Wäre die Welt wie Rüti bei Büren, dürfte die BDP noch etwas weiterleben. Die BDP-Delegierten müssten dann nicht die Partei beerdigen, die 2008 mit viel Hoffnung gestartet war.
Rüti, gelegen im Berner Seeland, ist BDP-Land: Hier wurde BDP-Bundesrat Samuel Schmid geboren, hier lebt er noch immer. Hier wohnt Heinz Siegenthaler, einer von nur noch drei BDP-Nationalräten. 49 Prozent Wähleranteil erreichte die Partei hier 2011, schweizweiter Rekord.
Es gibt eine Bäckerei und eine Schule, aber keine Post und keine Beiz mehr; 860 Einwohner, zahlreiche Vereine und viele stattliche Bauernhäuser. Eine Industriezone bringt beachtliche 350 Arbeitsplätze. Die Bauern liefern Milch für den prämierten Emmentaler aus dem Nachbardorf. Biel ist nahe. «Die Leute leben gerne hier», sagt Gemeindepräsident Theodor Bösiger, 64 und parteilos. Natürlich kennt er die bekannten BDP-Politiker im Dorf; und – fast selbstverständlich – ist die BDP die einzige Ortspartei. «Auf Gemeindeebene spielt die Partei aber keine Rolle. Hier wird Sachpolitik gemacht», sagt Bösiger.
Mitten im Ort, direkt an der Hauptstrasse, steht der Hof von Nationalrat Heinz Siegenthaler. Wenn die BDP heute ihr Ende besiegelt, kann er mit Fug und Recht sagen: Von der ersten bis zur letzten Minute hat er die Partei mitgestaltet. Er kann von Tiefpunkten wie Morddrohungen erzählen und von persönlichen Höhepunkten wie der Wahl in den Nationalrat. Wenn die Strassenlampe kaputt sei, gehe die BDP hin und wechsle sie aus, wahrscheinlich nehme sie gar ein umweltfreundliches Modell: So erklärt Siegenthaler die Partei. Andere würden lieber im Dunkeln sitzen, wenn sie nur ihre Extremposition behalten könnten. Der Landwirt spricht mit tiefer Stimme, seinen Berner Dialekt würde manch einer in Zürich als behäbig bezeichnen.
Siegenthaler verkörpert wohl die BDP: bodenständig und ruhig. Aber auch progressiv: Als Bauer pflanzte er früh Hanf an. Die Energiewende begrüsst er, die Ehe für alle auch. Die Gründung der Partei war emotionsgeladen. Christoph Blocher war Ende 2007 abgewählt worden. Die Bündner SVP-Regierungsrätin Eveline Widmer-Schlumpf dafür dank eines Mitte-links-Komplotts im Amt. Siegenthaler war SVP-Fraktionschef im Berner Grossen Rat. Aus Zürich kam der Befehl: Die Partei geht raus aus dem Bundesrat und rein in die Opposition. Und trete SVP-Bundesrat Samuel Schmid nicht freiwillig zurück, habe ihn die Berner SVP rauszuwerfen.
Siegenthaler war entsetzt über den Ton, er warf den Zürchern «braune Tendenzen» vor. Der Landwirt erhielt Morddrohungen, «aber auch ganz viel Zuspruch». Freilich war der Graben zwischen den gemässigten Berner SVPlern (eine Art ländlicher Freisinn) und den rechteren – aber auch erfolgreichen – Zürchern da schon länger tief. Es war Zeit für eine Abspaltung.
Rüti war fortan der Ort, der seinem Bundesrat die Treue hielt – und BDP wählte. Rasch war die Partei schweizweit erfolgreich, ebenso rasch verlor sie wieder, als nach Schmid 2015 auch Widmer-Schlumpf zurücktrat. Zwar erreicht die BDP in Rüti noch immer 28 Prozent, aber die SVP hat sie wieder überholt (35 Prozent). Schweizweit hat die Partei noch 2,5 Prozent. Ja, Widmer-Schlumpf fehle als Zugpferd, so Siegenthaler.
