Blackberry ist nach vielen herausfordernden Jahren mit zahlreichen halbbatzigen Aufholversuchen mit einem vielversprechenden, neuen Volltastatur-Smartphone zurück. Es trägt den Namen KEYone und wird mit dem Betriebssystem Android 7.1 ausgeliefert. Ob Touchscreen-Hasser, die ohne richtige Tastatur nur betrunken schreiben können, ihre Kreditkarte zücken sollen, verrät dieser Test.
In den edlen Materialien des Blackberry KEYone findet sich ein holder Anblick, den designhungrige Seelen keinesfalls darben lässt. Die ästhetischen Werte kommen nicht von ungefähr, erhabenes Design ist Tradition bei Blackberry.
Die Formgebung ist nicht nur augenschmeichelnd, sie ist auch funktional: In der Leertaste verbirgt sich ein rapide reagierender Fingerabdruckscanner, an der Seite wurde diskret ein den Benutzerwünschen anpassbarer Komfortknopf angebracht. Die leicht perforierte Hinterseite sorgt darüber hinaus für ein angenehm griffiges Gefühl.
Das Verlangen nach immer mehr Grösse, das Telefonproduzenten in ihrem Schaffen antreibt, findet sich auch im KEYone wieder. Das Telefon fällt in der Breite und in der Länge grösser aus als Samsungs Galaxy S8, beträchtlich grösser sogar als Apples iPhone 7. Kleine Hände sind deshalb gut beraten, vor dem Kauf das Gerät im Laden zu inspizieren.
Die Grösse schlägt sich im Gewicht nieder, das KEYone wiegt stolze 180 Gramm. Der Eindruck, etwas Robustes in der Hand zu haben, das sich nicht so schnell daraus verabschieden wird, stellt sich ein. Das KEYone ist eine angenehme Präsenz in der eigenen Hand.
Das Alleinstellungsmerkmal der Blackberrys der Vergangenheit lag in ihrer schnellen, zielgerichteten Bedienung mittels Volltastatur und wenigen weiteren Tasten. Um sich als waschechtes Blackberry zu beweisen, muss das KEYone beweisen, dass es trotz Touchscreen und Android die Vorzüge der Vergangenheit zurückbringen kann.
Zuerst zur Tastatur per se. Nach kurzer Umgewöhnungszeit landen die Finger angenehm präzise auf den schon fast zu buttrig weich nachgebenden Tasten und schreiben fast fehlerlose Texte nieder. Leider aber entschied sich der Hersteller für die Tastenanordnung im Schokoladentafelformat; diese ist weniger ergonomisch als die frühere Mondform.
Das soll aber nicht davon ablenken, dass herkömmliche Touchscreen-Tastaturen in keinem Verhältnis zu jener des KEYone stehen. Es fühlte sich für mich, ganz im Gegenteil zum leidigen Schreiben auf dem Touchscreen, äusserst erfrischend an. Die Haptik der Tasten motivierte mich immer mehr, auch längere Texte auf dem Smartphone abzufassen.
Diese schönen Ideen wurden leider wenig berauschend umgesetzt. Die Bildschirmbewegung beim Tastaturscrollen war öfters holprig, verschiedene Anwendungen hängten sich auf. Ob diese Probleme meines Testgeräts bis zur Endversion noch behoben würden, beantwortete der Hersteller in meiner Presseanfrage nicht.
Es wurde verpasst, die Bedienung durch das Betriebssystem angenehm zu gestalten. Gerne wäre ich etwa im Chrome-Browser mittels Linkswischen auf der Tastatur auf die vorherigen Seiten zurückgekehrt und hätte neue Tabs mit der Taste T geöffnet. Stattdessen ist Fingerakrobatik vom unteren zum oberen Ende des stattlichen Smartphones und wieder zurück angesagt.
So gestaltet sich die Bedienung in einer Vielzahl von Anwendungen, Bedienungsabläufe sind durch viele Unterbrüche gekennzeichnet. Grosse Nachbesserungen sind hier wohl nicht zu erwarten, da es die Sache der App-Entwickler wäre, Anwendungen für Tastaturen anzupassen. Weil Android im Kern für berührungsempfindliche Bildschirme konzipiert worden ist, sind die Chancen also gering. Auch hierzu wurde vom Hersteller keine Stellung genommen.
Diese Unzulänglichkeiten entkräften das wichtigste Kaufargument: Der etwas fummeligen Touch-Bedienungsweise vieler moderner Smartphones wird keine echte Alternative entgegengestellt. Dass das KEYone hier keinen echten Mehrwert bietet, ist ein Jammer – zumal frühere Modelle bedienungsmässig der Perfektion nahe kamen.
Auf dem KEYone läuft das brandneue Android-Betriebssystem 7.1 Nougat. Deshalb ist es jeglichen Vorurteilen bezüglich der früheren App-Wüste bei Blackberrys erhaben. Android dürfte für Umsteiger gewöhnungsbedürftig ausfallen. So fehlt eine umfassende, standardmässig installierte Universalsuche wie etwa Spotlight auf iOS; stattdessen erfreuen Dinge wie der Wecker, der eine ansteigende Wecklautstärke kennt. Da keine speziell angepasste Benutzeroberfläche über das Betriebssystem gelegt wurde, dürfte das KEYone immer auf dem neusten Stand bezüglich Systemsoftware sein.
Blackberry liefert mit dem Telefon eigene Software mit. Dazu gehören das Blackberry Hub, das jegliche Kommunikation in einer App sammelt und eigene Kalender-, Notiz- und Sicherheitssoftware.
