Schweiz
Bundesrat

Das musst du über den neuen Schweizer Mafia-Jäger wissen

Anti-mafia Prosecutor Nicola Gratteri, left, stands by military personnel outside a specially constructed bunker on the occasion of the first hearing of a maxi-trial against more than 300 defendants o ...
Der italienische Mafia-Jäger und Staatsanwalt Nicola Gratteri (Mitte) hofft auf mehr Unterstützung aus benachbarten Ländern. Die Schweiz müsse aufpassen, so Gratteri, dass sie nicht eines Tages in italienischen Verhältnissen aufwache.Bild: keystone

Das musst du über den neuen Schweizer Mafia-Jäger wissen

Am Mittwoch wählt die Bundesversammlung nach langer Suche den Berner Polizeikommandanten Stefan Blättler als Bundesanwalt. Er ist in vieler Hinsicht eine Art Gegenprogramm zu seinem Vorgänger Michael Lauber.
25.09.2021, 19:18
Henry Habegger / ch media
Mehr «Schweiz»
AVIS --- ZU STEFAN BLAETTLER, BUNDESANWALT UND POLIZEIKOMMANDANT DER KANTONSPOLIZEI BERN, STELLEN WIR IHNEN FOLGENDES NEUES PORTRAET ZUR VERFUEGUNG. WEITERE BILDER FINDEN SIE AUF visual.keystone-sda.c ...
Stefan Blättler, designierter Bundesanwalt.Bild: keystone

Dienstagnachmittag, etwa 16 Uhr. Beim Kommissionszimmer 286 im Bundeshaus steht, ganz allein, Stefan Blättler (62) und blättert in einem Stapel Papier, der vor ihm auf einer Ablage liegt. Er war soeben in der SP-Fraktion, zuvor bei der CVP, etwa eine halbe Stunde später folgen die Grünliberalen, dann hat er sich allen Gruppierungen gestellt.

Er wirkt locker, offen, humorvoll. Selbstverständlich ist das nicht: Der Kommandant der Berner Kantonspolizei soll am Mittwoch von der Bundesversammlung zum Bundesanwalt gewählt werden.

Kampf gegen die Mafia hat hohe Priorität bei Blättler

In den Fraktionen zeigte sich, dass Blättler, 30 Jahre bei der Kapo Bern im Einsatz, keiner ist, der den Leuten nach dem Mund redet. Er machte deutlich, dass er, einmal gewählt, Fragen aufwerfen wird, die nicht alle freuen. Eine wird sein: Ist die Politik bereit, den Strafverfolgungsbehörden das nötige Ins­trumentarium zu geben, damit sie die Organisierte Kriminalität wirksam bekämpfen können? Es geht um Mittel wie Überwachung der Kommunikation oder Herauslesen von DNA-Spuren. Blättlers Meinung ist, das wurde in Hearings klar: Man kann den Pelz nicht waschen, ohne dass er nass wird. Aber es ist an der Politik, zu sagen, was möglich ist.

Der Anti-Lauber

Blättler ist ein Anti-Lauber. «Ihm wird es nicht einfallen, über die Köpfe von Abteilungs- und Verfahrensleitern hinweg Parteivertreter zu treffen», sagt ein Politiker, der Blättler kennt. Kungeleien wie jene im «Schweizerhof» werde es mit ihm sicher nicht geben.

Die Kräfte seiner Leute wird der Lauber-Nachfolger kaum in Wolkenschiebereien wie Fifa-Verfahren verpuffen lassen. Er wird stark auf Organisierte Kriminalität, Geldwäscherei, Korruption und Wirtschaftskriminalität fokussieren. Er wird die Zusammenarbeit mit Behörden im In- und Ausland verstärken, weil er weiss, dass die Bekämpfung des grenzenlosen Verbrechens nur im Verbund erfolgreich sein kann.

Dazu passt: Eine der ersten Auslandreisen des neuen Bundesanwalts werde, so heisst es in Bern, nach Rom führen. Die Bekämpfung der Mafia hat für ihn hohe Priorität.

Mit Italien gegen die ‘Ndrangheta

Das ist eine gute Nachricht für italienische Mafia-Jäger wie den Staatsanwalt Nicola Gratteri, der gerade letzte Woche in Lugano zu Gast war. Gratteri führte die Operation Imponimento gegen den ‘Ndrangheta-Clan der Anello-Fruci aus Kalabrien, der sich in der Schweiz breitmachte, vor allem im Aargau und im Tessin. Derzeit läuft in Italien das Gerichtsverfahren.

Gratteri sagte, die Zusammenarbeit mit der Schweiz habe sich zwar verbessert. Aber leider mangle es hier an wirksamen Instrumenten. Unser Datenschutz etwa stehe Telefonabhörungen im Weg. Er bedauerte, dass die Medien, im Gegensatz zu Italien, die Namen der verdächtigen Mafiosi nicht nennen dürfen, so blieben diese anonym.

