Wie soll man das nennen? Diplomatisch? Oder angesäuert? In einer Medienmitteilung schrieb die SP Schweiz am Donnerstag, sie habe die Departementsverteilung im neu zusammengesetzten Bundesrat «zur Kenntnis genommen». Übersetzt bedeutet diese Floskel: Die Sozialdemokraten sind mit ihren Departementen überhaupt nicht zufrieden.
Alain Berset muss im Innendepartement bleiben, und die neue Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider bekommt das Justiz- und Polizeiressort, in dem sich schon Simonetta Sommaruga abgemüht hatte. Co-Präsident Cédric Wermuth sprach gegenüber CH Media Klartext: «Das war eine Machtdemonstration der Vierermehrheit von SVP und FDP.»
Die SP ist die grosse Verliererin der Departementsverteilung. Diese sei nach zweistündiger Diskussion «einvernehmlich» erfolgt, sagte Bundespräsident Ignazio Cassis (FDP) vor den Medien. Das ist höchstens die halbe Wahrheit. Eher ist zu vermuten, dass die beiden SP-Mitglieder sich in ihr Schicksal fügten, weil ihnen nichts anderes übrig blieb.
Das ist vor allem im Fall von Alain Berset bitter. Zu seinen Wechselgelüsten schwirrten in den letzten Wochen zahlreiche Gerüchte durch Bundesbern und die Medien. Wenn man sie destilliert, zeichnet sich eine plausible Version ab. Der amtsälteste und an Lebensjahren immer noch jüngste Bundesrat stand vor der Wahl: zurücktreten oder weitermachen.
Berset dürfte zu Letzterem tendiert haben, mit einem Neustart in einem anderen Departement. Im Vordergrund standen die Finanzen und das Äussere, doch er wurde von den FDP-Kollegen Karin Keller-Sutter und Ignazio Cassis ausgebremst. Am Ende musste der Freiburger einsehen, dass aus seinem Wechselwunsch nichts werden würde.
Eigentlich ist das ein Affront ohnegleichen. Anscheinend haben viele vergessen, welche Schwerarbeit Alain Berset während den beiden Pandemiejahren als Gesundheitsminister verrichten musste. Er hielt für das Kollegium den Kopf hin und musste viel einstecken. Kürzlich enthüllte die «Sonntagszeitung», dass Berset rund um die Uhr Personenschutz hatte.
Die Erschöpfung stand ihm zeitweise ins Gesicht geschrieben. Ein Neustart wäre ihm zu gönnen gewesen, doch das Machtkalkül des «Bürgerblocks» im Bundesrat wog offenbar schwerer. Einmal mehr erinnert man sich an das Bonmot des früheren US-Präsidenten Harry Truman: «Wenn du in Washington einen Freund brauchst, dann kauf dir einen Hund.»
Dies zeigt sich auch an den mickrigen 140 Stimmen bei der Wahl zum Bundespräsidenten am Mittwoch. Undankbarer kann man Bersets Arbeit als Corona-Krisenmanager kaum «honorieren». Er hat keineswegs alles richtig gemacht und ist mit seinen privaten Eskapaden angeeckt. Doch es scheint ganz so, als ob die Schweiz Corona einfach vergessen will.
Vielleicht reagiert Alain Berset nach dem Motto «Jetzt erst recht». Doch es wäre nachvollziehbar, wenn er seinen baldigen Abgang planen würde. Ein Rücktritt am Ende des Präsidialjahres 2023 aber könnte für die SP zum Problem werden, wenn sie bei den Wahlen im Oktober verlieren und die Grünen zulegen sollten. Das ist absolut möglich.
Grund ist die Übernahme des Umwelt- und Energiedepartements UVEK durch den neuen SVP-Bundesrat und einstigen Erdöl-Lobbyisten Albert Rösti. Umgehend verschickte die Genfer Ständerätin und Wahlkampfleiterin Lisa Mazzone einen Aufruf, in dem sie um Mitglieder, Spenden sowie für eine Social-Media-Kampagne gegen den «Ölbaron» warb.
Der Ölbaron übernimmt das UVEK. Ein Alptraum für Klima- und Umweltschutz. Jetzt GRÜNE stärken!
— GRÜNE Schweiz (@GrueneCH) December 8, 2022
👉 https://t.co/bMyBxq36f5#ZusammenFürsKlima 🌎 pic.twitter.com/OsiwodIPVr
Für die Grünen ist Bundesrat Rösti ein dankbares Feindbild im Wahlkampf. Allerdings muss «Ölbert» in seinem vermutlich ersten Abstimmungskampf im Juni gegen die eigene Partei antreten. Die SVP bekämpft den Gegenvorschlag zur Gletscher-Initiative mit dem Referendum – mit Rösti als Co-Präsident des Komitees. Am Freitag war er es auf der Website noch immer.
Man traut Rösti angesichts seines bisherigen Werdegangs zu, dass er sich in seiner neuen Rolle ernsthaft für die Energiewende und den Klimaschutz starkmachen wird. Die Grünen könnten trotzdem profitieren, und falls sie bei ihren Bundesratsambitionen keine Hemmungen mehr vor einem Angriff auf die SP haben, könnte es für diese eng werden.
Denn auch mit Elisabeth Baume-Schneider im EJPD gibt es wenig zu gewinnen. Der Honeymoon dürfte für die Frohnatur aus dem Jura schnell enden. Sie wird sich mit stark steigenden Asylzahlen konfrontiert sehen und dürfte von jenen SVPlern, die ihr gerade noch auf die Schulter geklopft hatten, schon bald mit voller Wucht bekämpft werden.
Auch die Debatte über die Zuwanderung, die in letzter Zeit etwas an Brisanz eingebüsst hatte, könnte angesichts des sich verschärfenden Personalmangels bei gleichzeitig erlahmendem Wohnungsbau schon im Wahljahr wieder hochkochen. Ganz zur Freude der SVP, die es gar nicht erwarten kann, ihr Lieblingsthema zu bewirtschaften.
Ein Bundesrat auf dem (möglichen) Absprung, eine Bundesrätin in einem undankbaren Departement: Auf die SP könnten schwierige Zeiten zukommen. Und die Parteiführung hat bislang nicht durch strategisches Geschick geglänzt, etwa bei der frühzeitigen Festlegung auf ein Frauenticket, mit der sie den Sololauf des Ehrgeizlings Daniel Jositsch provoziert hat.
Sein Verhalten am Wahltag war egoistisch und illoyal. Doch Cédric Wermuth wiegelte ab: Jositschs Kandidatur als Zürcher Ständerat sei «keinesfalls in Frage gestellt». Kein Wunder: In der kleinen Kammer könnte die SP mehrere Sitze verlieren. Sie kann auf Jositsch nicht verzichten. Ein deutlicheres Zeichen von Schwäche kann man kaum aussenden.
Und ja, andere wissen es immer besser. Aber dann vor die gleiche Aufgabe gestellt, sieht das ganz anders aus.
Die Pandemie war etwas ganz Neues. Ich finde Berset hat seine Aufgabe gut gemacht und sich immer wieder korrigiert.
Danke für das Anpacken der schwierigen Aufgabe.
Das kommt immer wieder vor und wird auch wieder vorkommen. Das gehört dazu.