Sofort fällt, noch immer, dieser Begriff. «Guy Parmelin ist Monsieur Schnellschuss». Es war der erste Übername, den sich der frisch gewählte Verteidigungsminister 2016 erarbeitet hatte. Neu im Amt zeigte der Waadtländer viel Elan, entschied rasch, stoppte Projekte. Nicht alle Entscheide waren ausgereift, wie sich im Nachhinein zeigte.
Vier Jahre später hat Parmelin nicht nur das Militärdepartement hinter sich gelassen. Auch von Schnellschüssen spricht niemand mehr. Aber wovon sonst? Fünf Jahre nach seiner Wahl ist die Handschrift des Waadtländers noch immer schwer zu entziffern. Man weiss etwa so viel wie vor der Wahl, als der Publizist Markus Somm schrieb:
Von links bis rechts wird Guy Parmelin in Bundesbern als nett beschrieben. Doch «nett» heisst im Politvokabular meist: «eher bedeutungslos».
Dabei hätte 2019 das grosse Jahr des Wirtschaftsministers werden können. Er war es, der mit Kollege Ueli Maurer die Milliardenhilfe für Covid-geschädigte Firmen aufgegleist hat. Unkompliziert kam die Hilfe – und in Windeseile. Kein Bundesrat hat je, abgesehen von der UBS-Rettung, ein ähnlich hohes Rettungspaket beschlossen. Tausende Jobs hat er so gerettet. Wie kann es da sein, dass Guy Parmelin als blasser Minister gilt und nicht als Held gefeiert wird?
Eine Eigenschaft unterscheidet den 61-Jährigen von vielen Politikern. Er ist nicht besonders eitel.
sagt Hans-Ulrich Bigler, Direktor des Gewerbeverbandes. Dies mag ihn sympathisch machen. Geltungsdrang und Selbstdarstellung haben jedoch noch selten einer Politkarriere geschadet. Im Gegenteil.
Kommunikativ kein Spitzentalent und erst noch zurückhaltend: So bringt Parmelin auch die besten Steilvorlagen nicht ins Tor. Da war etwa seine Familie: Parmelin hatte früh im eigenen Umfeld Leute, die an Corona erkrankt waren. Auch sein Vater. Inzwischen erscheinen alt Bundesrätinnen auf der «Blick»-Titelseite und machen der Bevölkerung Mut mit Geschichten aus ihrem Familienumfeld. Parmelin erwähnte seine Geschichte zwar von sich aus, aber nur nebenbei. Eine emotionale Brücke baute er nicht zur Bevölkerung, die sosehr auf jedes Zeichen aus Bern wartete.
Als der Bundesrat am 16. März den Lockdown verkündete, fragte sich die Schweiz: "Was passiert mit meinem Job?" Vier Bundesräte traten auf, nicht aber der Wirtschaftsminister. © Keystone
Und da war vor allem der 16. März, der Parmelins Ruf bis heute schadet: Es war der Tag, als der Bundesrat das wirtschaftliche Leben stilllegte. Vier Bundesräte traten auf. Die Verteidigungsministerin, die die Armee in den Einsatz schickte, natürlich der Gesundheitsminister und die Bundespräsidentin. Justizministerin Karin Keller-Sutter durfte gar juristische Finessen zum Fristenstillstand erläutern. Nur Parmelin fehlte. Ausgerechnet der Wirtschaftsminister war nicht da, als sich die ganze Schweiz fragte:
«Wo ist Parmelin», fragten die Medien. Seine Antwort kam zu spät. Parmelins Departement wiederholt immer wieder: Er wäre gerne aufgetreten. Der Gesamtbundesrat hatte es verhindert. Es durfte nur reden, wer einen formellen Entscheid zu verkünden hatte. Dies ist zwar wahr; es ist aber nur ein Teil der Wahrheit: Tatsächlich unterschätzen Parmelins Leute die wirtschaftlichen Auswirkungen der Coronakrise zu Beginn massiv.
Inzwischen war Parmelin oft an Medienkonferenzen. Hängen geblieben ist eher wenig. Das liegt auch an seinen Deutschkenntnissen: Er hat gute Tage, und Tage, an denen er nach wie vor Mühe hat. Ein eloquenter Redner ist er auch in seiner Muttersprache nicht. Vielleicht ist es auch eine Ungerechtigkeit – oder schlicht Deutschschweizer Arroganz, sich über Parmelins mangelnde Sprachfähigkeiten zu mokieren: Wie es um Ueli Maurers Französischkenntnisse steht, hat sich östlich von Freiburg noch kaum je einer gefragt. (Die Antwort wäre: Sie sind nicht gut.)
