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Interview: Friedensrat kritisiert Ruf nach Verhandlungen in der Ukraine

Interview

«Es ist unglaublich zynisch, wie Leute wie Köppel den Begriff Pazifismus missbrauchen»

Peter Weishaupt vom Schweizerischen Friedensrat kämpft seit über fünfzig Jahren gegen Krieg und Aufrüstung. Angesichts der russischen Aggression gegen die Ukraine befürwortet er Waffenlieferungen – und kritisiert den Ruf nach sofortigen Verhandlungen.
26.02.2023, 20:15
Christoph Bernet / ch media
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Was bedeutet Pazifismus?
Peter Weishaupt: Pazifismus bedeutet, Konflikte zwischen Menschen oder zwischen Staaten nicht mit Gewalt auszutragen und die Ursachen von Kriegen anzugehen. Wie Pazifismus auf der individuellen Ebene gelebt wird, ist eine persönliche Frage. Ich habe beispielsweise in den 1970er-Jahren den Militärdienst verweigert und bin dafür im Gefängnis gesessen.​

Peter Weishaupt
Bild: cbe

Für die Ukrainer, die sich gegen den Einmarsch der russischen Armee wehren, ist das keine Option. Welche Antwort hat der Pazifismus in einer solchen Situation?
Der Pazifismus setzt sich für eine Welt ein, in der es keine Kriege mehr gibt. Wenn ein Krieg einmal ausgebrochen ist, ist es dafür schon zu spät. Dann kann der Pazifismus vielleicht auf individueller Ebene eine Richtschnur sein. So gibt es beispielsweise das Konzept der sozialen Verteidigung und der gewaltfreien Nichtkooperation mit einer Besatzungsmacht. Das haben die ukrainische Bevölkerung und die lokalen Behörden in den von Russland besetzten Gebieten teilweise praktiziert. Aber es ist völlig klar: Bei diesem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg hat die Ukraine das Recht, sich mit Waffengewalt zu verteidigen.​

Soll die Schweiz ermöglichen, dass die Ukraine Munition und Waffen aus hiesiger Produktion erhält?
Derzeit wird im Parlament diskutiert, auf die Ukraine angepasste Ausnahmeregeln zu schaffen. Hier ginge es um die Weitergabe von Schweizer Munition an ein Land, das sich gegen eine von der UNO-Vollversammlung als völkerrechtswidrigen Angriffskrieg verurteilte Aggression durch einen Nachbarstaat wehrt. Unter dieser Prämisse finde ich die Weitergabe von Schweizer Rüstungsgütern legitim. Aber mit einer Gesetzesänderung darf nicht die Tür geöffnet werden für laschere Regeln und Kontrollen beim Rüstungsexport. Der Friedensrat hat sich immer dafür eingesetzt, dass Schweizer Waffen und Munition nicht unkontrolliert in den Konfliktherden dieser Welt landen.​

epa10490237 People attends the demonstration 'Uprising for Peace' in front of the Brandenburg gate in Berlin, Germany, 25 February 2023. Words read: 'Sarah + Alice Women's Power fo ...
Eine Demonstration in Berlin am 25. Februar.Bild: keystone

Gegen weitere Waffenexporte und für sofortige Verhandlungen sind am Samstag in Berlin und in Zürich Demonstrierende auf die Strasse gegangen. Sind nicht das die wahren Pazifisten?
Es ist unglaublich zynisch, wie Figuren wie Sahra Wagenknecht oder auch Roger Köppel den Begriff Pazifismus missbrauchen. Sie verlangen von den Ukrainern, zu kapitulieren und die weisse Fahne zu hissen. Obwohl aufgrund der Erfahrungen aus den besetzten Gebieten klar ist, dass die Gewalt auch nach der russischen Eroberung weitergeht. Diese Haltung von Wagenknecht & Co. hat nichts mit Pazifismus zu tun. Es hat mich schwer enttäuscht, dass sich Exponenten der deutschen Friedensbewegung, die ich teilweise seit Jahrzehnten kenne, dieser Position angeschlossen haben.​

