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Weshalb Hans-Ueli Vogt SVP-Kronfavorit Rösti gefährlich werden kann

Bunt und brillant: Weshalb Hans-Ueli Vogt SVP-Kronfavorit Rösti gefährlich werden kann

Er wäre der erste offen homosexuell lebende Bundesrat, spricht perfekt Englisch und hält das New Yorker Anwaltspatent. Hans-Ueli Vogt hat das Potenzial für eine Überraschung bei der Bundesratswahl.
22.11.2022, 14:3822.11.2022, 16:39
Othmar von Matt / ch media
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Albert Rösti macht neue Atomkraftwerke zum Thema. Als neuer Chef des Energiedepartements (Uvek) würde er sich «für eine Streichung des KKW-Verbots» einsetzen. Die Schweiz brauche mindestens doppelt so viel Strom, um die Klimaziele zu erreichen. «Dafür brauchen wir Grosskraftwerke.»

SVP-Bundesratskandidat Hans-Ueli Vogt
«Ich habe eine gewisse Zähigkeit, bin widerstandsfähig und beharrlich»: SVP-Bundesratskandidat Hans-Ueli Vogt über sich selbst.Bild: keystone/shutterstock/watson

Grosskraftwerke meint auch neue Atomkraftwerke. Zwar ist Albert Rösti der SVP-Kronfavorit für die Bundesratswahl. Doch seine Aussagen sind ein Steilpass für Konkurrent Hans-Ueli Vogt. Sie nähren die Angst der Mitte-links-Parteien vor einem SVP-Energieminister, der neue AKW bauen und damit den Konsens der Energiestrategie kippen möchte.

Die Linke will ein solches Szenario verhindern. SP-Fraktionschef Roger Nordmann graut davor, dass die SVP das Uvek übernimmt. «Die SVP ist gegen Klimaschutz, gegen erneuerbare Energien und gegen Energieeffizienz», sagte er in der «Arena». Und Grünen-Nationalrat Bastien Girod hielt in der «Sonntags-Zeitung» fest, ein SVP-Bundesrat könne im Uvek «grossen Schaden» anrichten.

Vogt ist brillant und bunt – gilt aber als Aussenseiter

Die Kandidatur von Hans-Ueli Vogt erhält damit richtig Schub. Vogt kann Rösti gefährlich werden. Er ist brillant und bunt, auch wenn er als Aussenseiter gilt.

Brillant ist Vogt, weil er tief in Themen einsteigt, sie gut durchdenkt und seine Folgerungen auf überlegte Art kommuniziert – wie bei der Bundesratskandidatur. Der Professor für Privat- und Wirtschaftsrecht hat das intellektuelle Rüstzeug, um im Bundesrat programmatische Pflöcke einzuschlagen. Er war der Kopf hinter der Selbstbestimmungsinitiative. Sie wollte die Bundesverfassung über das Völkerrecht stellen, wurde 2018 aber abgelehnt.

Er hat die Zulassung als Anwalt auch in New York

Vogt selbst sagt, er könne im Bundesrat zum Beispiel viel Know-how einbringen bei internationalen Verhandlungen. Er absolvierte Forschungsaufenthalte in Florenz, Peking und London. Was bemerkenswert ist: Vogt hat nicht nur in Zürich eine Anwaltszulassung, sondern auch in New York. Dort arbeitete er von 2000 bis 2002.

«In New York musste ich auf Englisch juristisch verhandeln und mich in ein anderes Rechtssystem und eine andere politische Ordnung eindenken», sagt er. «Das sind Erfahrungen, die für den Bundesrat wertvoll wären.» Diese Kompetenz sei mit der zunehmenden internationalen Verflechtung wichtig.

Der erste offen homosexuell lebende Bundesratskandidat

Bunt ist Vogt, weil er viele Facetten in sich vereinigt. Er ist der erste offen homosexuell lebende Bundesratskandidat. Zwar machte der homosexuelle CVP-Regierungsrat Jean-François Roth 1999 im dritten Wahlgang gegen Joseph Deiss 81 Stimmen in der Bundesversammlung. Auf ein Coming-out hatte er allerdings bewusst verzichtet, wie er 2004 sagte.

Vogt wirkt von seiner äusserlichen Erscheinung her wie ein Asket. Er ist oft im Fitnesscenter und ernährt sich bewusst. Dennoch ist er Genüssen nicht abgeneigt. Er mag deutsche Schlager – vor allem die Kultschlager aus den 1970er- und den 1980er-Jahren, aber auch Helene Fischers «Atemlos durch die Nacht».

