Leben
Populärkultur

Post Holiday Syndrom: Man muss nicht jedes Unbehagen pathologieren

PHS? WTF! – weshalb du dich nach den Ferien scheisse fühlst

Für all die befremdeten Seelen, die schon Ferien hatten und jetzt wieder arbeiten.
06.08.2017, 14:3213.09.2017, 13:01
Folge mir
Mehr «Leben»

Ferien sind immer geil. Viel gut essen, fläzen, lesen, aktiv sein, wandern gehen oder irgendwelchen anderen zeitintensiven Schnack treiben, der nicht in ein Zwei-Tage-Wochenende reinpasst. Den Tagesrhythmus bestimmt man im Urlaub selber. Der Alltag wird unters Frottetuch gekehrt. Oder unters Surfbrett. Man denkt langsam und klärend. Es fühlt sich an, als schöpfe man Energie fürs ganze Leben. Euphorie.

Doch ehe man sich versieht, schmilzt die scheinbar unendliche Autonomie dahin wie ein Raketenglacé in der Sommersonne. Und dann ist plötzlich Sonntagabend. Dein Kopf voll, deine Batterie leer. Schlimmer als an einem Freitagmorgen, nachdem du den Donnerstagabend wie eine Samstagnacht behandelt hast. Ausgesaugt.

Viele überkommt das nackte Grauen, wenn sie an den Tag danach denken. An den ersten Arbeitstag nach dem Urlaub. An die fordernde Chefin, die genervten Kollegen und die Armada ungelesener E-Mails. Mir ging's – bei aller Liebe zu meinem Job (ich wurde nicht gezwungen, das zu schreiben) – nach meinem letzten dreiwöchigen Urlaub genauso.

In der Ecke meines Zimmers gammelt mein Rucksack, wie ausgekotzt vor sich hin. Der Gedanke ans Auspacken und Wäschewaschen entfacht krampfartige Reaktionen in meiner Bauchhöhle. Die zwei unbezahlten Rechnungen auf dem Tisch kreischen so laut «Erledige mich!», dass ich mich gezwungen fühle, sie zu entsorgen. Ich fühle mich fremd im eigenen Heim. Eingepfercht.

Meine Gedanken flanieren noch durch drei Wochen voller Freiwilligkeit, während hier die Pflicht gellend gegen meine Komfortzone prescht!

Die Wissenschaft kennt einen Begriff für diesen Zustand. Das Post-Holiday-Syndrom (PHS) sei es, das die Gemüter von Millennials im Spätkapitalismus zwischen Arbeits- und Ferienzeit zerreisst. Mich eingeschlossen. Aber nicht nur: Fast jede dritte Person soll von dieser «Kurzdepression» betroffen sein, zeigt eine Umfrage des deutschen Reiseportals Momondo. Die niederländische Tourismusforscher Jeroen Nawijn hat ebenfalls zu jenem Phänomen geforscht und sogar folgende Grafik dazu entwickelt:

Bild
grafik: karriere bibel/ watson

Nawijin will also herausgefunden haben, dass wir bereits in den Ferien den näher kommenden Alltag spüren. Unsere Stimmung sinkt indes der Bedrücktheit entgegen und spätestens am dritten Tag nach der Rückkehr fühlen wir uns wieder genauso beschissen wie zwei Tage vor dem langersehnten Urlaub. Nawijins Devise: Mehr Ferien machen, dafür kürzere. Denn egal ob fünf Tage oder fünf Wochen, das Zurückkommen sei jeweils gleich zermürbend. 

Weitere Tipps finden sich direkt unter den Umfrage-Resultaten des Reiseportals. Da gibt's derer gleich sechs Stück, die in pseudopsychologischer simplen Manier Vorgehensweisen gegen dieses PHS vorschlagen. Die da wären:

  1. Plane gleich den nächsten Trip.
    Das wäscht die Wäsche auch nicht!
  2. Bereite deine Rückkehr vor: Räum die Wohnung (und vor allem den Kühlschrank!) auf, und lege deine Rückkehr auf einen Mittwoch.
    Gute Tipps. Leider zu spät. Es ist Sonntag.
  3. Lass deine Urlaubserlebnisse Revue passieren.
    Keine Zeit. Und vor allem: Ich habe bloss geschlafen, gegessen und gelesen. Langweilige Erlebnis-Revue.
  4. Verändere etwas.
    Kein Kommentar.
  5. Starte mit einer Aufgabe in den Joballtag, die dir Spass macht.
    Dazu braucht's aber sehr kulante Arbeitgeberinnen.​
  6. Trainiere Geist und Körper – Bewegung hilft immer!
    Das musste ja noch kommen.

