht dann Lars, der seiner Freundin Ann-Kathrin einen Platz freihält (no joke), während ich von einem Typ, nennen wir ihn Klaus, mit Bier angeschüttet werde. Unabsichtlich natürlich, wir sind hier schliesslich nicht auf Mallorca. Auch wenn das enge Treiben meiner deutschen Mitmenschen stark an das Gedrängel am All-Inclusive-Hotelpool erinnert. Immer muss man Erster sein. Und wer zuletzt kommt, «der sieht halt nüsch».
Ich strenge mich an, von dem Hüftschwung der vier Jungs auf der Bühne genauso angetan zu sein wie mit 17. Ihr merkt schon: hat nicht so gut funktioniert. In der harten Realität des Musikbiz werden einst verschmähte Indie-Bands genauso grössenwahnsinnig und arrogant wie alle Berühmtheiten mit Kleinstaatenproblematik. Das Höschen behalte ich bei mir. Ich wäre ohnehin zu faul, es auszuziehen. Eine halbe Stunde vor Ende zwänge ich mich an den leuchtenden Augen der Gebliebenen vorbei und atme erstmal tief die Luft des Abends ein, bevor ich mich auf die Heimfahrt mache.
Die, die sich wochenlang darauf freuen, dieselben Tracks wie sonst auch live vorgespielt zu bekommen – für dieses besondere Fan-Gefühl, das man verzweifelt versucht mit mitgenommenen Merchandise-Artikeln am Leben zu erhalten. Es sind Menschen wie Steffen und Luise, die Händchen halten bei Annenmaykantereit und mit geschlossenen Augen mitsingen.
Abseits davon sind Konzerte in den meisten Fällen nichts für Menschen, die gerne den ganzen Tag alleine Magazine im Bett lesen und dabei Opern hören. Ich will liegen, ich will essen, ich will neben einem sonst sehr erfüllten Leben (OK!) abends gottverdammt meine Ruhe haben und nicht mit 4828844 Horsten und Horstinnen schwitzen und zusammen an unseren Pullovern riechen.
Wer bereit ist, die eigene Miete zu bezahlen, muss keine Freiheit mehr schmecken. Er besitzt sie.
Danke, aber nein danke.