Als Donald Trump Anfang März das Zentrum für Seuchenkontrolle in Atlanta besuchte, um sich über das Coronavirus zu informieren, prahlte er mit seinen Kenntnissen über das Thema. Alle Ärzte hätten sich gewundert, wieso er so gut darüber Bescheid wisse. «Vielleicht bin ich ein Naturtalent», folgerte der Präsident, der sich auch schon als «sehr stabiles Genie» bezeichnet hat.
Seine fachliche Begabung stellte Dr. med Trump am Donnerstag in seiner täglichen Pressekonferenz im Weissen Haus unter Beweis. Er verwies darauf, dass Desinfektionsmittel das Virus in einer Minute abtöten würden. Also könnte man es doch in den Körper injizieren. «Es wäre interessant, das zu testen.» Man muss nicht erwähnen, was die reale Ärzteschaft davon hält.
“It gets in the lungs and does a tremendous number on the lungs.”
— QuickTake by Bloomberg (@QuickTake) April 24, 2020
Trump suggests injecting #coronavirus patients with #disinfectant or “very powerful light,” alarming experts. More @business: https://t.co/GeK9PMU0KV #CoronavirusUSA pic.twitter.com/DOOXCkgNt9
US-Medien verglichen Trump mit den Quacksalbern, die durch den Wilden Westen zogen und vermeintliche Wundermittel gegen alles und jedes verkauften. Im besten Fall nützten sie nichts, im schlechteren machten sie die Menschen wirklich krank. Auch heute ist es einzelnen Trump-Fans zuzutrauen, dass sie die «Medizin» tatsächlich ausprobieren, wie es einige mit dem Malariamittel Chloroquin gemacht haben.
In absoluten Zahlen hat die Coronakrise kein Land so hart getroffen wie die Vereinigten Staaten. Mehr als 860'000 Infektionsfälle und mehr als 45'000 Tote wurden bislang registriert. Immerhin ist eine Entspannung absehbar. Vizepräsident Mike Pence äusserte sich am Donnerstag vorsichtig optimistisch. Bis zum Frühsommer könne «ein Grossteil dieser Epidemie» überstanden sein.
Im schwer geprüften Bundesstaat New York lag die Zahl der Todesopfer am Donnerstag mit 438 den vierten Tag in Folge unter der Marke von 500. Das sind Good News für die überlasteten Spitäler. Gouverneur Andrew Cuomo, der ebenfalls täglich vor die Medien tritt, vermied aber jede Euphorie: «Die Zahl sinkt weiter – aber nicht so schnell, wie wir das gerne sehen würden.»
Eine Zahl, die überhaupt nicht sinkt, ist jene der Arbeitslosen. Sie explodiert, und das ungebremst. In der Woche bis zum 18. April wurden 4,4 Millionen Neuanträge registriert. Innerhalb eines Monats haben 26 Millionen Amerikaner ihren Job verloren. Im Februar lag die Arbeitslosenquote noch bei rekordtiefen 3,5 Prozent. Jetzt wird sie von Experten auf 15 oder sogar 20 Prozent geschätzt.
Das wäre der höchste Wert seit der Grossen Depression in den 1930er Jahren. Das genaue Ausmass ist unklar, weil die Ämter mit der Flut an Anträgen völlig überfordert sind und noch längst nicht alle Arbeitslosen registriert haben. Ein regelrechtes Debakel findet in Florida statt, wo das Zählen wieder einmal Mühe bereitet und erst vier Prozent der 850'000 Anträge bearbeitet wurden.
«Für Arbeitslose ist Florida ein schrecklicher Staat», sagte Michele Evermore, eine Expertin für Arbeitslosenversicherungen, der «New York Times». Es sei schwer, überhaupt ins System zu kommen. Und wenn man drin sei, werde man häufig abgewiesen. «Das Arbeitslosengeld liegt unter dem Durchschnitt. Und das war vor der Krise.»
Der republikanische Gouverneur Ron DeSantis hat nun eine Art «Troubleshooter» für das dysfunktionale Registrierungssystem ernannt. Florida gehört auch zu den Staaten, die einen Ausstieg aus dem Lockdown versuchen. Einzelne Strände im Sunshine State wurden diese Woche wieder geöffnet. Auch andere republikanisch regierte Gliedstaaten wollen den Corona-Lockdown lockern.