Die Partei war halt auch die Machtmaschine, die Widmer-Schlumpf im Bundesrat behielt. Und umgekehrt hielt sie die Partei über Wasser. «Aber auch das Marketing hätte besser sein können. Vielleicht wirkte das bürgerlich etwas verstaubt», sagt der BDP-Mann. Zudem politisiere die Partei «lösungsorientiert und ohne Ideologie». Das polarisiere nicht, Aufmerksamkeit fehlt.
Die Aare und die Autobahn liegen zwischen dem reformierten Berner Rüti und dem katholischen Solothurner Dorf Selzach. Dort lebt Markus Dietschi, 45. Auch er Landwirt, auch er säte früh Hanf an. Dietschi ist ein Mann von grosser Tatkraft, er war mal der «Mister BDP» des Kantons Solothurn. Tausende Stunden investierte er in die Partei, begeistert von der neuen Politik. Bis er 2018 den Bettel hinwarf. «Wir konnten nicht Fuss fassen», sagt er. Widmer-Schlumpf war weg, doch was war sonst da? «Wir hatten nach acht Jahren keine Ortsparteien und keine Stammwähler.»
Dann kam das Problem hinzu, sich von CVP, GLP oder FDP abzugrenzen. «Es gibt zwei Meinungen, aber fünf Parteien in der Mitte», sagte Dietschi. Dass die BDP heute noch in Glarus, Bern und Graubünden erfolgreicher ist, erstaunt ihn hingegen nicht. «Es ist ein Unterschied, ob man eine Abspaltung ist oder ob man eine Partei neu aufgleist.» Ohne Dietschi darbte die Solothurner Partei noch etwas vor sich hin. Dass sie sich nicht auflöste, hat mit Widmer-Schlumpf persönlich zu tun: Sie griff damals ein, um ihr Lebenswerk zu retten.
Am Samstag entschieden die Delegierten, dass die BDP mit der CVP zu einer neuen Mittepartei fusionieren will. Siegenthaler ist dafür: «Hat man nicht schweizweit zehn Prozent Wähleranteil, wird das Politisieren in Bern schwierig. Es fehlt das Sekretariat, die Infrastruktur.» Für die neu zu gründende «Mitte» sieht er gute Chancen: «Wichtig sind nicht das Logo oder der Name, sondern das Gedankengut. Die Partei ist nur ein Gefäss, das Gedankengut darin lebt weiter.» Als sich die Berner von der Zürcher SVP abgenabelt und zur BDP gewandelt hat, habe man den Inhalt in eine neue Hülle gebracht. Jetzt bringe man den Inhalt wieder in eine neue Hülle. Vielleicht war es auch der so pragmatische Ansatz, der der Partei Profil nahm.
Auf der anderen Seite der Aare kann Ex-BDP-Mann Dietschi die Fusion nicht verstehen. Trotz ähnlicher Positionen wäre es ihm «nie und nimmer» in den Sinn gekommen, in die CVP zu wechseln. Ende 2018 ging er zur FDP. Zu konservativ sei die CVP.
Der Dorfbach plätschert im Hintergrund, die Pferde von Gemeindepräsident Bösiger stehen auf der Weide. Die BDP, eine kleine Episode der Geschichte, schwimmt nun im Sog der auch strudelnden CVP hin zu neuen Ufern. Partei hin oder her, Bösiger steht vor Problemen, die viele Gemeinden haben: Bleibt die Turnhalle trotz Corona offen? Wie kann sich das Dorf entwickeln, wenn Bauland knapp und die Verdichtung im geschützten Dorfkern kaum möglich ist?
Samuel Schmid nimmt noch aktiv am Dorfleben teil. Heute will er sich aber nicht zu den Wandlungen der BDP äussern. Er sei zwar politisch noch immer interessiert, aber «seit Jahren in keinem Parteiorgan mehr», sagt er am Telefon. Vor der Entscheidung gibt er deshalb kein Statement ab. Und danach will er auch erst einmal schauen, was denn diese neue Partei genau ausmache. Gemach, gemach.
Widmer-Schlumpf dagegen lässt mitteilen, sie werde zur neuen Partei wechseln, wenn ihre Kantonalpartei der Fusion zustimme.
Mit ihren Abgrenzungskämpfen, inkl. Landoltschen Schlammschlachten, hat die BDP im Kt. Bern viele Unentschiedene vertrieben.
Die BDP wird in der neuen CVP nicht zu melden haben, also ändert sich nichts.