«Persönlich haben wir sicher eine weisse Weste.» Die Worte stammen von Urs Rohner, zu Protokoll gab er sie im Jahr 2014. Damals musste sich seine Credit Suisse in den USA zu «kriminellen Aktivitäten» schuldig bekennen und eine Busse von 2.7 Milliarden US-Dollar bezahlen.
Es war mitnichten der letzte CS-Skandal in seiner Amtszeit. Die teuersten Pleiten kamen kurz vor seinem Abgang im Frühling 2021: Milliardenverluste aufgrund der Greensill- und Archegos-Pleiten. In Rohners Selbstwahrnehmung blieb seine Weste aber immer weiss.
Zwölf Jahre sass der heute 63-jährige Jurist im Verwaltungsrat der Credit Suisse. Zuerst als Vize, dann ab 2011 als Präsident. Er hat die Credit Suisse in dieser Zeit stärker geprägt als jeder andere.
Nach dem Beinahe-Kollaps und der Notübernahme durch die UBS leide Rohner «total», sagt ein langjähriger Vertrauter. Er wage sich kaum mehr unter die Leute. Rohner fürchte die «gesellschaftliche Ächtung», wie sie 2008 Marcel Ospel nach der Staatsrettung der UBS oder 2001 die Swissair-Chefs erfahren mussten.
In Zürcher Bankenkreisen kursierte in den vergangenen Tagen die Information, Rohner plane, einen Teil seiner Millionen zurückzuzahlen, die er in all den Jahren kassiert habe. Das scheint durchaus plausibel: Rohner bewegt sich in der Zürcher Gesellschaft, in der Kunst- und Kulturszene, und er ist Mitglied im Rotary 1, dem einflussreichsten Serviceklub der Schweiz.
Warum also nicht einen Teil des Rufs durch einen kleinen «Ablass» retten? Andere haben es vorgemacht, wie der frühere UBS-Chef Peter Wuffli, der später wieder gesellschaftsfähig wurde und heute bei der Partners Group engagiert ist.
CH Media hat Urs Rohner direkt mit der Information konfrontiert. Er reagierte über einen Sprecher. Dieser sagt, Urs Rohner habe seine Vergütung in all den Jahren stets unabhängig vom Geschäftsergebnis bezogen. «Als Verwaltungsratspräsident bekam er keine Boni, darum gibt es hier auch nichts zurückzuzahlen.»
Rohner habe zudem über sieben Jahre hinweg, nämlich von 2014 bis 2021, freiwillig auf einen Teil der Vergütung verzichtet. «Er hat insgesamt 5 Millionen Franken, auf die er Anspruch gehabt hätte, nicht bezogen.» Dabei werde es bleiben.
Verdient hat Rohner nicht zu knapp. 52 Millionen Franken erhielt er in seinen zwölf Jahren im CS-Verwaltungsrat. Das geht aus einer Zusammenstellung der Stimmrechtsberater von Ethos hervor.
Urs Rohners Einkünfte zwischen 2009 und 2018:
Und jene in den Jahren 2019 und 2020:
Einen Grossteil davon bekam er in cash. Dass nur Bares Wahres ist, zeigte sich angesichts der Talfahrt, welche die CS-Aktie in den vergangenen Jahren hingelegt hat. Andere Verwaltungsrats- und Geschäftsleitungskollegen, die sich auch in Aktien entschädigen liessen, wurden finanziell abgestraft.
Es sei denn, sie hätten die Aktien frühzeitig verkauft. Weil sie der eigenen Firma nicht mehr trauten. Und das geschah im grossen Stil. So haben am 1. November 2022 vier Verwaltungsräte insgesamt 23'899 Namenaktien im Gegenwert von 120'760 Franken zu Geld gemacht, wie aus den anonym gehaltenen Management-Transaktionen bei der Schweizer Börse Six hervorgeht.
Interessant ist der Zeitpunkt des Verkaufs: Die vier Verwaltungsratsmitglieder veräusserten ihre Titel nur gerade fünf Tage nachdem die CS-Spitze ihre zukunftsgerichtete Strategie vorgestellt hatte.
Die neue Strategie scheint sie nicht überzeugt zu haben. Das erinnert -wenn auch in ungleich kleineren Dimensionen - an die unrühmliche Episode von 2008 rund um den schwerreichen Financier und frischgebackenen UBS-Verwaltungsrat Rainer-Marc Frey: Als die Grossbank um ihr Überleben kämpfte, warf er 1 Million UBS-Aktien zur eigenen Gewinnmaximierung auf den Markt. Im Zweifel ist den Verantwortungsträgern noch immer das eigene Portemonnaie am nächsten.
Nicht nur Verwaltungsräte, auch aktuelle und frühere Geschäftsleitungsmitglieder haben CS-Aktien abgestossen - und zwar insgesamt 439'039 Stück in den vergangenen zwei Jahren. Das geht ebenfalls aus den Management-Transaktionen hervor. Selbst die obersten Angestellten hatten offenbar den Glauben an die CS verloren. Oder haben sie einfach sofort Kasse gemacht, als sie vor die Tür gestellt wurden?
Jedenfalls gibt es eine gewisse zeitliche Koinzidenz zwischen den forcierten Abgängen von Rechtschef Romeo Cerutti und Finanzchef David Mathers Ende April 2022 respektive der Absetzung von CEO Thomas Gottstein Ende Juli 2022 und vier Verkäufen von grösseren Aktienpaketen im Umfang zwischen 50'000 und 100'025 Namenaktien. Dabei ging es jeweils um Verkäufe im Gegenwert von gut 308'000 bis knapp 544'000 Franken.
Urs Rohner hielt sich bis zuletzt, keine Rücktrittsforderung konnte ihm gefährlich werden. Seine Karriere ist ein Resultat seines behutsamen, ja übervorsichtigen und lange fehlerfreien Vorwärtsgehens: Nach Stationen als Anwalt bei der Zürcher Kanzlei Lenz & Staehelin und als Chef der deutschen TV-Sendergruppe Pro Sieben Sat. 1 wurde er per Mitte 2004 als Rechtschef in die Geschäftsleitung der Credit Suisse geholt. 2009 folgte die Beförderung zum Vizepräsidenten des Verwaltungsrats.
Zwei Jahre später die Krönung: Die Generalversammlung wählte ihn am 29. April 2011 zum Präsidenten und Nachfolger des abtretenden Hans-Ulrich Doerig. Eine Position, die er erst wieder abgeben sollte, als er die maximale Amtszeit von 12 Jahren im Verwaltungsrat erreicht hatte.
Lange konnte Rohner seine Weste tatsächlich weiss halten: Die Finanzkrise meisterte die CS besser als die UBS. Und allerlei Affären blieben nicht an ihm hängen: Der 70-Millionen-Bonus für seinen CEO Brady Dougan, der US-Steuerstreit, milliardenschwere Bussen, der Beschattungsskandal, die Moçambique-Affäre, die Milliarden-Pleiten Greensill und Archegos ...
Rohner übersprang sie alle, so wie er in jungen Jahren leichtfüssig alle Hindernisse auf der Rennbahn hinter sich liess, als er als Hürdenläufer unterwegs war. Sein Fall geschah, für alle sichtbar, erst jetzt – zwei Jahre nach seinem Rücktritt als CS-Präsident. (aargauerzeitung.ch)