Worüber sprechen wir?
Monika Hungerbühler: Über Konkurrenz. Das ist ein heikles Gebiet. Als Frau erlebt man in der römisch-katholischen Kirche sicher Konkurrenzsituationen.
Vor einem Jahr haben Sie mit 300 anderen Theologen und Theologinnen einen Brief zur umfassenden Gleichwertigkeit in der katholischen Kirche verfasst, in der Sie die «kranken Strukturen» anprangern. Was ist seither passiert?
Ich hatte diesen Juni mit vier Kollegen ein Gespräch mit Bischof Felix, dem Generalvikar und dem Medienbeauftragten des Ordinariats. Ich muss sagen, wir waren etwas enttäuscht. Wir waren uns nicht sicher, ob die Gegenseite wirklich verstanden hat, worum es uns geht. Aber es ist auch eine Idee entstanden. Wir sind daran, ein Weiterbildungsmodul zu Gleichwertigkeit zu entwickeln. Es geht um praktische Dinge, auch, wie man sich als Frau fühlt und was man tun kann, wenn man danebensteht, nicht gehört oder nicht ernst genommen wird.
Eine Situation, die Sie selbst auch kennen?
Hier in der Offenen Kirche Elisabethen sind wir absolut gleichberechtigt, da spielt Konkurrenz keine Rolle. In der römisch-katholischen Kirche gibt es das aber schon. Es ist ein hierarchisches System, in dem die Entscheidungsmacht klar verteilt ist. Eine Frau hat strukturell keine Handlungsmacht, da sie aufgrund ihres Geschlechts gar nicht erst Priesterin werden kann. Das empfinde ich als grosse Ungerechtigkeit und Unglaubwürdigkeit. Ich merke immer wieder, dass wir als Frauen und sogenannte Laien anstehen. Es ist eine doppelte Diskriminierung. Ich muss aber dazu sagen, dass man auf praktischer Ebene sehr wohl etwas bewirken kann.
Wie gehen Sie damit um?
Ich habe mich zur Kämpferin entwickelt. Als katholische Theologin stecke ich in einem ununterbrochenen Dilemma. Ich hatte immer gute Stellen, konnte viel Schönes tun. Trotzdem ist da eine strukturelle Ungerechtigkeit, die einfach bleibt.
Aber irgendwie müssen Sie sich doch zugehörig fühlen?
Ja, wegen der Menschen, die auch kämpfen. Und wegen der Arbeit vor Ort. In der Seelsorge, in Projekten mit Flüchtlingen, mit Armutsbetroffenen. Wir haben jetzt immerhin einen Papst, der auf sozialer Ebene fortschrittlich ist. Aber in Bezug auf Sexualität, Geschlechterfragen und Gender muss man leider sagen, dass der Papst entweder keine Ahnung hat oder sehr schlecht beraten ist. Er ist ein typischer lateinamerikanischer Macho wie Millionen andere auch. Das braucht viel Schnauf, Wut und Mut, alles miteinander.
Mit Ihrer Haltung ecken Sie wohl immer wieder an.
Ja. Gewisse Leute finden das furchtbar. Die denken dann, jetzt kommt die wieder, mit ihrem ewig gleichen Mantra. Ich habe zum Glück die Menschen gern und kann mit vielen immer wieder im Gespräch sein. Auch mit solchen, die ganz andere Positionen haben. Aber es stimmt schon, für viele bin ich ein rotes Tuch.
Wie stecken Sie das weg?
In der festen Verbindung mit den Leuten, die das ähnlich sehen, Freundinnen, Familie, Bekannte. Dann kann man auch mal schimpfen und fluchen und zusammen lachen. Und ich bete.
Ihre beste Freundin ist vor einem Jahr aus der Kirche ausgetreten. Können Sie das nachvollziehen?
Ja, das kann ich gut nachvollziehen. Das ist ja das Schlimme. Weil wir uns schon jahrzehntelang kennen, gemeinsam unterwegs sind. Sie hat es mir auch im Vorfeld gesagt, wir hatten uns das versprochen. Ich musste weinen. Ein Teil von mir ist mit ihr ausgetreten.
Sie selbst wollten nie austreten?
Es ist mir kein fremder Gedanke. Aber dadurch, dass ich gute Positionen hatte, konnte ich Einiges bewirken und zur Sprache bringen. Deswegen gab es ein gewisses Gleichgewicht für mich. Und je mehr Reformkräfte austreten, desto konservativer wird die Kirche.
Was würden Sie ändern, wenn Sie könnten?
Ich würde die Ämterfrage reformieren und versuchen, das ganze Konstrukt synodal aufzubauen, damit nicht ein Mensch, sondern eine Gruppierung entscheidet. Dort müssten alle Zugang haben, Männer, Frauen, Transgender, Homosexuelle. Einfach alle – unabhängig davon, wie man lebt und wen man liebt.
Ist es denn denkbar, dass Frauen in Basel bald ein Amt in der römisch-katholischen Kirche innehaben können?
In Basel sagt Bischof Felix Gmür: Wir sind verbunden mit der Weltkirche, deswegen geht das nicht. Andererseits hat der Papst auch formuliert, dass man regionale Lösungen anstreben soll. Mir gefällt das Bild, dass das Bistum Basel die Abteilung Forschung und Entwicklung sein könnte und man hier etwas ausprobieren könnte. Der Bischof wird diesbezüglich auch beackert. Auf Ihre Frage hin: Ja, es ist zu hoffen.
Quasi ein Forschungsprojekt.
Ja, eine Projektphase. Um zu sehen: Wie nehmen das die Leute an? Strukturell ist man in der reformierten und in der christkatholischen Kirche viel weiter.
Trotzdem sind Sie Katholikin. Warum?
Ich bin halt da reingeboren. Das ist quasi mein Stallgeruch. Ich habe mir schon überlegt zu konvertieren. Ich habe unter anderem in Deutschland studiert und wäre gerne Lutheranerin geworden. Aber in der Schweiz habe ich gemerkt, wie klein hier die lutherische Kirche ist. Konvertieren ist nicht nur ein intellektueller Schritt. Das ist auch eine Gefühlssache. Ganz abgeschlossen ist diese Frage für mich nicht. Wichtiger scheint mir aber der Austausch zwischen den Konfessionen und unsere postkonfessionelle Arbeit in der Offenen Kirche Elisabethen. Hier wünsche ich mir eine fruchtbare Konkurrenz.
Dazu braucht es den längst überfälligen Mut der Leitung, die Ortskirche als agierendes Subjekt ernstzunehmen statt als ausführendes Organ römischer Direktiven.
Das Warten auf die Entwicklung der Weltkirche ist ein ziemlich durchsichtiges Muster der Verantwortungsverweigerung.
Mutige Frau, die Frau Hungerbühler! Ich hoffe, sie bleibt in dieser Kirche als Teil der umgestaltenden Kräfte.
Danke für das mutmachende Interview.