Lehrpersonen haben es in der Schweiz nicht einfach: Beschimpfungen von Eltern, Drohungen von Schülern und Mobbing von Arbeitskollegen.
Zwei von drei Schweizer Lehrpersonen haben in den vergangenen fünf Jahren eine Form von Gewalt erlebt. Ihr Dachverband verlangt nun präventive Massnahmen und bessere Unterstützung.
Wer Gewalt erfahre, erhalte meistens nur eine «moralische Unterstützung». Es könne von einem Wegschauen und Abschieben der Verantwortung gesprochen werden, hält eine Studie des Lehrerverbands fest, die in der Deutschschweiz zum ersten Mal erarbeitet wurde. Dies könne neben Überforderung ein Zeichen von Überlastung und fehlenden Ressourcen sein.
Es müssten deshalb eine unabhängige Ombudsstelle sowie flächendeckend niederschwellige Beratungs- und Mediationsangebote geschaffen werden, forderte Beat A. Schwendimann vom Dachverband.
Zudem sollen alle Schulen Interventions- und Krisenkonzepte erarbeiten, und Lehrpersonen müssten im Konfliktmanagement oder im Umgang mit Cybermobbing geschult werden.
Gemäss Studie geht die Gewalt gegenüber Lehrpersonen am häufigsten von Eltern sowie von Schülerinnen und Schülern aus (36 und 34 Prozent). In 15 Prozent der Fälle treten als Aggressoren andere Lehrpersonen auf, in 11 Prozent die Schulleitung. Befragt wurden 6789 Personen, davon 5435 Lehrpersonen, was etwa 6,5 Prozent aller Deutschschweizer Lehrpersonen ausmacht.
Schwere Vorfälle von Gewalt mit sexuellen Übergriffen, Waffen oder Verletzungen seien Einzelfälle, doch es gibt sie. So drohte ein Schüler in Schaffhausen seinem Lehrer mit dem Tod. Ein 17-jähriger Schüler an einer Berufsschule schlug seine Lehrerin spitalreif. In Dietikon ging gar eine Mutter auf eine Lehrerin los. Und in Freiburg schlug eine Schülerin auf ihren Lehrer ein, auch als er zu Boden fiel, bis Klassenkameraden einschritten.
Meistens zeige sich die Gewalt jedoch in subtileren Formen, führte Studienautorin Martina Bräger aus. Am häufigsten kommen Beleidigungen, Beschimpfungen, Bedrohungen und Einschüchterungen vor. Auch diese seien aber nicht ohne Folgen, Betroffene seien oft über einen längeren Zeitraum emotional belastet. watson hat bei Dagmar Rösler, Zentralpräsidentin des Lehrerverbands, nachgefragt, was die Studienergebnisse bedeuten.
Frau Rösler, haben Sie selbst schon einmal einen Fall von psychischer oder physischer Gewalt erlebt, während Sie als Lehrerin tätig waren?
Dagmar Rösler: Ich wurde nie tätlich angegriffen oder grob psychisch verletzt. Mit den Schülern habe ich schon Situationen erlebt, die psychischen Druck ausgelöst haben, aber ich konnte das jeweils besser wegstecken, als wenn es von den Erziehungsberechtigten aus kam. Direkte Gewalt habe ich zum Glück nie erlebt.
Aus der Studie geht hervor, dass Erziehungsberechtigte den Lehrpersonen am meisten Probleme bereiten. Welche Auswirkungen hat das?
Die meisten Erziehungsberechtigten stehen der Schule zwar kritisch, aber wohlwollend gegenüber. Wenige von ihnen machen den Lehrpersonen das Leben schwer. Indem sie diese beleidigen, überwachen oder mit einem Anwalt drohen. Das kann die Lehrer unter Druck setzen und auch eine hohe psychische Belastung mit sich bringen. Solche Fälle dürfen nicht bagatellisiert werden.
Ist das in der Vergangenheit passiert, dass das Thema heruntergespielt wurde?
