Leben
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Exorzismus, Drogen und Rastas: David Tesinsky fotografiert das Andere

13 «andere» Bilder und ihre Geschichte dahinter

Bild: david Tesinsky
Der Fotograf David Tesinsky interessiert sich für das «Ungewöhnliche». Hier gewährt er uns einen Einblick in seine Galerie. 
27.08.2017, 11:0528.08.2017, 08:55
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«Fotografie ist eine Kur», sagt David Tesinsky sehr überzeugt. Seit zehn Jahren por­t­rä­tie­rt er Subkulturen. Eine Subkultur, sagt Tesinsky, sei eine Gruppe von Menschen, die sich in irgendeiner Form von der Mehrheitsgesellschaft abheben. Die Haltungen, die sie vertreten, Bräuche und Handlungen, die sie praktizieren, können in Anbetracht des Mainstreams kontroverse Diskussionen auslösen. «Das können von Exorzisten über politische Aktivisten bis hin zu ganz normalen Menschen, die in irgendeiner Form vom Schicksal getroffen wurden, alle sein».

Über Facebook-Gruppen und das Internetportal «Couchsurfing» nähert sich der Fotograf aus Tschechien den «speziellen Menschen» an. Mit dem Ziel, ihre Lebensrealität zu begreifen und ihr Anderssein fotografisch einzufangen.

«Denn erst wer Bescheid weiss, kann sich informieren, und erst wer zusieht, kann sich eine Meinung bilden. Fotografie öffnet Augen. Sie ist die Kur, die zur Auseinandersetzung führen kann. Und uns letztlich vielleicht vor der Dummheit bewahrt. Doch dies kann sie nur, wenn sie mit dem Normalen bricht. Klischees sind für mich wertlos.»

Tesinsky wohnt in Prag, von wo die meisten seiner Fotoarbeiten ausgehen.

Für uns hat er 13 Bilder aus seiner Sammlung herausgepickt und die Geschichten hinter den Bildern erzählt. 

Töchter des Islams

Teheran, Iran

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«Mit diesen drei Frauen war ich aus. Wir tranken Alkohol. Das war für sie sehr rebellisch, denn iranischen Frauen ist es verboten mit ausländischen Männern abzuhängen. Dies ist bloss eins der freiheitsberaubenden Alltagsprobleme, von denen mir die ‹Töchter des Islams› berichteten. Sie vertreten die Meinung, dass nicht der Islam Schuld an ihrem Leid hat, sondern die närrische Regierung Irans zur Verantwortung gezogen werden soll.»

Zirkus«leute»

Tschechische Republik

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«Jaromir Joo geht mit seinem Tiger Gassi. Es ist erst Morgen und deshalb reicht die kleine Runde völlig aus. Joo und Tigerdame Tajga sind Zirkusartisten und vertrauen sich blind. Buchstäblich. Denn vor einigen Jahren fiel bei einer ihrer Shows das Licht aus. Joo sass infolgedessen mit Tajga und drei weiteren Tigern im Zirkus fest. Obwohl in der Dunkelheit normalerweise die Instinkte eines Tieres automatisch wieder einsetzen, griffen ihn seine Bühnenpartner nicht an. Sie sind wirklich sowas wie seine Haustiere.»

Zum Ende geküsst

Prag, Tschechische Republik

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«Thomas' Muskeln sterben langsam ab. Er sitzt im Rollstuhl. In ein paar Jahren wird er sterben. Trotzdem hat er noch Sex.»

Trumps Sieg in der Diaspora

Prag, Tschechische Republik

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«Ich verfolgte die Wahlnacht über zwölf Stunden hinweg in Lokalen, in denen sich US-Bürgerinnen und -Bürger, die in Prag leben, versammelten. Als man den Sieg Trumps nicht mehr leugnen konnte, brach kollektive Enttäuschung aus.»

«Let's burn him»

Chicago, USA

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«Ein paar Monate vor der Präsidentschaftswahl in den USA freundete ich mich mit Chicagos Rapper-Szene an. Ich war fast der einzige Weisse bei einem Event, zu dem sie mich eingeladen haben. Das Gespräch kam auf Trump. Und der symbolische Akt, der darauf folgte, beschreibt die politische Haltung gegenüber dem Republikaner wohl am besten.»