Als Anmerkung verweisen die Ratschläger drauf, dass sie diese Tipps gegen die Niedergeschlagenheit nach dem Urlaub so realistisch und machbar wie möglich zu gestalten versucht haben. Man soll mit einem der obigen Punkte beginnen. Falls der nicht klappt, kann man eifach zum nächsten übergehen. Ganz einfach. Ich entscheide mich für Nummer sechs, dem einzig realisierbaren Ratschlag für einen Sonntagabend. Ich geh' spazieren.

Zwei mahnende Sätze tanzen mir im Kopfe herum. Der eine in der schadenfreudigen Stimme meiner Mutter, die sich freut, dass die Kinder wieder jeden Tag von acht bis vier ausser Haus sind: «Morgen weht dann wieder ein anderer Wind, mein Lieber.» Der andere kommt im gehässigen Tonfall meines Gewissens daher: «Du kleines undankbares Wohlstandsscheusal!»

Ich laufe und sehe meine Stadt aus einer touristischen Optik. Flamingos, Einhörner und Pizzaschnitten aus Gummi treiben mit den letzen Sonnenstrahlen den Fluss hinunter. Jemand spielt Akkordeon und will dafür Geld. An Dingen, die ich für gewöhnlich verabscheue, finde ich in diesem Moment Gefallen. Mit jedem Schritt wird mir das befremdete Bekannte wieder vertraut. Bin Tourist im eigenen Heim. Komme nach Hause und beginne zu akzeptieren. 

Zuhause heisst Alltag. «Ja, morgen weht dann wieder ein anderer Wind. Das ist ein bisschen unbequem, klar, aber Realität. Verdammt nochmal!», fluche ich der mahnenden Stimme meiner Mutter entgegen. Ich fluche, weil ich mir selbst noch nicht ganz glaube. Aber ich bin überzeugt, dass ich kein Wohlstandsscheusal bin. Ich bin nur einer von allen, der etwas, das auf drei Wochen begrenzt ist, mehr zelebriert als ein unbefristetes Arbeitsverhältnis. Dazu braucht es doch keine Pathologisierung. 

Passend zu Thema:

Falls du dir das HPS gleich wieder antun willst – das sind die 10 Beliebteste Feriendestinationen:

1 / 25
Beliebteste Feriendestinationen
10. Korsikas schöne Landschaften und Strände ziehen die Schweizer in ihren Bann.
quelle: epa/reporter images / nikos mitsouras
Auf Facebook teilenAuf X teilen

«Im Ausland gibt es überall nur Schweizer! Sie nerven mich!»

Video: watson/Chantal Stäubli, Emily Engkent

Mehr zum Thema Leben gibt's hier:

Alle Storys anzeigen
DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
15 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Jimmy :D
06.08.2017 14:53registriert Juli 2014
Plot twist. Du hast gar keine Ferien und kannst dich somit nicht schlecht fühlen danach.
381
Melden
Zum Kommentar
avatar
ARoq
06.08.2017 15:13registriert September 2014
Ferien.. Ferien? Irgendwo habe ich das Wort schon mal gehört.
323
Melden
Zum Kommentar
avatar
Menel
06.08.2017 18:28registriert Februar 2015
Etwas vor den Ferien für kurz nach den Ferien einplanen, auf was man sich sehr freut. Hilft bei mir immer. So ist es zwar auch schade, dass die Ferien vorbei sind, aber da wartet noch etwas tolles in greifbarer Nähe ☺
315
Melden
Zum Kommentar
15
Das sind die 172 Städte, sorry: «Städte» der Schweiz
Gemäss den neusten Daten des Bundesamts für Statistik zählt die Schweiz 172 Städte. «Statistische Städte», um genau zu sein. Doch wo liegen diese überhaupt? Und wie verteilen sich die 52 Agglomerationen? Ein Überblick.

Seit 2010 haben sich in der Schweiz drei neue Agglomerationen gebildet und zehn Orte wurden zu Städten. Neu wird die Schweiz in 172 Städte und 52 Agglomerationen aufgeteilt, berichtet das Bundesamt für Statistik BFS am Donnerstag. Damit setzt sich die Verstädterung fort. Doch halt! 172 Städte in der Schweiz? Und 52 verschiedene Agglomerationen? Wo sollen die denn alle sein?

Zur Story