Vogt ist bei dieser Wahl der Aussenseiter. Ein Aussenseiter ist er auch sonst. Das war er in seiner Zeit als Nationalrat von 2015 bis 2021. Entsprechend war sein Abschied. Er habe sich, sagte er, wie ein Tennisspieler auf dem Fussballplatz gefühlt.

Vogt hat auch keine Verbandsmandate. In seinem eigenen Anwaltsbüro berät er Unternehmen und Private. Das macht ihn zu einer Art Anti-Rösti, der neben seiner Arbeit als Nationalrat noch 16 Mandate hält.

Die offiziellen Kandidaten der SVP fuer die Bundesratsersatzwahl, Albert Roesti, BE, links, und Hans-Ueli Vogt, ZH, freuen sich nach der SVP-Fraktionssitzung ueber ihre Nomination, am Freitag, 18 Nove ...
Albert Rösti (links) und Hans-Ueli Vogt nach der Wahl auf das Bundesratsticket in Hérémence (VS).Bild: keystone

Auch in der SVP gilt er als Aussenseiter, obwohl er betont, er bleibe seinen klaren SVP-Werten treu. Die Linke argwöhnt, Vogt gehöre zum engen Kreis von Christoph Blocher. Das dementiert Vogt. Auch wenn er Blocher die Selbstbestimmungsinitiative vorgeschlagen hatte und in einer Arbeitsgruppe zur Neutralitätsinitiative sass.

Gehören Sie zum engen Blocher-Kreis?
Hans-Ueli Vogt:
Logischerweise kenne ich Christoph Blocher. Es gibt aber zwischen uns nicht die Art von Nähe, dass wir uns spontan aufs Handy anrufen. Kürzlich sass ich mit ihm bei einem Gönneranlass der Kantonalpartei am selben Tisch. Er als alt Bundesrat, ich als Bundesratskandidat. Wir sprachen aber nicht über meine Kandidatur.

Sie gelten als bunt. Was sagen Sie dazu?
Das habe ich auch schon gehört. Ich bin ein Geistesarbeiter, versuche, die Dinge mit dem Verstand zu erfassen. Gleichzeitig mag ich deutsche Schlagermusik. Ich lasse mich von diesen seichten Texten und melancholischen Melodien einen Moment lang berühren. Wenn man das als bunt bezeichnen will, kann man das. Doch ich will ja nicht als Schlagerfan Bundesrat werden. (Schmunzelt)

Sie wirken asketisch.
Ich mache viel Fitness, bin sehr diszipliniert. Alles ist strukturiert. Und dennoch bin ich für die schönen Seiten des Lebens ebenfalls empfänglich.

Sie gelten als Aussenseiter.
Aussenseiter meint, dass sich jemand eine eigene Meinung bildet, selber über eine Sache nachdenken will. Ich würde es als Unabhängigkeit bezeichnen. Aus ihr schöpfe ich meine Kraft, um bei Widerstand standfest zu bleiben. Als Bundesrat hätte ich dieselbe Unabhängigkeit. Ich wäre Lobbyist für die Schweiz. Die Interessen des Landes wären mein einziges Mandat.

Soll Vogts Kandidatur von Erfolg gekrönt sein, liegt der Schlüssel bei der Departementsverteilung. Es scheint denkbar, dass die Linke aus strategischen Überlegungen auf Vogt setzt – weil sie Rösti als Energieminister verhindern will. Mit SP (47 Stimmen) und Grünen (35) käme Vogt schon auf ein Potenzial von 82 Stimmen.

Damit könnte die SP unter Umständen sogar das Uvek halten – falls Viola Amherd (Mitte) oder Guy Parmelin (SVP) nicht wechseln. Ständerätin Eva Herzog und Regierungsrätin Evi Allemann wären beide dazu prädestiniert. Sie sind oder waren Mitglied der Verkehrskommission. Für die Linke wäre auch Amherd als Energieministerin gut tragbar.

Vogt äussert sich deutlich zurückhaltender zu neuen AKW als Rösti

Ausgeschlossen scheint, dass Vogt als neuer Bundesrat und ohne Bezug zu Energie- und Umweltthemen dieses Schlüsseldepartement erhielte. Er selbst äussert sich deutlich zurückhaltender zu neuen AKW als Rösti. «Das Stimmvolk hat Nein zur Atomkraft gesagt», betont er. Ohne neuen Volksentscheid werde es kein neues AKW geben.

Zudem dürfte ein solches auf Jahre hinaus nicht finanzierbar sein. «Wir sollten uns aber von der Forschung im Nuklearbereich nicht abkoppeln. Es gibt eine neue Generation von AKW, die es rechtfertigen könnte, auf den Ausstiegsentscheid zurückzukommen.»