Dazu gehören Georgia, Tennessee und Utah, wo die Gouverneure sich gemäss der «Washington Post» teilweise über den Rat der medizinischen Experten hinweggesetzt oder diese gar ignoriert haben. Wie etwa Brian Kemp in Georgia, als er die Öffnung von Tattoo-Studios, Coiffeursalons und Bowlingcentern ankündigte, weshalb ihn sogar Donald Trump kritisiert hat.
Der Leidensdruck ist angesichts der wirtschaftlichen Verwerfungen gross. Dies zeigen auch die Demonstrationen für ein Ende des Lockdowns, die vorwiegend in demokratisch regierten Staaten stattfinden. Zur Hauptzielscheibe wurde Gretchen Whitmer, die Gouverneurin von Michigan. Trump beschimpfte sie als «Half-Whitmer», also im übertragenen Sinn als halbschlau.
This video of a nurse who is on the frontlines of this pandemic being told to “go to China” has gotta be the most insane thing I’ve seen on Twitter dot com in the 11 years I’ve been on this platform. And I used to report ISIS accounts for a living.pic.twitter.com/5E4Hi6P7DR
— Mari Manoogian 🧼🤚🏽 (@MariManoogian) April 20, 2020
Zu einem denkwürdigen Clash kam es am letzten Sonntag in Denver (Colorado), wo Ärzte und Pflegekräfte in Schutzkleidung eine Strasse blockierten, um die Anti-Lockdown-Demonstranten aufzuhalten. Auf Video festgehalten wurde eine Szene, in der eine Frau in einem «USA»-T-Shirt einen Pfleger anschrieh: «Geh nach China, wenn du Kommunismus haben willst.»
Donald Trump hingegen äusserte Verständnis für die Protestierenden, unter denen sich viele seiner Anhänger befinden: «Sie wollen ihr Leben zurück», sagte er am Sonntag. Die Pflege seiner Basis ist ihm derzeit ein fast höheres Anliegen als jene der Covid-Patienten. Seine Hauptsorge scheint derzeit seine Wiederwahl im November zu sein, schreibt die «New York Times».
Die Zeitung hat Trumps derzeitiges Leben im Weissen Haus recherchiert. Der Präsident steht weiterhin um 5 Uhr auf und schaut erst einmal ein paar Stunden TV. Nur dass er derzeit kaum noch etwas sehe, was ihm gefalle. Selbst die Berichterstattung seines Haussenders Fox News ärgere ihn, weil er nicht so rüberkomme, wie er es gerne hätte.
Sein kurzzeitiger Beliebtheits-Sprung, der eher ein Hüpfer war, ist verpufft. Interne Umfragen zeigten laut der «New York Times», dass er in einigen Swing States abgerutscht sei. Vor diesem Hintergrund ist auch der diese Woche erlassene Einwanderungsstopp selbst für Anwärter auf eine Green Card zu erklären. Donald Trump wolle seine Fans bei Laune halten.
«Er ist frustriert», sagte Stephen Moore, ein Wirtschaftsberater des Präsidenten. Es fühle sich für ihn an, als habe ihn «ein Meteorit getroffen». Verschlimmert wird dieser Zustand dadurch, dass seine geliebten Golftrips nach Florida oder New Jersey nicht möglich sind. Angeblich hört er derzeit nur auf wenige enge Vertraute. Und er mache einmal pro Woche einen Covid-Test.
Seine täglichen Pressekonferenzen, die bis zu zwei Stunden dauern und die Nerven der anderen Teilnehmer strapazieren, sind für ihn ein Ersatz für ausgefallene Wahlkampf-Auftritte. Entsprechend bizarr fallen sie aus, nicht nur wenn er Desinfektionsmittel anpreist. Selbst Republikaner halten den Mix aus Unwahrheiten, Beleidigungen und Gejammer für kontraproduktiv.
Am Ende des Tages absolviert Trump das gleiche Programm wie am Morgen: Er sitzt stundenlang vor dem Fernseher und checkt, wie seine Performance bewertet wird. In letzter Zeit habe sich seine Laune gebessert, schreibt die «New York Times», weil er «Licht am Ende des Tunnels» sehe, wie er letzte Woche sagte. Die Fahrt im Tunnel könnte aber noch ziemlich lange dauern.