Aber wären Verhandlungen über ein Ende des Konflikts nicht sinnvoller, als immer mehr Waffen zu liefern, damit die Ukraine die grösste Atommacht der Welt militärisch besiegen kann?
Deeskalation und Verhandlungslösungen sind natürlich wünschenswert. Aber es gibt heute und hat seit Kriegsbeginn nie eine Basis für ernsthafte Verhandlungen gegeben. Russlands Präsident Wladimir Putin hat der Ukraine die Existenzberechtigung abgesprochen. Wer behauptet, die Ukrainer würden einer Verhandlungslösung im Weg stehen, weil sie lieber kämpfen wollen, der verbreitet russische Propaganda. Es ist Russland, das diesen Krieg begonnen hat und weiter eskaliert – auch durch die Drohung mit einem Atomwaffeneinsatz. Darum müssen sich Forderungen nach einer Deeskalation an Russland richten.​

Der Friedensrat setzte sich seit seiner Gründung 1945 für ein System der kollektiven Sicherheit mit der UNO im Zentrum ein. Dieses System ist derzeit so elementar in Frage gestellt wie noch nie.
Der Krieg zeigt doch: Nichts ist unsicherer als eine Welt voller bis an die Zähne bewaffneter Staaten, die sich unter der Androhung des Einsatzes von Atomwaffen das Recht herausnehmen, souveräne Nachbarstaaten militärisch anzugreifen. Insofern sind unsere Argumente gestärkt, nicht geschwächt worden. Es braucht ein regelbasiertes System der kollektiven Sicherheit, welches diese Sicherheit auch durchzusetzen vermag.​

Wie stellen Sie sich das vor?
Vereinfacht gesagt bräuchte es analog zum Gewaltmonopol für die Polizei in Rechtsstaaten auch auf internationaler Ebene ein Gewaltmonopol der UNO. Und mehr ernsthafte Bemühungen für eine Abrüstung der atomaren und konventionellen Bewaffnung der einzelnen Staaten. Hätten wir uns nach dem Ende des Kalten Kriegs energischer darum bemüht, wären wir heute vielleicht nicht in dieser Situation.​

Im Westen bewundert man den Mut der ukrainischen Soldaten und stockt die Armeebudgets auf. Wird unsere Gesellschaft wieder stärker militarisiert?
Das glaube ich nicht. Man schreibt Putin zu viel Einfluss zu, wenn man glaubt, dass die westlichen Gesellschaften durch den Ukraine-Krieg in ihrer grundsätzlichen Funktionsweise stärker militärisch werden. Aber es besteht sicher die Gefahr, dass man Sicherheit nur noch durch eine militärische Brille sieht, sich auf eine nationalstaatliche Logik der militärischen Abschreckung konzentriert und dadurch den Einsatz für ein System der kollektiven Sicherheit vernachlässigt. (aargauerzeitung.ch)

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98 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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JBV
26.02.2023 20:37registriert September 2021
"Der Pazifismus setzt sich für eine Welt ein, in der es keine Kriege mehr gibt. Wenn ein Krieg einmal ausgebrochen ist, ist es dafür schon zu spät."

Genau meine Meinung. Pazifismus ist notwendig und wichtig, kann Frieden fördern und bewahren, ist aber der Krieg ausgebrochen kann der Pazifismus keinen Frieden herbeiführen.
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Eisvogel
26.02.2023 20:28registriert Februar 2019
Danke für dieses wichtige Interview!
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Opossum2
26.02.2023 20:49registriert Januar 2022
Es hat System, es ist auch schon im Zivilverteidigungsbuch der Schweiz von 1969 auf Seite 228 ff. beschrieben, Scans der Originalauflage lassen sich leicht mit Google finden. Wenn der Faschismus von aussen rein will, sagt er nicht: "Wir wollen euch unterwerfen und zu rechtlosen Sklaven machen" Er sagt: "Wehrt euch nicht gegen uns, stellt euch nicht in den Weg, dann gibt es Frieden." Wenn die Russen hier übernehmen, werden wir geopfert, so wie aktuell ethnische Minderheiten in Russland verheizt werden.
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