Vogts Kompetenz als Rechtsprofessor, die ihn für das Justizdepartement (EJPD) prädestiniert, bringt ihm Stimmen ein. Auch könnten Vertraute der Bernerin Evi Allemann für den Zürcher Vogt stimmen, damit der Berner Rösti ihr nicht den Weg verbaut.

Wichtige Parlamentsmitglieder liebäugeln zudem mit der Wahl Vogts, um der SVP zu schaden. Innerhalb von nur zwei Jahren, glaubt ein Parlamentsmitglied, hätte die SVP ein Problem mit ihrem neuen Bundesrat. Und der Bundesrat auch mit Vogt.

Eine Einschätzung, die mit Vogts abruptem Abgang aus dem Parlament zu tun hat. Aber auch mit einer Episode bei der Reform des Aktienrechts. Vogt hatte über hundert Anträge eingebracht und die Debatte geprägt. Deshalb wollte er Kommissionssprecher werden, doch SP- und SVP-Politiker verhinderten das. Vogt verliess die Sitzung, den Tränen nahe. Ist Vogt hart genug für den Bundesrat, fragen sich deshalb Parlamentsmitglieder.

Dass die SVP mit Vogt den ersten offen homosexuell lebenden Bundesrat stellen könnte, erregt zwar einen gewissen Neid bei der Mitte und den Linken. Dennoch dürfte ihm dies kaum gesondert Stimmen eintragen. Vogt sei «politisch zu wenig schwul», sagt ein linkes Parlamentsmitglied. Will heissen: Vogt ist der LGBTQ-Community im Parlament gesellschaftspolitisch zu sehr SVP.

Hans-Ueli Vogt, ZH, freut sich als einer der beiden offiziellen Kandidaten der SVP fuer die Bundesratsersatzwahl, nach der SVP-Fraktionssitzung ueber seine Nomination, am Freitag, 18 November 2022 in  ...
Hans-Ueli Vogt: «Dass die LGBTQ-Community an mir und an meiner Rolle als offen schwuler Politiker nicht nur Freude hat, weiss ich schon lange.»Bild: keystone

Die Linke betont, Ihre offen gelebte Homosexualität trage Ihnen keine Stimmen ein. Überrascht Sie das?
Nein. Dass die LGBTQ-Community an mir und an meiner Rolle als offen schwuler Politiker nicht nur Freude hat, weiss ich schon lange. Als SVP-Politiker passe ich nicht in diese politische Grundströmung. Die Community steht politisch links.

Immerhin waren Sie für die «Ehe für alle».
Ja. Aber ich bin nicht so progressiv, dass ich die Anliegen dieser Community über alles stelle. Ich bin kein Aktivist in diesen Fragen. Ich bin liberal in gesellschaftspolitischen Fragen. Freiheit ist da ein ganz wesentlicher Wert. Sie bedeutet zum Beispiel, dass auch zwei Frauen und zwei Männer heiraten können. Aber sie endet dort, wo die Interessen und Rechte der anderen beginnen.

Es gibt Parlamentsmitglieder, die für Sie stimmen wollen, um der SVP zu schaden. Fehlt Ihnen die «politische Härte», wie es Ihr Parteikollege Roger Köppel sagte?
Das universitäre Milieu und jenes der Anwälte, in dem ich mich bewege, ist nicht unbedingt SVP-freundlich. Ich habe in den letzten zwölf Jahren einigen Gegenwind erlebt. Trotzdem bin ich in meinem Beruf erfolgreich. Das bedeutet: Ich habe eine gewisse Zähigkeit, bin widerstandsfähig und beharrlich. Das musste ich öfter beweisen als manch anderer Politiker, der sich in seinem Umfeld immer in freundlichen Gefilden bewegte.

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94 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Bynaus
22.11.2022 14:53registriert März 2016
Helene Fischer ist ja schon etwas schwer zu verdauen. Aber gegen Erdöl-Rösti? Keine Frage.
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James R
22.11.2022 15:33registriert Februar 2014
Interessanter Typ. Er trägt viele (scheinbare) Gegensätze in sich. Das könnte heissen, dass er im Bundesrat sehr pragmatisch und lösungsorientiert vorgehen wird.

Ausserdem: Mir fehlt im heutigen Bundesrat das urbane Element. Das würde Vogt mitbringen.

Ich würde Ihn wählen. Aber trotzdem glaube ich, dass es Rösti machen wird. Die Bundesversammlung wird einer der "Ihren" einem "Abtrünnigen" vorziehen.
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FreddyKruger
22.11.2022 15:14registriert Juli 2021
Gutes Porträt. Nur finde ich es doch ziemlich abgelutscht, wie Vogt gefühlt 67 mal als „bunt“ bezeichnet wird, wahlweise als Synonym oder ergänzend zu schwul. 🙄
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