Wer mit Parmelin öfter am Tisch sitzt, zollt ihm Lob in der Amtsführung, etwa die Sozialpartner.
sagt Gewerbeverbandsdirektor Hans Ulrich Bigler. Parmelin lebe die Sozialpartnerschaft vor, sagt auch Adrian Wüthrich von der Gewerkschaft Travail Suisse, – auch wenn Parmelin letztlich sehr wirtschaftsfreundlich sei. Ein anderer Gewerkschafter sagt: Man spüre, dass der SVP-ler Parmelin als Ex-Landwirt keine Scheu vor Staatshilfen habe.
Nicht immer aber ist klar: Führt er sein Departement oder wird er von ihm geführt? Da ist die Landwirtschaftspolitik. Ausgerechnet der ehemalige Weinbauer will den Selbstversorgungsgrad senken, zum Ärger der Agrarlobby. Ist das nun ein mutiger Schritt? Oder hört er einfach zu sehr auf seine Beamten?
Besonderer Quell des Ärgernisses ist das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco), das gerade Linken nicht nur zu liberal, sondern viel zu träge ist. In der Krise im Frühling habe es meist nur reagiert. «Vieles, was wir damals erreicht haben, haben wir trotz und nicht dank des Seco erreicht», sagt ein Gewerkschafter. Böse Zungen spotten: Das Seco handelt nicht etwa zurückhaltend, weil es liberal ist. Das Seco ist liberal, damit es möglichst wenig tun muss. Die Chefin, Marie-Gabrielle Ineichen-Fleisch, gilt zwar als versierte Handelsdiplomatin. Auch nach Jahren interessiere sie die Binnenwirtschaft aber kaum, heisst es von links bis rechts.
Nun ist es zwar aus Sicht von Liberalen gut, möglichst wenig Regelungen zu erlassen. Doch sogar in Parmelins Umfeld spricht man mit Blick auf das Seco von einem «sehr liberalen Elfenbeinturm». Und wer wenig tut, verspielt sich auch die Möglichkeit, zu gestalten. «Parmelin gibt keine Impulse», sagt einer, der oft am Tisch sass. Die Fortschritte in der Sozialpolitik geschahen nicht mit Parmelin (was seiner Partei gefallen dürfte). Es war Karin Keller-Sutter, die bei der Begrenzungsinitiative half, die Überbrückungsrente aufzugleisen. Kaum Denkanstösse kamen aus den Reihen des Wirtschaftsdepartementes bisher auch, wenn es um das für die Wirtschaft so wichtige Rahmenabkommen ging.
Guy Parmelin, Waadtländer, Weinbauer und Wirtschaftsretter wider Willen, war gewählt worden, um der SVP die Türe zur Westschweiz zu öffnen. Doch er wurde nicht die Figur, die der Partei Sympathiepunkte brachte. Bei den vergangenen Wahlen legte die Partei in der Westschweiz nicht wie erhofft zu. SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi widerspricht. Er ist nicht nur überzeugt, dass die SVP in der Westschweiz bei den nächsten Wahlen zulegen werde. Auch auf den SVP-Wirtschaftsminister will er nichts kommen lassen:
sagt Aeschi, der damals bei der Bundesratswahl selbst gegen Parmelin angetreten war.
Heute Mittwoch, auf den Tag genau fünf Jahre nach seiner Wahl, wird Parmelin zum Bundespräsidenten gewählt. Das Amt wird 2021 so aussergewöhnlich wie es 2020 war. Statt Staatsbesuchen im Ausland steht das Beschwören von Mut und Zusammenhalt im Zentrum. Dazu brauchte es die richtigen Worte. Parmelin folgt auf Simonetta Sommaruga, die in einer Mischung aus umsichtiger Landesmutter und strenger Gouvernante gekonnt wirkungsvolle Sätze fand, die auch haften blieben.
Und Parmelin? In Bern brennt die Frage: Wird er, der eher ungelenke Kommunikator, die passenden Worte finden? Parmelin weiss, so sagt sein Umfeld, wie sehr die Pandemie seine erste Jahreshälfte prägen wird. Und er will sich für den Zusammenhalt einsetzen. Die Anfeindungen und die Gräben, die sich bei der Konzernverantwortungsinitiative öffneten, haben ihn erschüttert. Und dann hat er noch einen Trumpf im Ärmel: Als Mensch könne er rasch Nähe herstellen, sagt sein Umfeld. Er ist zugänglicher als die meisten anderen Magistraten, gemütlich und gmögig. Guy Parmelin eben, ein netter Mann. (saw/aargauerzeitung.ch)