Don't cut off your dreads, let it go rastaman

Port Antonio, Jamaica 

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«In der Nähe von Port Antonio in Jamaica traf ich einen alteingesessenen Rastafari. Seine Frisur habe etwas mit Religion zu tun, erklärte er mir. Echte Rastafaris schneiden ihre Dreadlocks nicht ab, niemals. Nach dem Gespräch zeigte er mir seine persönliche Hanf-Plantage. Auch sie gehört zu seiner Religion. »

Mentalitätsklüfte an der LGBT-Pride

Prag, Tschechische Republik

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«An der LGBT-Pride wird dem Queer-Sein gefrönt. Den Kontrast mit den vorbeilaufenden Musliminnen fand ich bei dieser Aufnahme extrem spannend.»

Exorzismus-Spektakel

Addis Ababa, Äthiopien 

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«Jedes Wochenende tritt in Addis Ababa, der Hauptstadt von Äthiopien, ein Priester vor eine gewaltige Menschenmenge. Mutmassliche Opfer von schwarzer Magie glauben an seine Hilfe. Sie bezahlen ihm Summen bis zu 100 US-Dollar für seine Exorzismus-Rituale. Das entsprich ungefähr der Hälfte ihres monatlichen Einkommens.»

Auf Droge

Prag, Tschechische Republik

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«Bist du auf Meth, bist du ständig auf der Suche. Nach Dingen, die du niemals finden wirst. Oft weisst du gar nicht genau, was es ist, das du so dringend haben willst.»
Crystal-Meth-Konsument aus Prag
«Die Rathausuhr ist die grösste Touristen-Attraktion in meiner Heimatstadt. Sie ist aber auch Treffpunkt aller Stadt-Junkies. Acht Monate lang habe ich mich in der Gegend herumgetrieben, wo herausgeputzte Touri-Attraktionen und Randständige aufeinandertreffen. Dabei ist die Serie All along the Watchtower entstanden.»

Sprechgesang als Lifestyle

Detroit, USA

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«Rap ist Ausdruck, Rap ist Therapie, Rap ist Lifestyle, Rap ist Religion. Das sind die Erkenntnisse aus meiner Reise durch die USA, während der ich mich ausschliesslich in den verschiedenen Rap-Kulturen der Staaten bewegt habe. Auch hier ist Marihuana ein zentraler Lebensmittelpunkt.»

Aussteiger

Tschechische Republik

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«Anderssein geht auch ohne Drogen. Das hat mir Mira Ahimsa gezeigt. Seit zehn Jahren lebt er ohne Geld, ohne Drogen, Zigaretten, Alkohol, Kaffee. Er macht nie Feuer, heizt nichts auf und bezieht sein Essen und seine Kleidung nur aus Abfallcontainern: Ein Leben ohne ökologischen Fussabdruck.»

Clowns aus der Hölle

Prag, Tschechische Republik

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«Am Rande Prags steht ein Haus, in dem der Teufel wohnt. Junggesellen und Familienväter treffen sich hier, um satanistische und Hoodoo-Rituale durchzuführen. Sie huldigen unter anderem dem Harlekin, der eine Clown-artige Erscheinung des Todes ist. Nach den Ritualen schminken sie sich ab, steigen in ihre PKWs und fahren zu ihren Familien heim.»

Der Krieg ist nicht zu Ende

Ukraine

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«In der Ukraine traf ich mich mit Soldaten, die nach Hause in den Urlaub fuhren. Nur einer konnte sich daran erinnern, wie viele Russen er vor den Ferien getötet hatte. Die andern hofften bloss, dass es viele waren.»
Über den Fotografen
David Tesinsky fing ein Fotografie-Studium in Prag an. Beendet hat er es allerdings nie; in der Schule war er nur, um zu schlafen. Seine zwei grossen Lieben waren schon immer Skateboarden und Punk. Mit 20 brach der heute 27-Jährige sein Studium dann endgültig ab – um die Welt zu bereisen und andere Menschen in Subkulturen zu por­t­rä­tie­ren. 

Alle Bilder wurden uns vom Künstler zur Verfügung gestellt. Mehr von ihm findest du auf Facebook.
Bild
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5 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Sageits
27.08.2017 14:25registriert August 2016
Eine Fotografie, einige Sätze und die Reise beginnt.
Danke 💫
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JaneSodaBorderless
27.08.2017 13:22registriert Februar 2016
Danke für den spannenden Artikel - ein toller Fotografe!
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öpfeli
28.08.2017 00:18registriert April 2014
Dieser Artikel hätte noch ewig lang sein dürfen. Spannende Bilder & Geschichten!
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