Bevor ich auf diese eingehe, sei hier angemerkt, dass diese Anwendungen möglicherweise nicht den Endversionen entsprechen. Da die Geräte-Herstellerin leider keine Stellung zu den im Testgerät noch vorhandenen Mängeln nahm, sind meine Anmerkungen also mit Vorsicht zu geniessen. Die Anwendungen sind in der getesteten Version so aber schon auf dem Blackberry-Slider «Priv» verfügbar.
Die Kalender-App ist gut gelungen und erinnert an die alten Blackberry-Zeiten. Das trifft auch auf das Hub, den Kommunikations- und Benachrichtigungsaggretatoren zu. Benachrichtigungen aus Google Hangouts und Snapchat werden aber leider nicht angezeigt, die Hub-App sammelt dafür etwa Anrufe, Instagram-Benachrichtigungen, Kalendereinträge, E-Mails und Facebook-nachrichten.
Der Notizsoftware fiel meines Erachtens etwas mager aus – das ist aber nicht weiter tragisch, da man im Android-Store eine Vielzahl von Alternativen findet.
Weiter wird das KEYone mit einem massgeschneiderten App-Launcher bestückt – den habe ich leider kaum je benutzt, wäre aber ein kleiner Trost für alle, die die zielgerichtete Bedienung vom Startbildschirm aus vermissen:
Begeistert war ich ab einem kleinen Detail: Die Audio-Equalizer-Einstellungen. Damit kann fantastischer Surround-Sound simuliert, der Bass verzerrungsfrei von viel bis zu markerschütternd verstärkt werden. Wer also beim Song 和自己對話 so richtig von Emotionen überwältigt werden will, ist hier gut bedient!
Die technischen Details scheinen vielversprechend. Das KEYone spielt technisch in der Liga teurer, moderner Smartphones mit. Diese habe ich am Ende des Tests aufgelistet – gewisse Stimmen in der Presse monieren, dass das Gerät angesichts des Preispunkts von 600 Franken bezüglich Prozessor (ein Snapdragon 625 mit acht Kernen zu 2.0 Gigaherz tut im Herz des Geräts sein Werk) und 3 GB Arbeitsspeicher mittelmässig ausgestattet sei.
Das ist formell gesehen ein berechtigter Einwand, in der Praxis jenseits von Benchmarkwerten wohl irrelevant: Leistungshungrige Games sowie alle getesteten Apps luden rapide und liefen ohne Ruckeln. Im alltäglichen Betrieb reagierte das Gerät munter und ohne Murren.
Sehr überzeugend ist der durch Gorilla-Glas beschütze IPS LCD-Bildschirm. Seine Auflösung von 1080 mal 1620 Pixel ist wirklich wunderbar, auch wenn die Farben etwas satter ausfallen dürften. Das ungewöhnliche Bildschirmformat ist überdies sehr gut geeignet, um lange Texte zu lesen.
Der Klang der Lautsprecher hätte qualitativ klarer, bassreicher und lauter ausfallen dürfen. Beim Duschen machten sie trotzdem eine akzeptable Figur.
Im KEYone ist ein MicroSD-Speicher-Slot verbaut. Für rund 180 Franken könnte man sich so theoretisch kostengünstig die 32 Gigabyte verbauten Gerätespeicher um weitere 256 Gigabyte erweitern, oder um 64 Gigabyte für rund 40 CHF.
Die Batteriewerte sind fantastisch. Die 3505 mAh starke Batterie (etwas mehr als im Galaxy S8) sorgte dafür, dass das Blackberry nach langen und nutzungsintensiven Tagen noch mindestens 20 bis 30 Prozent Restenergie verzeichnete. Bei weniger Nutzung waren es bis zu 50 Prozent. Dank Implementierung Qualcomms QuickCharge-3.0-Technologie kann innert 30 Minuten die Riesenbatterie zur Hälfte aufgeladen werden. Das ist sexy.
Generell kann man festhalten: Die Qualität der Aufnahmen der 12-Megapixel-Hauptkamera ist gut, solange die Beleuchtung stimmt. Bei schlechteren Lichtverhältnissen macht sich starkes Rauschen bemerkbar. Durchgehend positiv ist auf jeden Fall die Aufnahmegeschwindigkeit. Die 8-Megapixel-Frontkamera liefert solide Ergebnisse, wenn auch Hautfarben etwas verfälscht werden.
Der verbaute Kamera-Sensor ist derselbe, der auch im Google Pixel seine Arbeit tut. Da Bildqualität eine sehr subjektive Angelegenheit ist, hier einige unbearbeitete Fotos der KEYone-Kamera aus verschiedenen Lichtsituationen, die ich im Automatikmodus geschossen habe:
Mit dem KEYone steigt ein prächtiger, stattlicher Phönix aus der Asche, dessen Essenz bei der Wiedergeburt ein wenig auf der Strecke geblieben ist. Die Bedienung, mit der Blackberrys früher punkteten, ist schlechter geworden. Dafür läuft nun Android und man kann etwas holprig auf der Tastatur scrollen. Wer also ein waschechtes Blackberry erwartet hatte, wird von «nur» einem Android-Smartphone mit Tastatur und etwas Blackberry-Software enttäuscht.
ABER: Wen die 600 Franken nicht abschrecken, wird mit einem robusten, eleganten und sicherlich einzigartigen Gerät mit langem Atem und erweiterbarem Speicher belohnt. Die Kamera sorgt für schöne Aufnahmen, der Audio-Equalizer bei 和自己對話 für Tränen, die Tastatur schafft deiner grässlichen Touchscreen-Tippweise Abhilfe.
Was will man mehr?
Update vom 4.05.2017: Der Artikel wurde bezüglich der Nachrichtendarstellung im «Hub» berichtigt. Zuvor wurde fäschlicherweise die mangelhafte Anzeige der Whatsapp-Nachrichten kritisiert – diese ist aber mittels einer Anpassung der Einstellungen korrekt, was die Anwendung aufwertet.