Dabei: «Die ‘Ndrangheta geht in der Schweiz und anderen europäischen Längern auf Shopping-Tour. Die Mafiosi sind in die Schweiz gekommen, um von eurem Reichtum zu profitieren und ihn auszusaugen», so Gratteri. Mit den Erlösen aus ihren kriminellen Aktivitäten kaufen sie sich in Land und Wirtschaft ein. Die Schweiz müsse aufpassen, so Gratteri, dass sie nicht eines Tages in italienischen Verhältnissen aufwache.

Genau so sieht es, das machte er dieser Tage in Bern deutlich, der designierte Bundesanwalt. Unter Lauber wurde die Mafia-Bekämpfung stiefmütterlich behandelt, nur gerade ein Staatsanwalt beschäftigt sich laut Insidern damit.

Die Bundesanwaltschaft sagte auf Anfrage nur, dass bei Bedarf auch Strafverfahren in Lugano geführt würden. Aber klar scheint: Blättler wird in Sachen Mafia-Bekämpfung aufrüsten. Dafür dürfte er die Stäbe abbauen.

Wenn Blättler eine Schwäche habe, so Beobachter einhellig, sei es die fehlende Erfahrung in der Führung von Strafverfahren. Daher sei er auf gute Leute angewiesen. Ein Problem ist laut Insidern, dass in der aktuellen Spitze der BA nicht viel solches Wissen vorhanden sei.

Blättlers Stellvertreter als Schwachstelle

So weisen manche darauf hin, dass es der heutige Vize-Bundesanwalt Montanari war, der 2007 ein erstes IT-Korruptionsverfahren gegen einen Abteilungsleiter des Staatssekretariats für Wirtschaft einstellte. Das Verfahren wurde später wieder aufgenommen, der Mann wurde diese Woche vom Bundesstrafgericht zu vier Jahren Haft verurteilt. Der Staatsanwalt aber, der dieses zweite Verfahren erfolgreich eröffnet hatte, wurde 2015 von Lauber und seiner Führungsriege in die Wüste geschickt. Er war einer jener Staatsanwälte, die sich nicht alles gefallen liessen.

Blättler werde auch personell über die Bücher gehen, sagen Beobachter. «Viele gute Mitarbeiter haben die BA unter Lauber verlassen.» Blättler werde wohl einige zurückzuholen. Klar ist, dass er die Geschäftsleitung umbauen wird: Lauber wollte dort keine operativen Staatsanwälte.

Die Auftritte des parteilosen Blättler beeindruckten Politiker. Doch bald gilt es ernst. Selbst die grüne Fraktionschefin Aline Trede, die Blättler aus Bern nur zu gut kennt, gibt ihm Kredit: Wenn er die gewisse Härte, die er als Polizeikommandant an den Tag lege, auch in Sachen Wirtschaftskriminalität einsetze, sei das «ja nicht so schlecht.»

(aargauerzeitung.ch)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Italienische Polizei spürt Mafia-Bosse in Bunker auf
1 / 11
Italienische Polizei spürt Mafia-Bosse in Bunker auf
Zugriff in den Bergen bei Maropati in Kalabrien: Die italienische Polizei konnte zwei Köpfe der 'Ndrangheta verhaften.
quelle: epa/ansa/police press office / police press office / handout
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Mafiosi-Treffen in Frauenfeld gefilmt
Video: srf
Das könnte dich auch noch interessieren:
6 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
tr3
25.09.2021 21:03registriert April 2019
„Die Kräfte seiner Leute wird der Lauber-Nachfolger kaum in Wolkenschiebereien wie Fifa-Verfahren verpuffen lassen. Er wird stark auf Organisierte Kriminalität, Geldwäscherei, Korruption und Wirtschaftskriminalität fokussieren.“

Dann untersucht er ja doch die FIFA? 🤔
222
Melden
Zum Kommentar
avatar
Utschli
25.09.2021 20:07registriert September 2016
Tönt doch gut, mal schauen was da kommt
203
Melden
Zum Kommentar
6
Zoff im Bundesrat: Jans und Rösti streiten sich wegen Strassburger Klima-Urteil
Der Erfolg der Klimaseniorinnen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte hat in der Schweiz zu heftigen Reaktionen geführt. Der Bundesrat hat bislang geschwiegen – doch jetzt beziehen der neue SP- und SVP-Bundesrat Position.

Das Klima-Urteil gegen die Schweiz gibt auch nach zehn Tagen noch immer viel zu reden. Inzwischen ist die Causa auch in der Landesregierung angekommen. Zumindest trauen sich nun zwei Bundesräte, sich auch öffentlich zum Strassburger Entscheid gegen die Politik ihres Landes zu äussern.

Zur Story