Die Studie hat gezeigt, dass sich einige Lehrpersonen nicht ernst genommen fühlen – gerade bei Fällen durch Erziehungsberechtigte oder Vorgesetzte. Oft wurden die Vorkommnisse zwar kurz thematisiert, aber nicht weiterverfolgt oder erfolgreich abgeschlossen. Es ist wichtig, dass es einen Verhaltenskodex und Unterstützungsangebote für die Lehrerschaft gibt. Damit diese in einem geschützten «Raum» solche Erlebnisse aufarbeiten kann.
Warum ist die Belastung bei Gewalt durch Erziehungsberechtigte und Vorgesetzte höher als durch Schüler?
Gewalt durch Erwachsene, ob Eltern, Vorgesetzte oder Lehrerkollegen, beschäftigen Lehrpersonen oft länger. Bei Vorgesetzten kommt noch das Machtgefälle dazu. Mit Gewalt durch Schülerinnen und Schüler können sie oft besser umgehen, weil das zum Teil zum Job dazugehört.
Sie sagen, es gehört zum Job dazu. Wo zieht man als Lehrperson die Grenze?
(Überlegt). Ich glaube, sobald eine Lehrerin oder ein Lehrer so von einem Schüler oder einer Schülerin absorbiert ist, dass man dem Rest der Klasse nicht mehr gerecht werden kann. Wenn die Gewalt auf ein Level kommt, das auch andere Schüler beeinflusst, und die Lehrperson ständig vom Unterricht abbringt, ist eine Grenzüberschreitung gegeben. Dann müssen Massnahmen ergriffen werden.
Fördert diese Denkweise nicht, dass man verhaltensauffällige Kinder schneller aufgibt und ausgrenzt?
Bei den meisten Schülern, die so auffallen, ist es tatsächlich ein indirekter Ruf nach Hilfe. Als Lehrperson weiss man das und man macht alles, um ihnen zu helfen. Früher hat man solche Schüler in «eine Ecke gestellt» als Bestrafung, heute macht man das anders – das Ziel ist, dass keine Schüler oder Schülerinnen ausgegrenzt werden. Aber als Lehrperson ist man zuständig für eine ganze Klasse und man kann nicht die ganze Aufmerksamkeit für ein Kind aufbrauchen.
Sie sprechen es an: Früher wurden auffällige Kinder an Schulen wortwörtlich in eine Ecke gestellt oder gar gemassregelt. Hätte man sich nicht besser darauf fokussiert, wie sich die Gewalt an Schülern durch Lehrpersonen verändert hat?
Jeder Fall von Gewalt ist einer zu viel. Wenn die Forderungen, welche wir gestellt haben, umgesetzt werden, kommt das auch den Schülern zugute. Wir wollen die Gewalt nicht bagatellisieren, die Schüler durch Lehrpersonen erfahren, haben aber in dieser Studie den Fokus anders gesetzt.
Aus der Studie wird auch nicht ersichtlich, wie die «Gewalt» zustande gekommen ist. Sprich, ob der Beleidigung durch den Schüler zuerst eine Beleidigung durch die Lehrperson vorausgegangen ist.
Für einen Konflikt braucht es immer zwei Personen. Man kann sagen, die Studie zeigt einseitige Ergebnisse aufgrund der Erfahrungen der Lehrpersonen. Wenn man aber herausfinden will, wer am Konflikt schuld ist, wird das schwierig. Weil jede Gruppe – ob Lehrer, Lehrerinnen, Schüler, Schülerinnen, Eltern oder Vorgesetzte – hat eine andere Perspektive. Fakt ist, wir sagen nicht, dass die Lehrer immer die Opfer sind und alle anderen die Täter. Die Studie zeigt aber auf, dass Lehrpersonen relativ häufig übermässigen Drucksituationen an Schulen ausgesetzt sind.
Kein Rückhalt des Arbeitgebers.
Willkommen im Service Public mit regem Kundenkontakt. Grüsse kommen von den Spitälern der Schweiz.
Das Thema muss also ganzheitlich angegangen werden, die Lösungen müssen übergreifend sein.
Am Anfang steht aber auch eine Auslegeordnung, die die Gründe des fehlenden Anstandes mitberücksichtigen muss.
Da dies alles sehr komplex ist befürchte ich, dass man zu Scheinlösungen greifen wird und somit kaum Besserung zu erwarten ist.